Konferenz der Landräte Sachsen-Anhalt erstickt in Bürokratie: Landkreise fordern Reform
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13. September 2024, 12:41 Uhr
Anträge, Vorschriften, Richtlinien, Geltungsbereiche – wer in Deutschland lebt, muss sich mit der Bürokratie beschäftigen. Die Ampelregierung brachte seit dem Jahr 2021 immerhin 285 neue Gesetze auf den Weg. Aber auch in Sachsen-Anhalt mangelt es nicht an bürokratischen Vorgaben. Jetzt fordern Sachsen-Anhalts Landräte einen deutlichen Bürokratieabbau.
- In Sachsen-Anhalt gibt es mehr als 2.300 Verwaltungsvorschriften, die viele Lebensbereiche regeln, was zunehmend auf Widerstand stößt.
- Landkreise fordern einen Bürokratieabbau, weil die Vielzahl an Vorschriften die Arbeit erschwere und öffentliche Ausschreibungen unnötig kompliziert mache.
- Zudem wird kritisiert, dass die Verwaltung durch Misstrauen und Kontrollen ineffizient würde, was auch wirtschaftliche Nachteile wie Abwanderungs-Tendenzen zur Folge habe.
Im Internet findet sich ein Portal, in dem alle Gesetze und Verordnungen für Sachsen-Anhalt aufgelistet sind. Derzeit gibt es 2.347 Verwaltungsvorschriften, die so ziemlich jede Wechselfälle des Lebens abbilden. Unter dem Kürzel TL VBit-StB 22 finden sich zum Beispiel "Technische Lieferbedingungen für gebrauchsfertige viskositätsveränderte Bitumen". Hinter der Abkürzung "InfraRili" verbirgt sich die "Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Investitionen in die öffentliche Eisenbahn-Infrastruktur nicht bundeseigener Eisenbahnen für den Güterverkehr in Sachsen-Anhalt".
Aber es gibt auch Regelungen für "Dienstausweise für Personen, die mit örtlichen Arbeiten zur Durchführung des Vermessungs- und Geoinformationsgesetzes Sachsen-Anhalt beauftragt sind" oder die Richtlinie "über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Maßnahmen des Herdenschutzes vor dem Wolf und der Gewährung von Billigkeitsleistungen für den Ausgleich von Sachschäden durch Wolf oder Luchs in Sachsen-Anhalt".
Verwalten wir uns zu Tode?
Zweifellos sind das alles wichtige Anliegen, doch wenn inzwischen die Verwaltung selbst über zu viel Verwaltung klagt, dann gibt es da wohl doch Regelungsbedarf. Ariane Berger ist Geschäftsführerin des Landkreistages, ein Zusammenschluss von Sachsen-Anhalts Landkreisen. Und hier formiert sich nun Widerstand: "Die Idee, jeden Einzelfall bis ins letzte Komma regeln zu wollen, funktioniert nicht mehr", stellt Berger fest.
Deutlich macht sie das am Beispiel der öffentlichen Ausschreibung. Wer eine Tonne Radiergummies bestellt, muss nicht nur Preis und Qualität beurteilen, sondern darauf achten, dass es in der Lieferkette keine Kinderarbeit gab, dass die Firma keine Frauen benachteiligt sowie Umweltschutz und Nachhaltigkeit beachtet. "Da wird eine Ausschreibung missbraucht für die Durchsetzung sonstiger hehrer Ziele", kritisiert Berger.
Landkreise fordern Bürokratieabbau
Auf der Konferenz der Landräte, die am Donnerstag und Freitag in Stendal tagen, spielt das Thema eine große Rolle. Denn die Landkreise fordern seit längerem eine Entbürokratisierung. Im Oktober letzten Jahres ist deshalb ein Beschwerdeportal im Internet eingerichtet worden unter dem Titel: "Bürokratiestopp jetzt" – gemeinsam mit den Industrie- und Handelskammern, dem Bauernverband und den Handwerkskammern.
Zwar klagen fast alle über zu viel Bürokratie, die Beteiligung war aber eher mäßig, räumt Ariane Berger ein: "Das Thema ist sperrig und das Interesse damit begrenzt, auch wenn das mediale Echo auf die Initiative selbst sehr groß war. Und das zeigt: Das Thema ist wichtig."
Bürger als Datenspender
Und das merkt man schon an einfachen Dingen: Wer immer irgendwo einen Antrag stellt, muss die ewig gleichen Kästchen ausfüllen. Ariane Berger spricht von Mehrfach-Erfassung: "Der Bürger muss stetig neu erklären: Wer ist, was er ist, was er tut, mit wem er verheiratet ist und wie viel er verdient, wo er wohnt und so weiter." Und regelmäßig muss er sein Geburtsdatum angeben, weil sich das ja offenbar ständig ändert. Andere Länder zeigten, wie man es besser macht, sagt Ariane Berger und verweist auf Österreich: "Dort übernehmen die Versicherungen die Kfz-Zulassung, das entlastet Bürger und Verwaltung."
Grundproblem Misstrauen
Derzeit betreibt Sachsen-Anhalt ein aufwendiges Verfahren, um die eigene Verwaltung zu kontrollieren. Das Landesverwaltungsamt überwacht die Landkreise, die Landkreise kontrollieren die Gemeinden und die Ministerien haben die Oberaufsicht. Der Präsident des Landkreistages, Götz Ulrich (CDU), sagte auf der Tagung des Verbandes am Freitag in Stendal, dass die Landräte weniger Kontrollinstanzen wollen.
So könne beispielsweise das Landesverwaltungsamt mit Sitz in Halle verschlankt werden: "Wir fordern nicht die Abschaffung des Landesverwaltungsamtes", so Ulrich, aber notwendig sei der Abbau von Doppelstrukturen. Die Gemeinden und Landkreise seien in der Lage, auch mit weniger Aufsicht und Kontrolle zuverlässig zu arbeiten. "Wir erwarten vom Land, dass uns dieses Vertrauen auch entgegengebracht wird", sagte Ulrich.
Doch inzwischen hat sich herumgesprochen, dass es auch anders geht. Schleswig-Holstein ist derzeit das Traumziel für Sachsen-Anhalts Verwaltungs-Experten. Die Landräte waren schon da, auch die Landesregierung hat sich informiert. Es war eine interessante Dienstreise, bestätigt Ariane Berger, denn in Größe und Einwohnerzahl ist das Land mit Sachsen-Anhalt vergleichbar: "Dort haben wir uns die Kommunalaufsicht angeschaut. Während wir das mit 13 Vollzeitstellen erledigen, braucht Schleswig-Holstein dafür gerade mal eine Person. Wir fahren das Land gegen die Wand, wenn wir da nicht ein Stoppschild setzen."
Über das Thema haben die Landräte nach Angaben von Götz Ulrich (CDU) bereits am Donnerstag ausführlich mit Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) gesprochen. Dieser habe zugesagt, die Vertreter aller kommunalen Spitzenverbände in die Diskussion einzubeziehen und eine Reformkommission einzuberufen.
Wirtschaft droht mit Abwanderung
Wenn Sachsen-Anhalts Landräte eine deutliche Änderung in den Verwaltungsstrukturen fordern, dann tun sie das nicht nur aus eigenem Interesse. Denn die Landräte sind in Aufsichtsgremien der regionalen Sparkassen vertreten. Dieser Kontakt zur regionalen Wirtschaft ist wichtig, um Probleme frühzeitig zu erkennen. Und auf diesem Weg kämen derzeit kaum positive Meldungen, so Ariane Berger: "Unsere Sparkassen berichten von erschütternden Zahlen im Kredit-Bereich bei unseren kleinen und mittleren Unternehmen. Daran sieht man, wieviel Abwanderungs- und Schließungs-Wille sich derzeit aufbaut."
MDR (Uli Wittstock)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 13. September 2024 | 10:00 Uhr
Shantuma vor 3 Wochen
Wer Bürger gegen Bürokratie braucht, der sollte den Laden einfach komplett auflösen und von vorne anfangen, das ist wesentlich einfacher. Denn, der Bürger kann zwar sagen, dass sie bürokratisch, aber die Standardantwort ist dann halt auch "das muss so".
Wilhelm vor 3 Wochen
Bei dem Wunsch nach Bürokratieabbau sollte eines nicht vergessen werden: Es gab einmal Gründe, warum diese und jene Vorschrift erlassen wurde. Es stellt sich deshalb die Frage, ob es diese Gründe noch gibt. Und eines gilt auch: Wenn man in der Verwaltung etwas ändern will, müssen die Mitarbeiter/-innen mitgenommen werden. Die Forderung nach Bürokratieabbau dürfte also den Mitarbeiter/-innen in den Verwaltungen eher Angst statt Freude machen. Unter Umständen sogar mehr Arbeit, weil keine Checklisten abgearbeitet werden können. Das gleiche Phänomen dürfte auch für die gewünschte Digitalisierung der öV zutreffen.
Euphemismus vor 3 Wochen
Das wird nix die Held:innen werden auch zum Bürokratieabbau eine Behörde gründen und Personal aufbauen.
einfach mal die Zahlen anschauen, Was wächst bei gleichzeitig sinkender Leistung?
sapere aude