Die Spitzenkandidaten der sechs großen Parteien zur Landtagswahl, von links nach rechts: Eva von Angern (Die Linke), Cornelia Lüddemann (Grüne), Katja Pähle (SPD), Reiner Haseloff (CDU), Lydia Hüskens (FDP), Oliver Kirchner (AfD)
Die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der sechs großen Parteien zur Landtagswahl Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

#LTWLSA-Landtagswahl-Update | Freitag, 17. September 2021 Haseloffs dritte Amtszeit beginnt mit Makel

17. September 2021, 19:00 Uhr

Das Update zur Landtagswahl: In Ausgabe 3, unserer vorerst letzten, geht es um Haseloff und seine acht Abweichler in der Koalition. Außerdem Thema: Wie die Opposition im Landtag jetzt arbeitet. Und: Wie eine sogenannte Klimaklage Sachsen-Anhalts Klimaschutz-Politik verändern könnte.

Thomas Vorreyer
Bildrechte: MDR/Luca Deutschländer

Guten Abend, liebe Politikinteressierte!

Da passt man einmal nicht auf und schon wacht man im "Wackelpudding der Republik" auf. So sieht zumindest der Berliner "Tagesspiegel" Sachsen-Anhalt. Was war passiert? Der neue Ministerpräsident ist auch der alte. Allerdings brauchte Reiner Haseloff am Donnerstag gleich zwei Anläufe, um gewählt zu werden. Beim ersten Mal versagten ihm mindestens acht Abgeordnete der neuen schwarz-rot-gelben Koalition die Zustimmung. Beim zweiten Wahlgang waren es immerhin noch drei.

Kein guter Start kommentierten anschließend Medien aus Sachsen-Anhalt und von außerhalb unisono. Meine Meinung: Es war ein Weckruf. Die Harmonie der selbst ernannten "Deutschland-Koalition" hat Risse bekommen – damit kennt man sich allerdings aus.

Ob "Wackelpudding" oder nicht: Sachsen-Anhalt bleibt Sachsen-Anhalt. Kein politisches Großereignis ohne Überraschungen und Experimente. Was davor und danach geschah, wer das Land nun vor das Bundesverfassungsgericht ziehen möchte und wie die zweite Reihe der neuen Landesregierung aussieht, damit beschäftigen wir uns in diesem Update.

Schön, dass Sie wieder dabei sind.

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Die letzten Wochen kompakt

Bevor Haseloff überhaupt wieder antreten konnte, musste noch einiges geschehen.

  • Eva Feußner, Tamara Zieschang, Franziska Weidinger und Sven Schulze: Die vier neuen Ministerinnen und Minister für das Kabinett Haseloff III wurden wie erwartet mit ihren fünf Kollegen benannt. Damit kommen auch vier neue Staatssekretäre ins Amt. Für Digitalisierung im neuen FDP-geführten Ministerium ist nun Bernd Schlömer, Ex-Piraten-Bundeschef, zuständig. Für Infrastruktur (ehemals Landesentwicklung und Verkehr) nun Sven Haller. Beide haben ein gelbes Parteibuch. Rot ist das von Steffen Eichner. Er wird Umweltsstaatssekretär im neuen Ministerium für Ministerium für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt.

  • Zwischen Bildungsministerin Feußner und Wirtschaftsminister Schulze, diesmal in seiner Rolle als Landesvorsitzender, hatte es um die Besetzung des Bildungsstaatssekretärs noch heftig gekracht. Wie die "MZ" berichtet, musste Haseloff höchstpersönlich zum Schlichtungsgespräch laden. Staatssekretär ist nun Frank Diesener, Förderschulleiter aus dem Harz und Landeskind. So soll es sich die CDU-Fraktion gewünscht haben.
  • Sachsen-Anhalt führt die 2G-Regel ein, allerdings auf freiwilliger Basis. Die Landesregierung will es Veranstaltern und Betreiber selbst überlassen, ob sie Negativ-Geteste künftig ausschließen und nur Geimpften oder Genesen Zutritt zu Räumen oder Veranstaltungen gewähren. Der AfD-Fraktion im Landtag geht das dennoch zu weit. Sie hat eine Sondersitzung des Gesundheitsausschusses beantragt. Derweil hat mein Kollege Manuel Mohr sich eine neue Kennzahl der Corona-Politik angeguckt: Die sogenannte Hospitalisierungsrate taugt aus seiner Sicht allerdings in der jetzigen Form allerdings nicht als politischer Parameter.

Das Zitat der Woche

Ich bin mir ziemlich sicher, dass bei vielen Projekten, (…) auch Ihre Stimmen hochgehen werden, weil Sie so zufrieden mit uns sind.

Reiner Haseloff im Landtag an die Adresse der nun oppositionellen Grünen

Als wiedergewählter Ministerpräsident musste Reiner Haseloff gleich ein paar Angriffe in einer Aktuellen Debatte parieren. Die hatte die Linksfraktion beantragt, weil Haseloff - wie in den letzten Legislaturen üblich - seine erste Regierungserklärung erst im Oktober, bei der ersten Sitzung nach Kabinettsvereidigung, halten wird. Gelegenheit für die Linke nochmal Wahlkampf für die Bundestagswahl zu machen. Aber auch zu fragen, wo die neue Landesregierung eigentlich den Rotstift ansetzen will. Immerhin wurden Einsparungen vereinbart.

Eine Antwort bekam Linken-Fraktionschefin Eva von Angern nicht wirklich. Haseloff warb für sein neues Bündnis. Davon ist er offenbar so sehr überzeugt, dass er in Richtung der Grünen schließlich sagte, die kämen bald gar nicht mehr drumherum, dem Klimaschutz á la anheim zu fallen. Eine mutige Prognose.

Nehmen wir uns aber die Zeit und schauen, nachdem wir uns so sehr mit der neuen Koalition beschäftigt haben, auf die Opposition. Alle drei Fraktionen setzen nach der ernüchternden Wahlnacht weiterhin auf das bewährte Spitzenpersonal. Dennoch zeigen sich erste Unterschiede in der politischen Arbeit:

Die AfD wunderte sich, dass die Linke nicht den Oktober hatte abwarten können. Selbst hatte man allerdings keine eigenen parlamentarischen Initiativen für die zwei Sitzungstage mitgebracht (von der Beantragung einer Sondersitzung des Gesundheitsausschusses einmal abgesehen). Auch den Kandidaten für das Amt des Landtagsvizepräsidenten musste man zurückziehen: Der Fraktion war bei der Nominierung nicht klar gewesen, dass gegen Matthias Lieschke weiterhin wegen Steuerhinterziehung ermittelt wird. Nun soll es im Oktober einen dritten Anlauf geben - mit einem Kandidaten, bei dem es "schwerer wird, etwas zu finden", so Fraktionschef Kirchner.

Die Grünen setzen erstmal den Klimaschutz als wichtigstes Thema. Haseloff musste zwei Fragen aus der Fraktion zu seinen Ambitionen auf diesem Feld beantworten. Dabei spielten auch Haseloffs Enkel eine Rolle. Vielleicht reagierte er deshalb so spitz. Am Freitag debattierte der Landtag auf Antrag der Grünen über "Erneuerbare Energien als Job-Motor" und über Zukunftszentren.

Und die Linke setzte neben der Spar-Frage auch die Insolvenz beim Regionalbahnanbieter Abellio, pandemiesichere Schulen und ein Landesaufnahmeprogramm für Ortskräfte aus Afghanistan auf die Tagesordnung des Landtags. Alle Anträge fanden keine Mehrheit, sondern wurden in die entsprechenden Ausschüsse verwiesen.

Wie die drei Oppositionsfraktionen nun die nächsten Jahre gestalten wollen, haben sie meiner Kollegin Isabell Hartung erzählt. Ihren Bericht sehen Sie im folgenden Video ab Minute 32:30.

Die Geschichte der Woche

Noch stärker als die Opposition könnte der Koalition eine Klage von drei jungen Aktivisten vor dem Bundesverfassungsgericht zu schaffen machen. Henrike, Luca und Friedrich sind zwischen 19 und 21 Jahre alt und alle bei "Fridays for Future" in Halle aktiv. Dem Land Sachsen-Anhalt werfen sie vor, zu wenig für den Klimaschutz getan zu haben – und zu wenig noch tun zu wollen. Deshalb klagen sie.

Schließlich gehe es um ihre Grundrechte, denn: Je länger man notwendige Einschnitte hinauszögert, desto härter wird der Bruch für jüngere Generationen. Und tut man gar nichts, werden die jungen Menschen noch zu Lebzeiten "jedes Jahr tödliche Hitzewellen, starke Atemwegsbelastungen durch Waldbrände, deutlich ansteigende Feinstaubbelastungen (…) und Extremwettereignisse" erleben. So steht es in der Klageschrift, die die Deutsche Umwelthilfe finanziert hat.

Die Umwelthilfe unterstützt insgesamt acht solcher Klimaklagen gegen verschiedene Bundesländer. Das Ziel ist jeweils, per Richterspruch das Land zu einem eigenen Klimaschutzgesetz zu verpflichten (Sachsen-Anhalt etwa hat keins) oder selbiges, wenn vorhanden, zu verschärfen. Der Verein gibt sich dabei siegessicher: Gerade erst hat sie mit einer solchen Klage gegen den Bund in Karlsruhe Erfolg gehabt. Die Bundesregierung reagierte binnen weniger Wochen.

Für Sachsen-Anhalt könnte ein ähnliches Urteil bedeuten, dass der Kohleausstieg bis 2038 wohl nicht mehr zu halten wäre. Den hat die CDU hier allerdings als verbindlich versprochen – und im Koalitionsvertrag sogar noch eine Hintertür für einen längeren Kohlestrombezug eingebaut. In ersten Reaktionen gaben sich CDU, SPD und FDP dennoch entspannt. Man würde sich an die Zielvorgaben aus Brüssel und Berlin halten und beim Klimaschutz vor allem mehr die Bürgerinnen und Bürger einbeziehen. Außerdem habe kaum ein Land so viel erreicht bei diesem Thema wie eben Sachsen-Anhalt.

Wie groß die Diskrepanz zwischen den Positionen ist, verrät ein Detail der Klageschrift. Die Anwälte der Umwelthilfe haben anhand der Berichte des Weltklimarates errechnet, dass dem Land nur noch ein Restbudget von 109,9 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten bleibt. Geht alles so weiter, wie bisher, wären die schon in vier Jahren aufgebraucht. Andernfalls würde man die verbindlichen Pariser Klimaziele der Weltgemeinschaft verpassen. CDU, SPD und FDP wollen bis 2026 den jährlichen Ausstoß von derzeit rund 30,1 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente um 5,65 Millionen Tonnen reduzieren. So viel, wie noch nie. Laut den Umwelthilfe-Rechnungen aber eben nicht genug.

Bis wann eine Entscheidung der Verfassungsrichterinnen und -richter ansteht ist noch unklar.

Frage der Woche

Die Kolleginnen von MDRfragt – das Meinungsbarometer für Mitteldeutschland haben den Blick ebenfalls in die nahe Zukunft gerichtet und wollten diesmal von den Menschen im Land wissen:

Welche Themen muss die neue Landesregierung dringend angehen?

5.333 Menschen, die in Sachsen-Anhalt leben, haben an der Befragung teilgenommen. Das ist das Ergebnis:

Die Bildungspolitik ist das derzeit wichtigste Politik-Feld. So sehen es 71 Prozent der Teilnehmenden, fast drei Viertel also. Auch die Themen Digitalisierung (64 Prozent), Infrastruktur (63 Prozent) und Gesundheitswesen (57 Prozent) genießen bei einer Mehrheit Vorrang. Erklären lässt sich das sicherlich auch mit der Corona-Pandemie. Auf den weiteren Plätzen folgen: die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land, Wirtschaft, der Strukturwandel, der Wohnungsmarkt und schließlich die nicht gerade rosigen Landesfinanzen. Der eben erwähnte Umwelt- und Klimaschutz sortiert sich auf einem mittleren Platz ein (40 Prozent).

Außerdem zeigt die Befragung, dass die Menschen sich eher Investitionen statt Sparmaßnahmen wünschen. Die nächste Landesregierung wird sich wohl an beidem versuchen. Ein 1,5 Milliarden Euro teures Corona-Sondervermögen ist fest eingeplant. "Strukturelle Einsparungen" und ein "grundsolider Haushalt" wurde allerdings auch vereinbart. Alle Ergebnisse der Befragung finden Sie hier:

Was jetzt politisch wichtig wird

Da wir auf die Regierungserklärung tatsächlich noch bis Oktober warten müssen, habe ich mich in dieser Woche bereits an einem ersten Ausblick versucht. Was wird die nächsten fünf "Haseloff-Jahre" prägen? Die Bewältigung der Corona-Krise sicherlich, die Landesfinanzen, Klimaschutz und Strukturwandel, aber sicherlich auch das Verhältnis zum designierten Nachfolger Sven Schulze. Haseloff, 67, machte nach seiner Wahl klar, dass er nochmal über die volle Distanz gehen will. Neben seiner Frau Gabriele stehend, sagte er: "Jetzt haben wir uns drauf eingerichtet, jetzt machen wir das auch." Zumindest familiär scheint das also geklärt zu sein.

Eventuell müsste sich Haseloff aber schon in den nächsten Wochen nochmal der Wahl bestätigen. Nämlich dann, wenn sich ein Verdacht der Grünen bewahrheitet, dass am Donnerstag das Gebot der geheimen Wahl von einem CDUler verletzt wurde. Wie Der SPIEGEL weiß, lassen sie diese Frage nun vom Beratungsdienst des Landtags prüfen.

Zum Schluss ...

… möchte ich mich vorerst von Ihnen verabschieden. Dies ist die letzte Ausgabe unseres multimedialen Updates. Es waren sehr spannende und lehrreiche Wochen und Monate, die uns von den zögerlichen Anfängen des Landtagswahlkampfs über die überraschende Wahlnacht hin zur Vereidigung einer neuen Regierung geführt haben.

Ich möchte Danke sagen. Danke an Luca Deutschländer, der dieses Update mit mir gestartet hat und sicherlich auch ein guter Kampagnenmanager wäre. Danke an die Redaktionen von MDR SACHSEN-ANHALT (insbesondere Frank Rugullis, Karsten Kiesant, Martin Paul, Isabell Hartung, Roland Jäger, Manuel Mohr), die vielen Kolleginnen und Kollegen für den verlässlichen Input und das Team von MDRfragt (Kristin Hansen, Claudia Reiser, Margret Nemak). Schließlich ein Danke an Sie, dass Sie uns die Treue gehalten und so rege mitdiskutiert haben. Ich hoffe, Sie haben sich stets gut informiert gefühlt.

Sollten Sie wir ein neues Politikformat starten, melden wir uns über diesen Verteiler bei Ihnen. Am Ende finden Sie außerdem einige Formate, mit denen Sie der MDR weiter rund um die Uhr informiert.

Bleiben Sie gesund und munter. Ich ess' jetzt einen Wackelpudding.
Ihr Thomas Vorreyer

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MDR/Thomas Vorreyer

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 17. September 2021 | 19:00 Uhr

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