Das Oberlandesgericht Dresden
Im Linksextremismus-Prozess vor dem Oberlandesgericht Dresden hat die Verteidigung nun zentrale Beweise der Anklage angegriffen. Bildrechte: IMAGO / xcitepress

Exklusiv Lina-E.-Prozess: Verteidigung kritisiert erhebliche Fehler bei Audiobeweisen

17. Januar 2023, 14:49 Uhr

Im Linksextremismus-Verfahren gegen Lina E. und andere greift die Verteidigung die Audiobeweise der Anklage an. Grundlage sind Unterlagen in einem anderen Fall. Damit wackelt die Beweisführung der Ermittler im Linksextremismus-Verfahren bereits zum zweiten Mal.

Mit einem Beweisantrag hat Verteidiger Christian Mucha Anfang Januar Unruhe in das Linksextremismus-Verfahren am Oberlandesgericht Dresden gebracht. Seit September 2021 müssen sich vier Angeklagte vor dem Staatsschutzsenat wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung verantworten. Sie sollen gewalttätige Angriffe auf Rechtsextreme und Neonazis verübt haben. Die bekannteste Angeklagte ist Lina E.

Mucha vertritt Jannis R., der von der Anklage beschuldigt wird, am Überfall auf die rechtsextreme Kneipe Bull’s Eye in Eisenach im Oktober 2019 beteiligt gewesen zu sein. Damals stürmten Angreifer in das Lokal und verletzten mehrere Gäste sowie den Wirt Leon R.. Er sitzt mittlerweile selbst in Untersuchungshaft, weil die Bundesanwaltschaft gegen ihn wegen Bildung einer rechtsextremen kriminellen Vereinigung ermittelt.

Mitschnitt richtig interpretiert?

Die Anklage stützt sich auf den Mitschnitt eines Gesprächs, der bei einer Abhöraktion in einem Auto entstanden ist. Zu hören sind aus Sicht der Ermittler Johann G., der Verlobte von Lina E., und Jannis R. Den Ermittlern zufolge spricht Johann G. mit Jannis R. über einen dritten Mann, mit dem die beiden eine "Kneipe gemacht" haben sollen.

Diese Aussage, "Kneipe gemacht", interpretieren das Landeskriminalamt Sachsen und die Bundesanwaltschaft als Bekenntnis einer Beteiligung am Angriff auf das Bull‘s Eye in Eisenach. Weitere Beweise für eine Beteiligung von Jannis R. an der Tat wurden bisher nicht erbracht. Dabei könnte es aus Sicht von Jannis R.s Verteidiger Mucha mehrere Interpretationen für die von der Anklage vorgelegten Beweise geben, das hat Mucha auch schon frühzeitig erklärt.

Fotos und Screenshots aus anderem Verfahren könnten Angeklagten entlasten

Jetzt hat Mucha Fotos und Screenshots als Beweismittel in das Verfahren eingebracht, die seinen Mandanten entlasten sollen, und fordert, die Bilder als Beweismittel in das Verfahren einzuführen. Er greift damit einen der wichtigsten Beweise der Anklage gegen seinen Mandanten an.

Muchas Grundlage ist etwas komplexer: Auf den Bildern ist der "dritte Mann" zu sehen, über den Johann G. aus Sicht der Ermittler mit Jannis R. sprechen soll. Sie zeigen Muchas Antrag zufolge eben jenen "Dritten" am Abend des 18. Oktober 2019 in einer Wohnung im Leipziger Süden. Die Bilder stammen vom Telefon des Mannes und sollen anhand der Metadaten zum Standort und der Zeit der Aufnahmen beweisen, dass der "dritte Mann" aus der Audioaufnahme am Abend des Angriffs auf das Bull’s Eye zwischen 22 und 23 Uhr in Leipzig war.

Er habe folglich weder rechtzeitig beim Angriff in Eisenach sein noch sich daran beteiligen können, argumentiert der Anwalt. Damit könne die Aussage "Kneipe gemacht", mit der die Ermittler Jannis R. und dem Dritten die Geschehnisse im Bull‘s Eye mit zur Last legen wollen, eben nicht auf den Überfall vom Oktober 2019 in Eisenach bezogen werden, erklärt Mucha.

Neue Beweise stammen aus anderem Gerichtsverfahren

Die eingereichten Bilder hat Mucha nach eigener Aussage von der Verteidigung des "dritten Mannes" erhalten. Wie die Generalstaatsanwaltschaft Dresden dem MDR bestätigte, handelt es sich bei ihm um einen Tatverdächtigen in einem Verfahren wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung.

Anlass für diese neuen Ermittlungen sei ebenfalls der Überfall auf das Bull’s Eye, erklärt Behördensprecherin Sabine Wylegalla. Gegen den Mann habe "ein Anfangsverdacht für eine Beteiligung an dem Überfall" vorgelegen. Ob dieser auf mehr Beweisen beruht als die bereits erwähnte Audioaufnahme, bleibt unklar. Die Ermittlungen dauern an, weswegen Wylegalla keine weiteren Aussagen zum Sachverhalt macht.

Bereits im Frühjahr 2022 hatte die Verteidigung die in der Anklage aufgestellte Behauptung widerlegt, dass Jonathan M. am Überfall auf das Bull’s Eye beteiligt gewesen sei. Auch damals hatten die Ermittler eine Aussage aus einem abgehörten Gespräch zu Ungunsten des Angeklagten interpretiert.

Verteidigung will Abhör-Mitschnitt begutachten lassen

Bei dem Gerichtstermin im Januar 2023 zog der zweite Verteidiger von Jannis R., Oliver Nießing, mit einem weiteren Beweisantrag die abgehörten Gespräche als Beweismittel ebenfalls in Zweifel. Er fordert das Gericht auf, eine Gutachterin zu bestellen, die klären soll, ob im bereits erwähnten Gespräch überhaupt Jannis R. spricht. Er widerspricht dieser Behauptung der Ermittler und bezweifelt, dass die beiden bisher dazu gehörten LKA-Beamten die Kompetenz haben, Jannis R.s Stimme zu identifizieren. 

Das Gericht hatte ursprünglich den Plan verfolgt, die Beweiserhebung noch im Januar zu schließen und dann zu den Plädoyers zu kommen. Die nun vorgebrachten Beweisanträge zwingen den Senat aber zu weiteren Überprüfungen. Vorsorglich hat der Vorsitzende Richter Hanns Schlüter-Staats Verhandlungstermine bis Ende Mai festgelegt. Nach drei Wochen Unterbrechung soll das Verfahren Anfang Februar fortgesetzt werden.

Die nächsten geplanten Termine im Prozess Das OLG Dresden hat über weitere Termine zur Fortsetzung der Hauptverhandlung im April und Mai 2023 informiert. An folgenden Tagen soll der Prozess weiter verhandelt werden:

- Donnerstag, 06.04.2023
- Mittwoch, 12.04.2023
- Donnerstag, 13.04.2023
- Mittwoch, 19.04.2023
- Donnerstag, 20.04.2023
- Mittwoch, 26.04.2023
- Donnerstag, 27.04.2023

- Mittwoch, 03.05.2023
- Donnerstag, 04.05.2023
- Mittwoch, 10.05.2023
- Donnerstag, 11.05.2023
- Mittwoch, 17.05.2023
- Mittwoch, 24.05.2023
- Donnerstag, 25.05.2023
- Mittwoch, 31.05.2023

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR um 4 | 13. Januar 2023 | 17:14 Uhr

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