Kinder sind im Wasser in einer Schwimmhalle.
Schwimmlehrerin Cornelia Embacher unterrichtet einen Schwimmkurs in der Neustädter Schwimmhalle in Halle. Alle Kinder hier haben einen Schwimmgutschein vom Land eingelöst. Bildrechte: MDR/Sarah-Maria Köpf

Defizite nach Corona Lange Wartelisten für zu wenig Schwimmkurse: Schwimmgutscheine in Sachsen-Anhalt kaum eingelöst

19. September 2023, 10:56 Uhr

In der Corona-Pandemie ist viel Unterricht in Sachsen-Anhalt ausgefallen. Die Folgen sind noch immer zu spüren, nicht nur in Mathe oder Deutsch. Auch der Schwimmunterricht kam zu kurz. Viele Kinder in Sachsen-Anhalt können deshalb nicht oder nur schlecht schwimmen. Das Land versucht, mit Gutscheinen für kostenlose Schwimmkurse gegenzusteuern. Was in der Theorie gut klingt, funktioniert in der Praxis nur bedingt.

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Im Vorraum der Schwimmhalle in Halle-Neustadt herrscht reges Treiben. Für 12 Kinder startet gleich der zweite Tag ihres Schwimmkurses. Das Besondere an der Gruppe: Die Kinder hier haben alle sogenannte Schwimmgutscheine, ausgestellt vom Bildungsministerium in Sachsen-Anhalt für Schülerinnen und Schüler, die nicht sicher schwimmen können. Niveaustufen und Altersgruppen sind deshalb gemischt, die Kinder besuchen die dritte bis siebte Klasse.

Wie funktionieren die Schwimmgutscheine? Die Schwimmgutscheine des Bildungsministeriums sind für Schülerinnen und Schüler, die in den Schuljahren 2020 bis 2023 nach Abschluss des schulischen Schwimmunterichts keine hinreichende Schwimmfähigkeit erlangt haben. Sie werden seit vergangenem Jahr über die Schulen ausgegeben und können bis 15. Dezember 2025 deutschlandweit bei einem Schwimmkursanbieter eingelöst werden. Das Land übernimmt Kosten von bis 150 Euro.

Auch Jana Hanff ist mit ihrer Tochter Charlotte dabei. Die 10-Jährige hat das Seepferdchen bereits vor der Grundschule absolviert und soll nun Sicherheit erlangen. "Sie hatte in der dritten Klasse Schwimmunterricht. Das war aber durch Corona nicht so, wie wir es von unserer großen Tochter kannten. Der weiterführende Kurs fiel komplett aus. Dadurch konnte kein Schwimmabzeichen gemacht werden, was einen sicheren Schwimmer am Ende aber ausmacht", erzählt die Mutter aus Halle-Dautzsch.

Eine Frau steht neben ihrer Tochter in einer Schwimmhalle.
Charlotte hat bereits das Seepferdchen und soll nun die Schwimmstufe Bronze erhalten. Mutter Jana Hanff hofft, dass ihre Tochter so eine sicherere Schwimmerin wird. Bildrechte: MDR/Sarah-Maria Köpf

Als sie den Gutschein von Charlottes Schule erhält, nimmt sie das Angebot dankend entgegen. Im Januar ruft sie in der Neustädter Schwimmhalle an und landet zunächst auf der Warteliste. Doch dann hat sie Glück und Charlotte bekommt einen Platz für das aktuelle Schuljahr. Keine Selbstverständlichkeit, weiß Jana Hanff. "Weiterführende Schwimmkurse sind in Halle recht schlecht zu finden. Ohne Gutschein gibt es tatsächlich wenige Schwimmkurse, es sei denn man geht in einen Verein", erzählt sie.

Schwimmgutscheine bisher hinter Erwartungen

Eva Feuߟner (CDU), Bildungsministerin in Sachsen-Anhalt.
Bildungsministerin Eva Feußner gibt zu, dass die Schwimmgutscheine hinter den Erwartungen bleiben. Bildrechte: dpa/picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Christian Modla

Diesen Eindruck bestätigt auch Elmer Emig, Sprecher des Bildungsministeriums Sachsen-Anhalt. Von den möglichen externen Anbietern würden fast ausschließlich Seepferdchen-Kurse angeboten. Aufbaukurse zum Erwerb des sicheren Schwimmens gebe es dagegen kaum. Das ist einer der Gründe, warum die Schwimmgutscheine bisher hinter den Erwartungen zurückbleiben.

"Die Schwimmgutscheine werden nicht so gut angenommen, wie ich mir das vorgestellt habe", sagt auch Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) zu MDR SACHSEN-ANHALT. Von den rund 5.000 ausgestellten Schwimmgutscheinen an mehr als 500 Schulen seien derzeit zirka 400 eingelöst worden, erklärt die Ministerin. Trotzdem sei man mit dem Projekt erst einmal zufrieden. "Das Problem ist, dass die Eltern den Gutschein in Eigenregie in den Schwimmanstalten einlösen müssen", so Feußner weiter. Viele Kurse seien aber schon voll, einige Schwimmhallen im Sommer geschlossen.

Kurse speziell nur für die Gutscheine einzurichten, sei nicht leicht, erzählt Holger Friedrich, Vorstandsmitglied der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) in Halle. "Wir haben die normalen Angebote, die ganzjährig weiterlaufen. Das war gerade am Anfang mit den Gutscheinen schwierig und ist auch jetzt noch ein Problem. Uns fehlen schlichtweg die Zeiten in den Schwimmhallen und Freibädern." Trotzdem seien die Schwimmgutscheine ein gutes Produkt. Nach ersten Anlaufschwierigkeiten würden sie nun die Arbeit der DLRG ergänzen, auch wenn sie am Ende nicht das Gesamtproblem lösen könnten.

Ein Mann mit hellen Haaren steht in einem Rettungsboot auf dem Land.
Holger Friedrich von der DLRG kennt die Probleme rund um die Schwimmkurse: Das Bädersterben und fehlendes Personal führt zu langen Wartelisten im Land. Bildrechte: MDR/Sarah-Maria Köpf

Lange Wartezeit für Schwimmkurse in Sachsen-Anhalt

Denn fehlende Schwimmlehrer und ein Bädersterben in Sachsen-Anhalt verschärfen die Situation. "Wir haben teilweise Wartelisten von bis zu zwei Jahren", sagt Friedrich. Dabei sei der Nachholbedarf sehr groß. "Wir haben zwei Jahrgänge, die komplett kein Angebot hatten in der Corona-Zeit. Das werden wir nicht so einfach aufholen können. Es werden Kinder auf der Strecke bleiben. Das macht uns Sorgen."

Wir haben zwei Jahrgänge, die komplett kein Angebot hatten in der Corona-Zeit. Das werden wir nicht so einfach aufholen können.

Holger Friedrich DLRG Halle

DLRG: Schwimmfähigkeit der Kinder nimmt ab

Kinder sitzen auf dem Boden in der Schwimmhalle und üben Beinbewegungen
Auf die Technik kommt es an: Deshalb üben die Kinder die Beinbewegungen zunächst im Trockenen. Bildrechte: MDR/Sarah-Maria Köpf

Vor der Pandemie sei die Quote im Anfängerschwimmen sehr gut gewesen. Etwa 90 Prozent der Grundschulkinder konnten die Schwimmfähigkeit erlangen. Durch Corona und das Schwimmbadsterben sei diese Zahl drastisch gesunken. Auch ein höherer Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund spiele in der Statistik eine Rolle. "Es gibt erste Prognosen mit 60 Prozent Schwimmfähigkeit", erklärt Friedrich weiter. Parallel würden die Unfallzahlen und Rettungsfälle steigen.

Dass die Schwimmfähigkeit abnimmt, bemerkt auch Grundschullehrerin Cornelia Embacher. 30 Jahre lang war sie Schwimmtrainerin, seit zwei Jahren gibt sie auch Kurse im Schulschwimmen in der Neustädter Schwimmhalle. "Es ist traurig", attestiert sie. Die großen Leistungsunterschiede in den Schwimmkursen sind für sie eine Herausforderung. Alle auf einen Nenner zu bringen, sei da nicht immer leicht. "Manche Kinder können gar nicht schwimmen, und manche möchten eigentlich nur den Schwimmpass beziehungsweise das Seepferdchen", sagt sie.

Eine Frau mit kurzen dunklen Haaaren und blauem Shirt steht vor dem Schwimmbecken.
Cornelia Embacher ist seit zwei Jahren Schwimmlehrerin für Kinder – neben ihrem Job als Grundschullehrerin. Bildrechte: MDR/Sarah-Maria Köpf

Im Kurs selbst lässt sie sich das nicht anmerken. Für die Gruppe rund um Charlotte geht es das erste Mal ins große Becken. Nach einer runde Strampeln im Wasser, werden die Beinbewegungen auf dem Trockenen geübt, bevor die Kinder dann einen ersten Sprung vom Startblock wagen. Die Schwimmgutscheine findet Embacher eine "Supersache", auch, wenn es kaum Möglichkeiten gebe, die Kurse anzubieten, da die Bäder voll seien. "Die Nachfrage ist groß und alles werden wir nicht decken können", bedauert auch sie. Hoffnung setzt sie in die Laufzeitverlängerung der Gutscheine. Denn ursprünglich sollten diese nur bis Ende des Jahres gelten. Jetzt können sie bis Dezember 2025 eingelöst werden. In Halle Neustadt gibt es deshalb schon Wartelisten für 2024.

Die Nachfrage ist groß und alles werden wir nicht decken können.

Cornelia Embacher Schwimmlehrerin

Schwimmzentren und Unterstützung durch Sportlehrer

Im Bildungsministerium arbeitet man derweil an weiteren Lösungen. "Wir wollen sogenannte Schwimmzentren organisieren, wo der Schwimmunterricht der Schulen dann stattfinden kann", sagt Bildungsministerin Eva Feußner. Damit soll die Organisation erleichtert werden, denn oft sei vor allem die Logistik das Problem. Sportlehrer, die ohnehin verpflichtend einen Rettungsschwimmerschein haben, könnten im Schwimmunterricht unterstützen und so die Bademeister entlasten. In den weiterführenden Schulen solle zudem mehr auf die Schwimmfähigkeit der Kinder geachtet werden. "Wir haben den Lehrplan im Sekundarbereich so angepasst, dass jetzt auch Bewegung im Wasser ein obligatorischer Aspekt des Sportunterrichts ist", so die Ministerin.

Kinder am Beckenrand in der Schwimmhalle Neustadt
Auch in der Neustädter Schwimmhalle gibt es bereits Wartelisten für 2024. Bildrechte: MDR/Sarah-Maria Köpf

Holger Friedrich von der DLRG wünscht sich indes, dass so etwas wie die Schwimmgutscheine nach Ende der Laufzeit weiter bestehe. Denn Schülerinnen und Schüler, die im Schwimmunterricht auf der Strecke bleiben, gebe es immer. Dabei brauche es gar nicht viel, um fürs Schwimmen zu begeistern: "Wasser und Kinder – das passt wie die Faust aufs Auge", sagt er.

Auch Charlotte Hanff kommt bisher gern in den Schwimmkurs in die Neustädter Schwimmhalle. Dass das Wasser so schön nass und kühl sei, gefalle ihr besonders gut, erzählt sie. "Ihr habt das heute super gemacht", lobt Schwimmlehrerin Cornelia Embacher am Ende der 45-minütigen Schwimmstunde. Hausaufgaben gibt es dann aber trotzdem: Die Kinder sollen das sogenannte "Anhocken-Grätschen-Schließen" der Beine üben. Eine wichtige Voraussetzung auf dem Weg zum Schwimmabzeichen.

MDR (Sarah-Maria Köpf) | Erstmals veröffentlicht am 17.09.2023

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 17. September 2023 | 19:00 Uhr

4 Kommentare

Moewe1 vor 32 Wochen

Wird Zeit , dass sich die Eltern mal wieder selbst um Ihre Kindern kümmern und ein bißchen Verantwortung übernehmen. Schwimmen lernen können Kinder auch mit Hilfe ihrer Eltern. Da ging bei mir und bei meinem Sohn auch. Man muss nicht alles auf die Schule, DLRG usw abwälzen.
Fahrt ins Hallenbad! Das hilft auch den Betreibern!

Paul90 vor 32 Wochen

Ja, dran bleiben. Schwimmen lernen ist wichtig.
Vielleicht könnte man die 150€ auch an die Eltern auszahlen, die mit dem Seepferdchen - Nachweis zur Behörde kommen. Ich meine, das Schwimmen können Kinder auch ohne professionelle Anleitung lernen.

roleffko vor 32 Wochen

Bitte nicht die 150€ auszahlen.

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