Prozessbeginn in Magdeburg Jana L. und Kevin S. – Die Opfer des rechtsextremen Anschlags in Halle

22. Juli 2020, 12:09 Uhr

Jana L. und Kevin S. starben beim rechtsextremen Anschlag in Halle im Oktober, zwei weitere Menschen wurden verletzt. Mit dem Prozess, der am Dienstag in Magdeburg beginnt, rücken auch sie wieder in den Blickpunkt.

Wenn am Dienstag der Prozess gegen den Attentäter von Halle, Stephan B., beginnt, rücken auch die Betroffenen des Anschlags wieder in den Blickpunkt. Neben den Angehörigen der beiden Verstorbenen – Jana L. und Kevin S. – sind das Mitglieder der jüdischen Gemeinde Halle und weitere. Nicht jeder Geschädigte des Attentats von Halle und Wiedersdorf, wo zwei Menschen verletzt wurden, ist gleichzeitig Nebenkläger. Die Entscheidung, diese Möglichkeit zu nutzen, obliegt jedem selbst. 

Kurzfristig wurde auch Ismet Tekin, einer der beiden Inhaber des Kiez-Döners, noch zur Nebenklage zugelassen. Zunächst war ihm das verwehrt worden. Weil die Richter bezweifelten, dass der Attentäter ihn töten wollte. Schließlich sei er nicht in der unmittelbaren Nähe gewesen. Dabei verfolgte er die Schüsse im Laden aus wenigen Metern Entfernung. Nach einer Gegendarstellung seines Anwalts kam doch noch die Zulassung. Nun wird Ismet Tekin den Prozess gemeinsam mit seinem Bruder Rifat verfolgen. Der hatte sich während des Anschlags hinter der Theke des Dönerladens in Halle versteckt.

Schlager- und HFC-Fan aus dem Leben gerissen

Seit einigen Monaten gehört beiden das Geschäft. Sie haben es vom vorherigen Inhaber Izzet Cagac übernommen, der beim Anschlag nicht anwesend war. In dem Dönerladen erinnert eine große Gedenkwand an die beiden, die beim Anschlag im Oktober getötet wurden. Kevin S. wollte sich im Kiez-Döner gerade etwas zu essen holen, als der Angeklagte hineinstürmte und auf ihn schoss. Der damals 20-Jährige arbeitete als Maler und war großer Fan des Halleschen FC. Deswegen waren auch verschiedene Fans des Clubs bei Kevins Beerdigung anwesend. Im Fanhaus neben dem Stadion in Halle wurde anschließend eine Gedenkstelle für den Getöteten eingerichtet.* Der Verein spielte anschließend ein Pokalspiel mit Trauerflor und initiierte gemeinsam mit den anderen Profi-Teams in Halle eine Spendenaktion.

Das zweite Opfer war Jana L. Die 40-Jährige wohnte unweit der Synagoge und war großer Schlagerfan. Regelmäßig besuchte sie Konzerte oder große Schlagershows und sammelte Autogramme der Künstlerinnen und Künstler. Noch zwei Tage vor dem Anschlag war sie bei einer Jubiläumssendung, die von Florian Silbereisen moderiert wurde. Auch deshalb erinnerte der Showmaster in einer späteren Show an die Verstorbenen. Viel mehr ist über die beiden Todesopfer nicht bekannt. Auch ihre Familien meiden die Öffentlichkeit weitestgehend.

Zwei Verletzte bei Fluchtversuch

Jens Z. und Dagmar M. wurden beim Fluchtversuch des Attentäters schwer verletzt. In Landsberg-Wiedersdorf verlangte B. von ihnen die Schlüssel für ein Auto. Als er sie nicht bekam, schoss er Jens Z. in den Nacken und Dagmar M. in den Oberschenkel. Anschließend bedrohte der Täter einen weiteren Mann und floh anschließend mit dessen Taxi. Die Eheleute überlebten die Verletzungen und haben sich zumindest körperlich erholt.

Ursprünglich galt der Anschlag der jüdischen Gemeinde in Halle, die an jenem 9. Oktober den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur beging. Der Attentäter scheiterte schwer bewaffnet an der Außentür der Synagoge. Jana L. erschoss er, weil sie zufällig in dem Moment vorbei lief. Auch der Angriff auf den Dönerladen geschah offenbar willkürlich. Zudem versuchte der Attentäter, weitere Menschen zu erschießen, seine Waffe funktionierte jedoch nicht richtig. Vor seiner Flucht aus Halle lieferte sich B. einen Schusswechsel mit Polizisten.

Opferberaterin: "Gesellschaft will schnell zur Normalität zurück"

Von der anschließenden Welle der Solidarität ist nicht viel geblieben, hat Antje Arndt von der mobilen Opferberatung beobachtet. Im NSU-Watch-Podcast sagte sie: "Zunächst gab es ein Gefühl von Ohnmacht und Betroffenheit, das weit über die direkt Beteiligten hinaus ging. Da kann man sagen, Trauma ist ansteckend. Das ändert sich aber relativ schnell. Weil viele nicht direkt Betroffene die Gefühle nicht aushalten. Für die Hauptbetroffenen ist danach nichts mehr wie zuvor. Dem gegenüber steht die Gesellschaft, die so schnell wie möglich zur Normalität zurückkehren will. Das geht mit einem Rückgang der Empathie einher." Ein Trauma zu verarbeiten brauche sehr viel Zeit.

Doch die Gesellschaft sei nicht bereit, diese Zeit aufzubringen, sagt Arndt. Das führe dazu, dass Opfer herabgewürdigt und so doppelt traumatisiert würden. Sie fordert längerfristige Solidarität und dass den Betroffenen auch nach dem Prozess weiterhin professionelle Ansprechpartner und -partnerinnen zur Verfügung stehen sollen. Zudem sollte die Politik Versprechungen beim Kampf gegen rechte Gewalt sehr viel schneller erfüllen.

"Prozess bringt Jana und Kevin nicht zurück"

Das fehlende Anhalten der Solidarität beklagt auch Ismet Tekin. Seit der Wiedereröffnung im November läuft der Dönerladen nicht gut, berichtet Inhaber. "Seit dem Anschlag ist es bis heute schwierig. Ich denke nur noch über die Finanzen nach. Das hatte ich mir nicht gewünscht. Das ist sogar noch schwieriger, als den Anschlag zu verarbeiten. Jeden Tag denke ich: Wie wird heute und wie kann ich das zahlen?" sagte Tekin MDR SACHSEN-ANHALT. Neben den Erinnerungen an den Anschlag mache dem Geschäft auch die Corona-Pandemie zu schaffen. Viele, die Unterstützung zugesagt hatten, würden doch nicht mehr kommen.

Aufgeben wollen Ismet und Rifat Tekin dennoch nicht. "Diese Stelle hat eine Bedeutung für uns, aber auch für die Stadt. Deswegen wollen wir dort auch bleiben und weiter arbeiten. Auch als Zeichen des Zusammenhalts und gegen die Bösen", sagte Ismet Tekin im NSU-Watch-Podcast und schiebt eine klare Forderung hinterher: "Ich war noch nie bei einem Prozess. Dort muss etwas herauskommen, was andere abschreckt, so etwas zu machen. Und er sollte uns Betroffenen auch das Gefühl geben, dass der Täter eine gerechte Strafe bekommen hat. Das ändert den Tag nicht und bringt auch Jana und Kevin nicht wieder zurück. Aber es würde gut tun, wenn er hart bestraft wird."

*In einer früheren Variante des Textes hieß es, Kevin sei Mitglied des Fanclubs "Liberta Crew Chemie Halle" gewesen und Mitglieder des Fanclubs wären bei seiner Beerdigung gewesen. Das ist nicht korrekt.

Quelle: MDR/olei

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 20. Juli 2020 | 19:00 Uhr

7 Kommentare

Eulenspiegel am 22.07.2020

Hallo Heimatloser
Ich denke ein nicht mehr bestehendes Vertrauen in die Demokratie müsste ja irgendwie begründet sein. Ich denk da müssten sie eine Menge erklären. Sie sehen ich bin bereit mit ihnen darüber zu reden.

Der Matthias am 22.07.2020

@ Heimatloser

"Darf denn die Politik anders laufen,als basierend auf ihre Grundfeste?Steht die Demokratie nicht für die "Millionen"für die Menschen,dann läuft etwas schief."

Wo soll denn unsere Demokratie aktuell nicht auf ihren "Grundfesten" basieren bzw. gegen Millionen von Menschen handeln?
Oder verwechseln Sie einfach nur die Begriffe Politik und Demokratie? Politik kann nie die Interessen aller 82 Mio. Deutschen zu 100% erfüllen, andernfalls hätten wir z.B. auch keine Unterscheidung in Regierung und Oppositionsparteien. Mit unserem demokratischem Staatsaufbau als solchem (als dem Überbau unserer Gesellschaft) haben diese politisch divergierenden Meinungen allerdings nichts zu tun. Diese existier(t)en seit Bestehen der Bundesrepublik schon IMMER, völlig unabhängig vom demokratischen Staatswesen.

Der Matthias am 22.07.2020

@ alter Ossi

"Das derzeitige Deutschland, in dem sich viele Menschen ausgegrenzt oder gar geächtet fühlen"

Z.B. auch Deutsche jüdischen Glaubens, siehe das Attentat von Halle!

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