Menschen sitzen an einem Tisch.
Oberlausitzer mit unterschiedlichen Haltungen zu Russland und der Ukraine haben ein Positionspapier für Friedensverhandlungen aufgesetzt. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Initiative ein Propaganda-Erfolg? Oberlausitzer verlangen von Regierung mehr Diplomatie im Ukraine-Krieg

21. Februar 2024, 18:26 Uhr

Oberlausitzer mit konträren Ansichten zu Russlands Krieg gegen die Ukraine haben sich am Mittwoch im Kamenzer Rathaussaal versammelt. Die einen rechnen mit der russischen Landnahme der gesamten Ukraine, wenn der Aggressor nicht mit europäischer Hilfe gebremst werde, die anderen zeigen Verständnis für Putins Sicherheitsinteressen. Dennoch sind beide Seiten Initiatoren eines gemeinsamen Papieres. In dem fordern sie die Bundesregierung zur diplomatischen Vorreiterrolle auf.

Den langen Tisch im Rathaus von Kamenz teilen sich Befürworter und Gegner von Waffenlieferungen. Daran sitzen unter anderem der frühere Gödaer Bürgermeister Peter Beer, der, wie er sagt, im Kalten Krieg "goldene Zeiten der Koexistenz erlebt" haben will und der parteilose Oberbürgermeister für Kamenz, Roland Dantz. Der war zuletzt wegen einer Lesung des Journalisten Patrik Baab in seiner Stadt in die Negativ-Schlagzeilen geraten, weil Baab unter dem Vorwurf steht, russische Propaganda zu betreiben.

Mit dabei ist aber auch der Theologe Peter Paul Straube, langjähriger Leiter des Bildungsgutes Schmochtitz. Er erwähnt, während der Demonstrationen 2014 auf dem Majdan in Kyiv gestanden zu haben. Er und seine Frau hätten persönliche Beziehungen zu Land und Leuten in und aus der Ukraine. Es gehe ihm und seiner Frau nicht darum, die Ukraine zu Verhandlungen zu drängen, aber: "Das Töten und Zerstören muss ein Ende haben."

Das Töten und Zerstören muss ein Ende haben.

Peter Paul Straube Theologe

Ein Papier an die Mächtigen

Dass man sich in so einer Konstellation zusammengefunden und ein Schreiben verfasst habe, ist laut Straube "eine schwierige Entwicklung gewesen, auch mit Bauchschmerzen". Aber jeder habe sich aus seiner Blase bewegt, ausgetauscht, zugehört und geguckt, wo Konsens möglich sei. Einig sei man sich darin, dass sich alle nach Frieden und Sicherheit sehnten, erklärt der ehemalige Bautzener Landrat und Mitunterzeichner Michael Harig. "Der Krieg, der von Russland ausgegangen ist, ist völkerrechtswidrig und verbrecherisch. Da gibt es überhaupt nichts zu rechtfertigen an der Stelle."

Aber durch die jetzige Herangehensweise, dass man ausschließlich über Waffenlieferungen zur Unterstützung der Ukraine spricht, sei der Konflikt nicht lösbar, meint der Landrat a.D. Deshalb fordere man nun mit dem Positionspapier als kleine Bürger aus der Provinz die Mächtigen der Welt dazu auf, in diplomatische Verhandlungen mit Russland zu treten.

Der Krieg, der von Russland ausgegangen ist, ist völkerrechtswidrig und verbrecherisch. Da gibt es überhaupt nichts zu rechtfertigen an der Stelle.

Michael Harig ehemaliger Landrat

Der Landrat des sächsischen Landkreises Bautzen, Michael Harig (CDU), aufgenommen am Mittwoch (11.01.2012) in Bautzen.
Der ehemalige Landrat des Landkreises Bautzen, Michael Harig, gehört zu den Initiatoren der Kamenzer Friedenssuche. (Archivbild) Bildrechte: picture alliance / dpa | Arno Burgi

Doch warum fordert man nicht direkt Russland zum Frieden auf? "Ich glaube das Russland uns nicht hören wird", sagt Harig. Man werde jedoch überlegen, das Papier ins Russische zu übersetzen, damit es vielleicht auch über die Botschaft seinen Weg in den Kreml finde. Aber auch die Bundesregierung soll sich laut Harig mehr für Verhandlungen einsetzen. Gegenwärtig werde zu viel über militärische Lösungen gesprochen und zu wenig nach Frieden gesucht.

Kritik von Osteuropa-Experten aus Deutschland

Das beurteilen Osteuropa-Experten deutscher Universitäten anders. Sie sehen in der Kamenzer Initiative eine von Seiten der russischen Propaganda manipulierte Sicht auf den Krieg und haben eine Stellungnahme zum Positionspapier aufgesetzt. Unterschrieben haben diese 25 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, unter anderem von Universitäten in Bonn, München, Leipzig und Kiel.

Vorwurf: Gezielte Desinformation unter dem Friedensbegriff

In letzter Zeit sei leider in der Region sehr viel russische Desinformation verbreitet worden, sagt Mitunterzeichner Matthäus Wehowski vom Hannah-Ahrendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden. In etlichen öffentlichen Veranstaltungen sei eher russische Propaganda verbreitet worden als dass ein tatsächliche Analyse der Situation in der Ukraine stattgefunden habe.

Sein Fazit: Hier geschehe gezielte Desinformation durch Leute, die die russische Position und den Krieg unterstützen, und das in zynischer Weise unter dem Begriff des Friedens. "Im Endeffekt geht es um die Rechtfertigung von Russlands Aggression und Eroberungspolitik."

In letzter Zeit ist leider in der Region sehr viel russische Desinformation verbreitet worden. Im Endeffekt geht es um die Rechtfertigung von Russlands Aggression und Eroberungspolitik.

Dr. Matthäus Wehowski Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung

Dr. Matthäus Wehowski forscht als Historiker am Hannah-Ahrendt-Institut für Totalitarismusforschung der TU Dresden.
Matthäus Wehowski forscht als Historiker am Hannah-Ahrendt-Institut für Totalitarismusforschung der TU Dresden. Bildrechte: TU Dresden

Experte: Friedensverhandlungen laufen auf Ukraine-Kapitulation hinaus

Wehowski hat in Moskau studiert und beschäftigt sich seit Jahren am Hannah-Ahrendt-Institut in verschiedenen Projekten mit Russland und Staaten in Ost- und Mitteleuropa. Für ihn als Wissenschaftler habe sich dabei gezeigt, "dass Russland absolut kein Interesse an Diplomatie oder Friedensverhandlungen hat. Dass es immer darauf zielt, dass die Ukraine vollständig und bedingungslos kapitulieren soll. Wenn man unter diesen Bedingungen verlangt, dass die Ukraine zu Friedensverhandlungen gezwungen wird, dann läuft dass immer auf eine Kapitulation hinaus."

Frieden ist aktuell unter den Bedingungen, die Russland vorgibt, nicht möglich. Die Ukraine kann den Kampf nicht einstellen, ohne als eigenständiger Staat und eigenständige Kultur zu verschwinden.

Dr. Matthäus Wehowski Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung

Frieden sei aktuell unter den Bedingungen, die Russland vorgibt, nicht möglich, urteilt Wehowski. Die Ukraine könne den Kampf nicht einstellen und sich Russland ergeben, ohne als eigenständiger Staat und eigenständige Kultur zu verschwinden. Für den Historiker ist aber auch klar, dass es am Ende von Kriegen irgendeine Form von Verhandlungen gibt. "Das Ziel sollte sein, die Ukraine wenigsten in eine Position zu bringen, wo sie sich nicht den russischen Bedingung beugen muss, sondern ihr Völkerrecht auch durchsetzen kann."

MDR (ama)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 21. Februar 2024 | 19:00 Uhr

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