Symbolbild: Ein Teenager drückt einen anderen gewaltsam gegen eine Klinkerwand.
In Halle nimmt Gewalt unter Jugendlichen weiter zu. Vertreter von Stadt, Polizei und Land haben sich deshalb auf einem Krisengipfel auf konkrete Maßnahmen geeingt. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / imagebroker

Krisengipfel Jugendgewalt in Halle: Stadt und Land beschließen Maßnahmen

02. Oktober 2023, 16:46 Uhr

Weil die Zahl von Straftaten bei Jugendlichen kontinuierlich steigt, hat die Stadt Halle das Land um Hilfe gebeten. Bei einem Krisentreffen haben sich die Vertreter auf einen Maßnahmenkatalog geeinigt. Unter anderem soll die Polizeipräsenz deutlich verstärkt werden.

Aktuelle Nachrichten des Mitteldeutschen Rundfunks finden Sie jederzeit auf mdr.de und in der MDR Aktuell App.

Die Landesregierung Sachsen-Anhalts und die Stadt Halle wollen mit insgesamt neun Maßnahmen das Problem der Jugendkriminalität in Halle effektiver bekämpfen. Die Gewalt der Jugendlichen habe mittlerweile zu einer Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit geführt, hieß es in einer Mitteilung der Stadtverwaltung.

Polizei soll präsenter sein, Anlaufstelle für Opfer wird eingerichtet

Konkret ist ein "gemeinsamer Maßnahmenplan zur Bekämpfung der Jugendkriminalität" erarbeitet worden, so eine Mitteilung des Innenministeriums. Zu den Maßnahmen gehörten unter anderem eine erhöhte Polizeipräsenz und eine Anlaufstelle für die Opfer von Jugendgewalt, sagte Bürgermeister Egbert Geier (SPD) bei dem extra anberaumten Gipfeltreffen. Außerdem soll der Erlass zur "Meldung von Schulpflichtverletzungen" kurzfristig angepasst werden, damit die Ordnungsämter zukünftig früher über Schulschwänzer Bescheid bekommen.

Auf diese Maßnahmen haben sich Stadt und Land geeinigt:

1. Die Stadt Halle (Saale) initiiert anlassbezogene Fallkonferenzen mit dem Jugendamt, dem Schulamt, den Jugendberatungsstellen, den Jugendhilfeträgern sowie der Polizei und Justiz zu einzelnen Jugendlichen.

2. Schulen aus Halle (Saale) und die Polizeiinspektion Halle (Saale) vereinbaren Präventionspatenschaften zwischen Schulklassen und der Polizei.

3. Es wird ein neues Konzept zur Stärkung des Sicherheitsgefühls umgesetzt: Die Polizeiinspektion und die Landesbereitschaftspolizei in Halle (Saale) stärken durch spürbare Präsenz, wahrnehmbare Fußstreifen und Kommunikation die Sicherheit in der Stadt Halle (Saale).

4. Die Stadt Halle (Saale) stärkt die kommunale Kriminalprävention durch die intensive Zusammenarbeit mit dem Integrationsnetzwerk und dem Präventionsrat der Stadt.

5. In geeigneten Fällen werden vereinfachte Jugendverfahren durchgeführt.

6. Der Erlass zur Meldung von Schulpflichtverletzungen wird kurzfristig angepasst, damit entsprechende Meldungen früher erfolgen und an die jeweiligen Ordnungsämter kommuniziert werden.

7. Die Stadt Halle (Saale) schafft eine Anlaufstelle für Opfer von Jugendgewalt, die eng mit bestehenden Opferschutzeinrichtungen und -beratungsstellen zusammenarbeiten wird.

8. Die Projektarbeit #unserhayat, die von der Halleschen Jugendwerkstatt gGmbH durchgeführt und von Bund und Land gefördert wird, wird in der Stadt Halle (Saale) weiter forciert. Weitere Projekte der Teilhabe durch Bildung werden stärker auf die Prävention von Gewaltdelinquenz ausgerichtet.

9. Berufsorientierungsangebote werden zielgruppenorientierter gestaltet und verstärkt auch außerhalb der Schule umgesetzt.

Die Maßnahmen sollen bis zum Beginn der Weihnachtsferien 2023 andauern und erfolgreiche Ansätze anschließend in den Arbeitsalltag überführt werden, heißt es weiter in der Mitteilung des Innenministeriums.

Quelle: Innenministerium Sachsen-Anhalt

Einige Intensivtäter seien bereits verurteilt worden, sagte Steffen Eckold, Staatssekretär im Justizministerium. Gegen zwölf von ihnen seien bereits Urteile gesprochen worden. Einer der Täter erhielt laut Eckold eine Jugendfreiheitsstrafe von fünf Jahren ohne Bewährung. Die neuen Maßnahmen würden nun so schnell wie möglich umgesetzt. "Wir setzen das Konzept ab morgen um", sagte Innenministerin Tamara Zieschang (CDU).

Vergangene Woche hatte die Stadtverwaltung dann gegenüber dem Land Handlungsbedarf formuliert. Demnach ist davon auszugehen, dass auch die Überfälle, die sich seit Anfang des Schuljahrs auf Schulwegen und während der Hofpausen ereigneten, bei dem Treffen thematisiert werden.

Keine Einladung für den Migrationsbeirat

Aktuell ermittelt die Polizei eigenen Angaben zufolge gegen 302 Personen. Etwas weniger als die Hälfte der Verdächtigen seien nichtdeutsche Staatsangehörige. Dennoch wäre der Vorsitzende des Migrationsbeirates der Stadt Halle, Waseem Aleed, gerne zu dem Gipfeltreffen eingeladen worden. Er forderte im Vorfeld mehr Präventionsarbeit und Eilverfahren für Intensivtäter. Diese Ideen würde er "wenigstens gern vortragen" sagt Aleed, "und zeigen, dass wir da sind."

Dazu teilte die Stadt MDR SACHSEN-ANHALT mit, dass nicht die Herkunft für das Kriminalitätsverhalten entscheidend sei, sondern die soziale Situation der Täter. Die Migrantenorganisationen trügen keine Verantwortung für die Bekämpfung von Jugendkriminalität, sagte Stadtsprecher Drago Bock. Es sei aber denkbar, dass in Zukunft zivilgesellschaftliche Organisationen in Beratungen einbezogen würden.

Jugendgewalt in Sachsen-Anhalt nimmt zu

Insgesamt steigt die Anzahl der Übergriffe von Jugendlichen in Halle seit einigen Jahren weiter an. Laut Innenministerium hat die Stadt im Jahr 2023 bis einschließlich August 518 Fälle von Kinder- und Jugendkriminalität mit 484 Jungtatverdächtigen registriert. 305 dieser Straftaten seien vorsätzlich einfache Körperverletzungsdelikte. 148 gefährliche und schwere Körperverletzungen und 57 Raubdelikte seien erfasst worden. 2019 waren es laut Ministerium 388 Fälle mit 342 im Bereich der Kinder- und Jugendgewaltkriminalität.

Die Ermittlungsgruppe "Cornern" hat nach Informationen des Innenministeriums seit Anfang 2022 mittlerweile 706 Ermittlungsverfahren bearbeitet. 432 dieser Ermittlungsverfahren, seien aufgeklärt werden. Aktuell werde gegen 302 Personen im Alter von 11 bis 60 Jahren, hauptsächlich jedoch gegen Kinder und Jugendliche im Alter von 13 bis 18 Jahren, ermittelt. 165 der 302 Tatverdächtigen sind deutsche Staatsangehörige. 137 Tatverdächtige sind nichtdeutsche Staatsangehörige.

Kinder- und Jugendgewaltkriminalität Kinder- und Jugendgewaltkriminalität umfasst alle Straftaten, die zur Gewaltkriminalität zählen und von Tatverdächtigen mit einem Alter zur Tatzeit von bis zu 20 Jahre begangen wurden. Sprecher des Landeskriminalamtes in Magdeburg

Innenministerin Tamara Zieschang zeigte sich schon Anfang des Jahres besorgt. Denn die Jugendgewalt sei kein neues Phänomen für Sachsen-Anhalt. "Dennoch ist die Entwicklung der Fallzahlen nicht zu verharmlosen", so die CDU-Politikerin.

Auch die Jugendkriminalität in Sachsen-Anhalt nimmt im Vergleich zu den vergangenen Jahren weiter zu. Insgesamt 1.295 Straftaten und Gewaltdelikte wurden laut Landeskriminalamt in Magdeburg im vergangenen Jahr registriert – ein neuer Höchstwert für Sachsen-Anhalt.

dpa, MDR (Marc Weyrich, Anja Höhne, Cynthia Seidel)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 02. Oktober 2023 | 15:30 Uhr

35 Kommentare

Anita L. vor 31 Wochen

Man hätte grundsätzlich die Einordnung "einfach" weglassen können, denn das Strafgesetzbuch unterscheidet (Paragraph 223) per se nicht, ob eine körperliche Misshandlung durch einen Faustschlag oder "nur" (interessante Konnotation übrigens...) eine Ohrfeige erfolgt. Das festzulegen, obliegt dem Gericht. Worin genau das Gesetz unterscheidet, kann in den nachfolgenden Paragraphen 224-231 nachgelesen werden, ohne dass es eines "Feldversuchs" (auch sehr interessant, Ihre "Vorschläge") bedarf.

Anita L. vor 31 Wochen

"Als Deutscher darf man nicht stolz auf sein Land sein, oder auf die Geschichte."

Wo steht das? Und warum muss man stolz auf eine nähere oder fernere Geschichte sein, um das Gefühl zu haben, dass das Land, in dem man lebt, wertvoll sei?
Ich bin nicht stolz auf Goethe, Schiller, Herder, Melitta, Karl den Großen...
Ich bin definitiv nicht stolz auf Nazideutschland 33-45 und sein Zustandekommen...
Ich bin froh, dass 89 viele Menschen den Mut fanden, auf die Straße zu gehen und dieses Mal selbst für das Ende eines diktatorischen Systems zu sorgen. Stolz kann ich darauf nicht sein - Ich war zu jung und alle, die ich kannte, waren nicht mutig genug.
Ich bin stolz auf das, was ich in meinem Leben bisher geschafft habe. Ich bin stolz auf meine Kinder. Und auf das Land, in dem ich lebe, das es selbst in solchen Zeiten, wie wir sie gerade haben, schafft, sich nicht wieder auf vermeintlich einfache Lösungen einzulassen; das sich selbst Herausforderungen stellt, die fast unlösbar erscheinen.

Anita L. vor 31 Wochen

Menschen ohne Perspektive greifen irgendwann zu Mitteln, die jenen, welche ihnen diese Perspektiven nicht boten, nicht gefallen. Das war schon immer so. Und genauso, wie dieses Phänomen schon alt und bekannt ist, so ist auch die Reaktion darauf vorhersehbar, weil immer wieder dieselbe... Wobei aktuell noch eine Gesellschaft hinzukommt, die das Gleichgewicht zwischen Generationen, aber auch zwischen Fördern, Fordern und folgerichtigen Konsequenzen aus Handeln verloren hat.

Mehr aus dem Raum Halle und Leipzig

eine Frau im OP-Saal mit Kindern 3 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Mehr aus Sachsen-Anhalt