Abschalten und dann? Atomausstieg: Die Altmark wehrt sich gegen Endlagerpläne

17. April 2023, 10:46 Uhr

In Deutschland sind die letzten Atomkraftwerke abgeschaltet worden. So mancher befürchtet nun Probleme mit der Stromversorgung. Doch in der aktuellen Debatte wird ein Thema ausgeblendet, nämlich die Frage, wo der Atommüll eigentlich bleiben soll. Rund zweitausend Behälter mit Brennstäben gibt es – die sogenannten Castoren. Die müssen für eine Million Jahre sicher gelagert werden. Wo – das ist die große Frage. In der westlichen Altmark, an der Grenze zu Niedersachsen, blickt man auf diese Frage mit großer Skepsis. Uli Wittstock war vor Ort.

Portrait-Bild von Uli Wittstock
Bildrechte: Uli Wittstock/Matthias Piekacz

Waddekath westlich von Salzwedel, altes Grenzland: Hier stießen einst das Königreich Hannover und Preußen aneinander. Später verlief die Mauer hinter dem Ort, heute ist das die Landegrenze zu Niedersachsen. Wer hier wohnt, hat einen freien Blick bis zum Horizont: Äcker, Wälder, Windräder und gelegentlich ein Kirchturm. "In the Middle of Nüscht" wie man in der Altmark sagt. Waddekath hat 160 Einwohner, ein kleine Dorfkirche und wirkt alles andere als abgelegen. Die Gehöfte sind saniert, Leerstand scheint keine Rolle zu spielen.

Das Besondere in Waddekath liegt jedoch in 400 Metern Tiefe – ein Salzstock. Und der sorgt seit Jahrzehnten für Begehrlichkeiten, wenn es darum geht, einen Ort für den hochradioaktiven Atommüll zu finden. Dorit Nieber ist Ortschaftsrätin und verfolgt aufmerksam die Debatte: "Unsere große Sorge ist, dass hier ein Endlager für Atommüll entsteht. Derzeit ist ja Salz in der Favoritenrolle, im Gegensatz zu Ton oder zu Granit und der Salzstock hat auch eine gewisse Größe."

Keine neue Debatte: Jahrelanger Protest gegen Endlager in Gorleben

Die Familie von Dorit Nieber wohnt seit vielen Generationen in Waddekath. Die DDR versuchte, sie von ihrem Hof zu vertreiben, wegen der Grenznähe. Der Großvater saß deshalb in Haft, doch die Menschen in Waddekath blieben im Ort. Daran soll sich nichts ändern, auch wenn es seit mehr als 20 Jahren in der Region die Debatte um den Atommüll gibt.

Und eigentlich ist das Thema noch viel älter, denn das niedersächsische Gorleben liegt nur sechzig Kilometer entfernt. Auch dort war ein Salzstock der Grund, ein Atommüllendlager zu planen, was letztendlich scheiterte. Dorit Nieber fordert nun, daraus Konsequenzen zu ziehen: "Man hat in Gorleben gesehen, dass der Salzstock nicht geeignet ist. Und wenn es da nicht 40 Jahre enormem Widerstand gegeben hätte, dann wäre sicherlich der Atommüll da schon gelagert worden. Ich denke, Salzstöcke bilden nicht die richtige Grundlage dafür, weil sie nicht die Stabilität haben."

Dünn besiedelt als Kriterium?

Waddekath gehört zu einem Gemeindeverbund mit dem Namen Flecken Diesdorf. Bürgermeister Daniel Rieck ist Chef von 18 Ortsteilen. Dass die Endlagersuche in Deutschland möglichst ergebnisoffen geführt wird, begrüßt er. Allerdings kritisiert er den vorgezeichneten Entscheidungsweg: "Ich finde es richtig, dass sich viele Fachleute und Initiativen gefunden haben und ihr Wissen einbringen. Trotzdem kritisiere ich, dass das Endergebnis nachher durch die Bundesregierung abgestimmt wird." Daniel Rieck befürchtet, dass es dann nicht nur um fachliche, sondern auch um politische Abwägungen geht. So könnte etwa die Bevölkerungsdichte eine Rolle spielen. Mit rund 23 Einwohnern pro Quadratkilometer, gehört die Region zu den dünnbesiedeltsten in Deutschland. 

Suche nach Endlager: Bayern mauert

Eigentlich sollte die Sicherheit bei der Endlagersuche die oberste Priorität haben. Doch in Waddekath ist man skeptisch und das auch mit Blick auf die internationale Entwicklung. Während nämlich andere Länder wie Schweden, die Schweiz oder auch Frankreich planen, ihre Endlager in Granitgestein anzulegen, hält man sich Deutschland auch die Möglichkeit von Salz- oder Tonschichten offen. Granit aber findet sich nur in Süddeutschland. Die CSU hat schon mal verkündet, dass Bayern für so ein Endlager ungeeignet sei. Im Bundestag hat die CSU immerhin 45 Sitze, ganz Sachsen-Anhalt ist mit 18 Sitzen vertreten, zwei davon kommen aus der Altmark.

Dass der Atommüll irgendwo in Deutschland gelagert werden muss, steht für Bürgermeister Daniel Rieck außer Frage. Was ihn jedoch stört ist, dass die größten Verfechter der Atomenergie bei der Endlagerfrage sich plötzlich überfordert sehen. Dabei sei schon jetzt der Altmarkkreis Salzwedel bei der Energiewende deutlich weiter als Bayern: "Unser Landkreis produziert mit erneuerbaren Energien mehr, als wir selbst verbrauchen. Mit der Menge versorgen wir 200.000 Haushalte zusätzlich." Während man in Bayern einen Krieg gegen Windräder führt, drehen sie sich in der Altmark munter im Wind, die Gewinne freilich fließen in den Westen. Solche Fehler sollten sich bei der Debatte um ein Atommüllendlager nicht wiederholen, so die klare Forderung in Waddekath.

Unsicherer Boden durch Suche nach Erdgas

Doch möglicherweise könnte ausgerechnet eine Hinterlassenschaft der DDR nun in Waddekath die Debatte in eine andere Richtung lenken. Denn auf der Suche nach Erdgas bohrte hier einst die DDR Löcher in das Salz. Die Bohrungen blieben zwar ohne Erfolg, aber nicht folgenlos, wie sich Uwe Körner erinnert. Er lebt seit mehr als sechzig Jahren in Waddekath: "Das große Problem ist, dass hier mindestens 36 Suchbohrungen nicht ordentlich verfüllt wurden. Das wurde auch nicht dokumentiert. Also hier irgendetwas einlagern zu wollen, bei diesen ganzen Durchbrüchen, das kann man eigentlich nur ablehnen."

Eine Autostunde von Waddekath entfernt liegt Morsleben, Deutschlands bislang einziges Atommüllendlager, allerdings ausgelegt für schwach- und mittelradioaktive Stoffe. Damit habe Sachsen-Anhalt ja bereits einen Beitrag geleistet für die sichere Verwahrung von Strahlenmüll – so hört man in Waddekath. Vor Ort jedenfalls will man in jedem Fall gegen ein Endlager mobilmachen. Allerdings fehlt es bislang in Waddekath an einer modernen Internetanbindung.

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MDR (Uli Wittstock, Anne Gehn-Zeller) | Erstmals veröffentlicht am 16.04.2023

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 16. April 2023 | 12:00 Uhr

109 Kommentare

DER Beobachter am 18.04.2023

pwsksk - die Karawane zieht in manchem durchaus weiter und teils sogar aus China wieder in billigere südostasiatische Länder um. Aber Ihre Behauptung zur Deindustrialieierung des W am Bsp. BASF ist so schlichtweg falsch. Und in D entwickelt sich wie in allen hochindustriellen Staaten nunmal der Dienstleistungssektor auch im Bereich der Industrieunternehmen zum eigentlichen personellen und wirtschaftlichen Schwerpunkt. Ganz normale Sache und kein Grund, eine Deindustrialisierung herbeizufabulieren...

DER Beobachter am 18.04.2023

Emlo, Sie haben recht für Gesamt-22. Ich habe zwar nicht nochmal unter dem Statistischen Bundesamt geguckt, aber electricity maps gibt das ungefähr auch an. Die 3/5 bzw. mehr 2/3 sind allerdings ein klarer Entwicklungstrend seit ungefähr Ende 2.Quartal 2022. Das (Miß?)Verhältnis zwischen installierter und genutzter Leistung der verschiedenen Energieträger ist in der Tat interessant...

DER Beobachter am 18.04.2023

Ja, das zweite Land, das brutto mehr Energie nach D exportiert, sind die NL, ebenso v.a. aus regenerativen Energien. Das dritte Land wäre Schweden, wobei dessen weitergeleitete Energie aus Norwegen und Finnland doch mehr aus Wasserkraft als aus A-Energie kommt. Bei Belgien (kunterbunter Energiemix) hält sich Import/Export in etwa die Waage. Alle anderen deutschen Nachbarn sind brutto deutliche Energieimporteure aus D (alles Fazit aus tagesaktuellen und rücjkwirkend verfügbarem Electricity-Maps)

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