Stimmzettel für die Briefwahl zu den Landtagswahlen
Am 6. Juni 2021 wählt Sachsen-Anhalt einen neuen Landtag. Bildrechte: imago images / nordpool/Zander

Serie zur Wahlbeteiligung "In Sachsen-Anhalt gleicht die Wahlbeteiligung einer Berg- und Talfahrt"

16. Mai 2021, 16:55 Uhr

Eigentlich wird die Wahlbeteiligung erst nach einer Wahl analysiert. 2021 ist ein wenig anders: Im Superwahljahr mit gleich mehreren Wahlen auf Landes- und Bundesebene steht die Frage im Raum, inwiefern die Corona-Pandemie die Beteiligung beeinflussen könnte. MDR SACHSEN-ANHALT blickt im letzten Teil der Reihe zur Wahlbeteiligung mit Kerstin Völkl, Politikwissenschaftlerin der Universtität Halle, auf die bevorstehende Landtagswahl in Sachsen-Anhalt.

MDR SACHSEN-ANHALT: Frau Völkl, in den vergangenen Monaten war öfter die Rede davon, dass die Corona-Pandemie für die bevorstehenden Wahlen eine Zäsur darstellt und sie sich auch auf die Wahlbeteiligung auswirken könnte. Inwiefern ist davon auszugehen, dass genau das zur Landtagswahl am 6. Juni in Sachsen-Anhalt passiert?

Kerstin Völkl: Einen Effekt wird es mit Sicherheit haben und vermutlich nicht unbedingt einen positiven. Die Tendenz geht dahin, dass die Leute eher verunsichert sind, wahrscheinlich noch verunsicherter, als sie es sonst sind. Allerdings muss man bedenken: Die Situation als solche, dass ein bestimmter Anteil der Bevölkerung nicht weiß, was er wählen soll und deshalb die Möglichkeit der Nicht-Wahl nutzt, ist nicht außergewöhnlich.

Aber Corona macht das Ganze mit Sicherheit nicht besser und man hat es auch bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg im März diesen Jahres gesehen. Dort ist die Wahlbeteiligung geringfügig zurückgegangen. Folglich würde ich davon ausgehen, dass das in Sachsen-Anhalt wahrscheinlich ähnlich ist.

Die Expertin: Das ist Kerstin Völkl Kerstin Völkl ist Politikwissenschaftlerin und hat an der Universität Stuttgart promoviert. Seit 2008 ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politikwissenschaft der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und ist dort verantwortlich für den Bereich "Methoden". Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Partizipations- und Wahlforschung, Politische Kultur und Politische Kommunikationsforschung.

Die Corona-Pandemie ist ein außergewöhnliches Ereignis. Lassen sich ähnliche Ereignisse oder Umbrüche an der Wahlbeteiligung früherer Landtagswahlen ablesen?

Da sind durchaus Effekte festzustellen, wobei man sagen muss: In Sachsen-Anhalt gleicht die Wahlbeteiligung ohnehin einer Berg- und Talfahrt. Wir hatten 2006 wirklich einen Tiefpunkt erreicht mit 44,4 Prozent. Das war die niedrigste Beteiligung überhaupt bei einer Landtagswahl. 2011 gab es wieder einen kleinen Mobilisierungseffekt mit gut 51 Prozent. Das war wahrscheinlich ein Effekt, der auf die Atomkatastrophe in Japan zurückzuführen ist. Der hat eine Mobilisierung ausgelöst. 2016 ist dieser Effekt noch stärker zutage getreten und zwar durch die Flüchtlingskrise. Das war bei verschiedenen Wahlen zu beobachten, dass hier ein mobilisierender Effekt aufgetreten ist.

Jetzt gibt es sicher auch viele weitere Gründe, warum sich Menschen dagegen entscheiden zu wählen. Welche Erkenntnisse hat die Forschung hier sammeln können?

Grob gesagt gibt es in der Forschung generell drei Hauptgründe, warum Bürgerinnen und Bürger sich nicht an einer Wahl beteiligen. Die einen sagen, sie können nicht. Die anderen wollen nicht und die anderen sagen, sie wurden nicht gefragt. Was steckt hinter dem "Ich kann nicht"? Das heißt, dass Personen nicht über bestimmte Ressourcen verfügen, die sich auf eine Wahlbeteiligung förderlich auswirken. Damit ist in erster Linie das Bildungsniveau gemeint. Personen, die über ein geringeres Bildungsniveau verfügen, beteiligen sich seltener an Wahlen.

Das reine "Können" gibt aber nicht der Hauptausschlag, sondern das Wollen. Viele sagen, sie wollen nicht wählen gehen, weil sie nicht politisch interessiert sind. Sie fühlen sich vielleicht auch nicht kompetent. Sie haben ein geringes Wissen. Viele wissen noch gar nicht, wen sie wählen sollen, weil sie beispielsweise auch die Kandidaten und Kandidatinnen nicht kennen. Das hat zum Beispiel die Umfrage vpm Ende April ergeben, dass von allen Parteien, mit Ausnahme der CDU, die den Ministerpräsidenten stellt, die Spitzenkandidaten und -kandidatinnen von 70 Prozent der Bürger und Bürgerinnen nicht gekannt werden. Das ist natürlich nicht gerade eine ideale Ausgangssituation.

Viele Bürgerinnen und Bürger vertrauen auch nicht mehr der Politik, der Regierung, den Parteien. Sie haben ein kritisches Meinungsbild von der Demokratie – auch das sind Punkte, die sich nicht förderlich auswirken, wenn es darum geht, eine Stimme bei der Wahl abzugeben. Allerdings muss man erwähnen – auch das hat die Forschung herausgefunden –, dass die Unterstützung populistischer oder radikaler ideologischer Positionen sich durchaus positiv auf die Wahlbeteiligung auswirkt. Das haben wir 2016 beobachten können, ganz konkret in Sachsen-Anhalt, wo es der AfD gelungen ist, sehr stark Nichtwähler zu mobilisieren.

Und noch ein Satz zu dem Nicht-Gefragt-werden zur Erklärung: Das bedeutet, dass man auch in ein Netzwerk eingebunden sein sollte, das mobilisierend wirkt. Wenn ich von lauter Freunden umgeben bin, die sowieso sagen: "Ach, alles Mist, muss ich nicht machen," dann wirkt sich das auch nicht förderlich auf die Wahlbeteiligung aus.

Was bedeutet das für die Parteien? Bis zur Landtagswahl sind es jetzt noch gut drei Wochen – haben sie überhaupt noch eine Chance, die Menschen zu erreichen, die nicht wählen gehen wollen oder auch die Unentschlossenen?

Da muss man die Corona-Situation berücksichtigen. Wir haben ja jetzt die Rahmenbedingungen, dass aufgrund der Kontakt-Beschränkungen und der Hygienevorschriften der Briefwahlanteil mit Sicherheit stark erhöht sein wird.

Briefwahl kann, sobald die Wahlbenachrichtigung im Briefkasten gelandet ist, beantragt werden. Die meisten werden sie wahrscheinlich schon erhalten haben oder in der nächsten Woche erhalten. Folglich werden etliche Bürgerinnen und Bürger schon vor dem 6. Juni abstimmen und damit ist natürlich die Wahl-Entscheidung getroffen. Somit wird es zunehmend schwieriger, dass in der heißen Wahlkampfphase auf den letzten Metern noch erreicht werden. Die Parteien werden aufgrund der Corona-Situation diesmal ausgebremst und haben damit nicht die Chance, auf den letzten Metern noch viel zu bewirken.

Dabei ist der Anteil der Bürgerinnen und Bürger, die sich wirklich in der letzten Woche, teilweise sogar erst in der Wahlkabine entscheiden, in den vergangenen Jahren sehr stark gewachsen. Hier ist durch die Corona-Pandemie allerdings eine andere Situation entstanden.

Sich nicht an einer Wahl zu beteiligen ist genauso ein Recht wie sich zu beteiligen. 2016 haben, obwohl der Anteil sank, 39,9 Prozent der Wahlberechtigten in Sachsen-Anhalt keine Stimme abgegeben. Das ist mehr als ein Drittel. Warum ist das langfristig problematisch?

Das ist aus demokratischer Sicht ein ganz großes Problem und auch durchaus besorgniserregend. Normalerweise sollten sich ja alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen an Wahlen beteiligen, unabhängig von Bildungsniveau und Einkommensverhältnissen. In den letzten Jahren zeichnet sich das Gegenteil verstärkt ab. Die soziale Spaltung zwischen Wählern und Nichtwählern nimmt immer mehr zu – auf der einen Seite Personen, die Ressourcen-stark sind und sich beteiligen, und auf der anderen Seite diejenigen, die Ressourcen-schwächer sind und sich zunehmend in die Nicht-Wahl zurückziehen.

Da sollte man sich in der Tat darüber Gedanken machen, was für Möglichkeiten bestehen, zu einer Erhöhung der Wahlbereitschaft beizutragen. Und da gibt es etliche Vorschläge. Ganz zentral hierbei ist, dem "Nicht-Wollen" entgegenzuwirken. Dass das aber eine große Herausforderung ist, diese Entfremdung zwischen Politik und Bürgern abzubauen, das haben die letzten Jahre gezeigt. Es ist ja auch kein neues Argument, dass man daran arbeiten muss.

Gerade wenn man an die jüngeren Bürgerinnen und Bürger denkt, die sich tendenziell eher weniger beteiligen. Da könnte natürlich E-Voting (digitale Abstimmungen) ein spannendes Thema sein, um auf diese Art und Weise dieses Wählerklientel verstärkt anzusprechen.

Die Fragen stellte Marie-Kristin Landes.

MDR/Marie-Kristin Landes

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 13. Mai 2021 | 17:00 Uhr

10 Kommentare

pwsksk am 17.05.2021

Naja, im Westen spielt der Glaube immer noch eine große Rolle, oder? Staat und Kirche usw. Dafür wissen aber die meisten Ossis, was wirkliche Arbeit ist und das der Strom aus der Steckdose erzeugt werden muß.

pwsksk am 17.05.2021

Sie sollten sich einfach die Nachrichten der ÖffentlichRechtlichen anschauen. Dann brauchen sie nicht differenzieren und könnten, wenn sie wollten, auch ein Ursache-Wirkungsprinzip feststellen. Haben wir in der polytechnischen Oberschule gelernt. Stupides SchwarzWeißDenken nützt in den Extremismusdebatten nämlich nichts, sonst bleibt zuviel von der Wahrheit auf der Strecke. Aber schrieb ich ja schon.

Eulenspiegel am 17.05.2021

Hallo pwsksk
"Erscheinungen" in westdeutschen Städten anschauen, sonst leugnen wir die Wahrheiten.“
Können sie diesen Satz mal differenziert erklären?
Natürlich mit Belege.

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