Arbeitslos nach Kündigung Extrastunde verweigert: Grundschullehrerin klagt weiter gegen Mehrarbeit

08. März 2024, 15:49 Uhr

Nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Magdeburg ist die zusätzliche Unterrichtstunde für Lehrkräfte in Sachsen-Anhalt rechtmäßig. Eine Lehrerin aus der Altmark hatte die Mehrarbeit verweigert. Ihr Prozess läuft noch. Die Frau hatte die Hoffnung, dass das Gericht in Magdeburg die Extrastunde vielleicht sogar kippt. Sie will aber nicht aufgeben und weiter dagegen vorgehen.

Seit April 2023 müssen Lehrerinnen und Lehrer in Sachsen-Anhalt eine Stunde mehr pro Woche arbeiten. Birgit Pitschmann, eine Grundschullehrerin aus der Altmark, weigert sich. Daraufhin wird ihr fristlos gekündigt. Sie klagt und will wieder eingestellt werden. Der Prozessauftakt war im November letzten Jahres in Stendal. Es kommt zu keiner Einigung.

Gericht urteilt generell: Vorgriffstunde bzw. Zusatzstunde ist rechtens

Ihr nächster Termin ist in den April 2024 verschoben worden. Sowohl Birgit Pitschmann mit ihrem Anwalt als auch das Gericht in Stendal wollen das generelle Urteil abwarten, ob die Extra-Stunde für Lehrer in Sachsen-Anhalt rechtmäßig ist. Ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts in Magdeburg kommt am Donnerstag, den 7. März, zum dem Ergebnis, dass die zusätzliche Unterrichtstunde für Lehrkräfte in Sachsen-Anhalt nicht zu beanstanden ist. Lehrerin sagt, sie habe mit dem Magdeburger Urteil gerechnet. Und: Sie werde jetzt nicht aufgeben.

Lehrerin an Grundschule wehrt sich gegen Vorgabe

Als im April letzten Jahres das Land beschließt, dem Lehrermangel mit einer Extra-Stunde entgegenzuwirken – der sogenannten Vorgriffstunde – sagt Birgit Pitschmann einfach: "Nein!"

Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen wollen auch keine Stunde mehr arbeiten, fühlen sich am Limit ihrer Kräfte, trotzdem erfüllen sie die neuen Anforderungen. Einige ziehen ebenfalls vor Gericht und klagen, doch sie leisten die Vorgriffstunde, bis es ein Urteil gibt.

Lehrerin geht keinen Kompromiss ein

Die 60-jährige Grundschullehrerin aus Dähre in der Altmark ist die Einzige im Land, die sich trotz einer Reihe von Gesprächen mit der Schulbehörde und verschiedenen Vorschlägen, ihre Arbeitszeit anders zu reduzieren, klar gegen die Zusatzstunde stellt und sich auf keinen Kompromiss einlässt.

Sie habe ihr 40-jähriges Berufsleben als Lehrerin immer voll gearbeitet und wollte auch nie etwas anderes machen. Allerdings wolle sie mit Rücksicht auf ihre Gesundheit in ihren letzten Arbeitsjahren keine zusätzliche Stunde mehr halten. Zudem werde die bis heute nicht bezahlt, sondern für die Rente gutgeschrieben.

Hausverbot in ehemaliger Schule

Das Landesschulamt kündigt ihr fristlos zum September 2023. Ihr wird zudem verboten, ihren ehemaligen Arbeitsort – die Grundschule Henningen – zu betreten. Die Mädchen und Jungen aus der Klasse von Birgit Pitschmann verstehen die ganze Geschichte nicht. Es fließen Tränen. Wenn sie ihre beiden Enkelkinder abholen möchte, die dort ebenfalls zur Schule gehen, muss sie draußen auf der Straße  warten.

Das Betretungsverbot trifft Birgit Pitschmann neben der fristlosen Kündigung nochmal hart: "Zwei Mal seit meiner Kündigung bin ich hier vor der Schule gewesen. Ich meide den Ort. Dass man das nach so vielen Jahren mit mir gemacht hat, macht mich traurig, aber auch wütend."

Arbeitslosengeld erst nach Monaten bewilligt

Die fristlose Kündigung ist jetzt sechs Monate her. Die Nerven liegen zum Teil blank. Nach drei Monaten Sperre beim Arbeitsamt sei ihr erst im Dezember, als ihr Anwalt sich eingeschaltet habe, Arbeitslosengeld bewilligt worden, so Birgit Pitschmann. "Das war eine schwere Zeit. Ich muss noch einen Kredit für mein Haus abbezahlen. Die Energiekosten sind hoch, die Preise extrem gestiegen. Sehr, sehr hart."

Birgit Pitschmann hat immer voll gearbeitet und hätte nie gedacht, arbeitslos zu werden. "Ich hatte viele schlaflose Nächte. Ich empfinde meine Situation jeden Tag anders. Oft habe ich auch Zweifel, ob ich das richtig gemacht habe, so kurz vor der Rente".

Ehrenamtliche Arbeit als Lehrerin in Niedersachsen

Mit der Kündigung stellt sich auch die Angst bei ihr ein, ihre Tagesstruktur zu verlieren. Doch sie lässt sich nicht unterkriegen und geht in die Offensive. Von Anfang an sucht sie nach einem neuen Job, bewirbt sich an anderen Schulen. Sie arbeitet als Rettungsschwimmerin, bringt Kindern im Sommer im Freibad das Schwimmen bei, macht Yoga.

Seit einigen Wochen arbeitet sie an einer freien Schule in Niedersachsen – ehrenamtlich, ohne Gehalt. Hauptsache, sie kann als Lehrerin mit Kindern arbeiten. Auch, dass sie mit ihrem alten Golf dafür jeden Tag über Land fahren muss, nimmt sie gern in Kauf.

Neue Berufserfahrungen mit 60 Jahren

Sie knüpft neue Verbindungen und lernt auch andere Schulsysteme kennen. "Jede Situation hat auch ihre guten Seiten. Für mich ist es wie ein Geschenk, dass ich jetzt erfahre, wie andere Schulen arbeiten", sagt die 60-Jährige. Inzwischen hat sie wieder Hoffnung, dass sie bestimmt noch ein paar Jahre als Lehrerin mit Kindern arbeiten wird in ihrem Traumberuf – ganz normal in einer Festanstellung und damit ihr Geld verdient.

Sie setzt große Hoffnungen auf den Prozess Ende dieser Woche am Donnerstag vor dem Oberverwaltungsgericht in Magdeburg. Aus ihrer Sicht ist die Vorgriffstunde nicht rechtens und sie glaubt daran, dass das Gericht das ähnlich sieht und die Extra-Stunde vielleicht sogar kippt. Das Urteil wird großen Einfluss auf ihre Klage haben.

Prozess der Lehrerin geht weiter: "Würde es wieder so machen"

Denn danach geht ihr Prozess auf Wiedereinstellung vor dem Gericht in Stendal weiter. Noch ist sie zuversichtlich, dass sie Recht bekommen könnte. An der Grundschule in Henningen möchte die engagierte Lehrerin aber nicht wieder arbeiten. Die Verletzungen sind zu tief.

Großen Rückhalt hat sie vor allem von ihren Kindern, ihrem Mann und ihrer Mutter bekommen. Die standen uneingeschränkt hinter ihr, einige Freunde und Nachbarn auch, aber von ihren Kollegen hätte sie mehr erwartet.

Doch bei all den vielen Zweifeln und Enttäuschungen der letzten Monate ist für Birgit Pitschmann eines ganz klar: "Ich würde es wieder so machen!"

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MDR (Heike Bade, Julia Heundorf) | Erstmals veröffentlicht am 06.03.2024

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 07. März 2024 | 19:00 Uhr

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