Sachsen für Klimaschutz Vom Energie-Pionier bis zur protestierenden Augenoptikerin

19. November 2022, 15:35 Uhr

Die Weltklimakonferenz findet weit von uns entfernt in Ägypten statt. Doch der Schutz des Klimas beschäftigt auch hier bei uns in Sachsen immer mehr Menschen - auf ganz unterschiedliche Art und Weise: Timo Leukefeld aus Freiberg baut energieautarke Häuser, Bürgermeister Dietmar Berndt aus Böhlen plant einen Solarpark, und Louise Hummel-Schröter setzt sich mit anderen Eltern für die Zukunft ihrer Kinder ein.

In Freiberg gibt es einen Visionär für energieautarke Häuser. Oder in Böhlen einen Bürgermeister, der quasi gezwungenermaßen zum Klimaschützer geworden ist. Ein Besuch bei vier Klima-Sachsen:

Der klimabewegte Bürgermeister aus Böhlen

Der Südraum von Leipzig wird schon rein optisch vom Kohlekraftwerk Lippendorf dominiert. Schon von weitem überragen die beiden Kühltürme Seen und Wälder. Aus den Türmen quellen ununterbrochen dicke, weiße Wolken. Doch das wird sich in nicht allzu ferner Zukunft ändern. Spätestens 2035 soll Schluss sein mit der Braunkohleverstromung in Lippendorf. Schon viel früher - in drei Jahren - soll schon Schluss sein mit der Fernwärmeversorgung aus dem Kraftwerk in Richtung Leipzig.

Die Räte der Messestadt haben das politisch so entschieden. Für die Nachbargemeinde Böhlen hat das weitreichende Konsequenzen. Denn auch diese Gemeinde im Süden von Leipzig hängt an der Fernwärmeversorgung aus dem Kraftwerk.

Der Bürgermeister von Böhlen, Dietmar Berndt (parteilos), ist so gezwungenermaßen zum Klimaschützer geworden. Denn er muss sich darum kümmern, dass die Bewohnerinnen und Bewohner der rund 1.000 Genossenschaftswohnungen in Böhlen in drei Jahren nicht im Kalten sitzen. Berndt sucht nach ökologischen Alternativen zur Wärme aus der Braunkohle. Dafür hat Böhlen eine Firma ins Boot geholt. Die prüft Konzepte mit Photovoltaik-Anlagen und Blockheizkraftwerke.

Wir haben eine Firma beauftragt, die ein sogenanntes "Quartierskonzept" für die Stadt Böhlen erarbeitet. Es wird untersucht, wie man im Stadtgebiet dezentral eventuell über Photovoltaik-Anlagen oder über Blockheizkraftwerke Energie im Ort erzeugen und benutzen kann.

Dietmar Berndt Bürgermeister von Böhlen

Rund um Böhlen wird derzeit an zwei großen Solarparks gebaut, auf ehemaligem Tagebaugelände. Einer davon soll der größte Solarpark in Europa werden. Und noch weitere Unternehmen fragen beim Bürgermeister an, wollen Photovoltaik- oder Windkraftanlagen errichten.

Solarpark und Windräder 3 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Prinzipiell sei noch viel möglich, sagt Dietmar Berndt, aber die Gemeinde müsse den Ausbau auch mit der Entwicklung als touristisches Ziel abwägen. Grundsätzlich aber blickt der 60-jährige Böhlener optimistisch in die Zukunft, auch wenn das Ende einer jahrzehntelangen Braunkohletradition in seiner Region vor der Tür steht. "Es gibt eben Aufgaben, die müssen erledigt werden. Und da sind wir dabei und das gibt ein gutes Gefühl. Es ist eher ein bisschen beruhigend, dass wir da anderen Regionen schon einiges voraus haben. Wo andere jetzt erst anfangen, sind wir schon zwei bis drei Schritte weiter", sagt Dietmar Berndt.

Privat hat der Bürgermeister auch den Wandel eingeläutet. Bei sich zu Hause lässt Dietmar Berndt gerade Erdbohrungen durchführen, um bald mit Unterstützung einer Solaranlage ohne Fernwärme aus Lippendorf mit Erdwärme auszukommen.

Die Klimaschutzbeauftragte der Stadt Dresden

Auch bei Ina Helzig, der Leiterin des Klimaschutzstabes der Stadt Dresden, vermischt sich Berufliches mit Privatem. Sie fährt meist mit dem Fahrrad zur Arbeit, aber als Mieterin einer Wohnung sind ihr und ihrer Familie Grenzen beim privaten ökologischem Engagement gesetzt. Sie wohnt in einer Mietwohnung. Die Heizung dort ist auf Erdgas angewiesen, obwohl es Helzig lieber wäre, würden die Eigentümer auf Solar umsteigen.

Die Energiequelle, die wir in unserem Mietshaus nutzen, ist Erdgas. Aber leider ist es nicht in meiner Entscheidungsgewalt, zu sagen, dass die Therme jetzt rauskommt und wir auf Solar umsteigen. Deshalb finde ich es umso wichtiger, dass es in einer Großstadt Konzepte gibt, die für alle tragen. Es gilt, das gesamte städtische System umzubauen.

Ina Helzig Leiterin des Klimaschutzstabes der Stadt Dresden

Seit zwölf Jahren ist Ina Helzig sozusagen die Chef-Klimaschützerin von Dresden. Auf dem Papier hat sich die Stadt zum Klimaschutz als städtische Aufgabe von höchster Priorität bekannt. Aber die Praxis hinkt dem hinterher, so sind die CO₂-Emissionen in Dresden in den vergangenen Jahren beispielsweise kaum gesunken. "Ich habe über die vielen Jahre gemerkt: Es ist schon ein langer Atem nötig. Man muss lange bei der Sache bleiben und die Flinte nicht ins Korn werfen, sonst ist man nicht erfolgreich", sagt Ina Helzig.

Der Energie-Pionier aus Freiberg

Einen langen Atem - den hat Timo Leukefeld aus Freiberg bereits bewiesen. Seit rund 25 Jahren plant Leukefeld in verschiedenen Konstellationen energieautarke Häuser.

Timo Leukefeld
Seit rund 25 Jahren plant Timo Leukefeld aus Freiberg energieautarke Häuser, mittlerweile hat er 200 von ihnen gebaut. Bildrechte: Leukefeld/Foto: Stefan Mays

Vor zehn Jahren hat er zwei solcher Häuser in einer kleinen Nebenstraße eines Wohngebietes in Freiberg gebaut. Es waren die ersten ihrer Art in ganz Deutschland. Damals war die Skepsis groß, ob das mit der Energieautarkie überhaupt funktionieren kann. Mittlerweile hat Leukefeld rund 200 energieautarke Häuser in Deutschland und anderen Ländern gebaut. Die Nachfrage sei riesig und übertrifft die Zeit, die an einem normalen Arbeitstag zur Verfügung steht - und nicht allen kann Leukefeld helfen.

Energieautarke Häuser
Die von Timo Leukefeld gebauten Häuser in Freiberg sind energieautark. Bildrechte: IMAGO / Rainer Weisflog

Die Nachfrage explodiert regelrecht. Wenn wir eine Arztpraxis wären, hätten wir am Tag 20 Notrufe. Vielen können wir nicht helfen, älteren Menschen beispielsweise, die im Plattenbau leben. Die dürfen selber ja gar nicht investieren. Aber bei denen, denen wir helfen können, sind wir jetzt viel unterwegs, fast 14 Stunden am Tag.

Timo Leukefeld Unternehmer

Mittlerweile fragen Menschen aus der ganzen Welt die Energie-Autarkie-Expertise aus Freiberg an, beispielsweise aus Indonesien. Hier wird derzeit die Hauptstadt neu aufgebaut, weil die bisherige Hauptstadt Jarkarta im Wasser versinkt. Auf der Nachbarinsel Borneo wird deshalb auf 200 Metern Höhe eine komplett neue Hauptstadt gebaut - auch mit Unterstützung von Timo Leukefeld.

Der 53-jährige ist in einer Försterei im Greifensteinwald groß geworden. Das Thema Nachhaltigkeit habe er deshalb sozusagen mit der Muttermilch aufgenommen, erzählt Leukefeld.

Energiehaus 5 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Dennoch hat er zunächst eine Ausbildung als Schlosser gemacht und dann auch lange als Heizungsbauer gearbeitet. Praktisches Wissen, das ihm bei seinem Studium der Energetik an der Bergakademie in Freiberg auf jeden Fall geholfen hat und noch viel mehr bei der Konstruktion von energieautarken Häusern.

Die Parents-for-Future-Engagierte aus Dresden

Louise Hummel-Schröter ist erst seit drei Jahren Klimaschutz-Bewegte. Der Anstoß war für die Dresdnerin der Hitzesommer 2018. Damals war sie hochschwanger und konnte in ihrem Zustand das Haus der Hitze wegen nicht verlassen. Diese Erfahrung habe sie dazu gebracht, sich für den Klimaschutz einbringen zu wollen. Ihr jetziges Engagement ist also eine Bauchentscheidung im doppelten Sinn.

Ich mache das jetzt gar nicht unbedingt, weil ich ein ganz bestimmtes Ziel verfolge, sondern weil es sich richtig anfühlt und ich mich aus dieser Ohnmacht befreien möchte.

Louise Hummel-Schröter Aktivistin Parents-for-Future

Bei "Parents for Future" trifft die gelernte Augenoptikerin in Dresden Gleichgesinnte. Gemeinsam schreiben sie Petitionen, erarbeiten einen alternativen Mobilitätsplan für die Stadt, machen sich in der Stadtpolitik für den Klimaschutz stark - auf friedliche Art und Weise und ohne zivilen Ungehorsam, mit dem Mitglieder von der "Letzten Generation" von sich reden machen.

"Manchmal habe auch ich Momente, in denen ich so verzweifelt bin, dass ich mich am liebsten auf die Straße setzen möchte. Aber dann frage ich mich immer: Was passiert danach? Bei den Aktionen, die ich gemacht habe, habe ich zumindest das Gefühl, dass da etwas passiert, wenn auch nicht viel", sagt sie. "Wenn ich beispielsweise einen Brief an den Stadtrat schreibe und dann wird man bei der nächsten Sitzung mit Inhalten erwähnt, da habe ich dann schon das Gefühl, dass das weitergetragen wird", sagt die Aktivistin.

Zeitweise hatte Louise Hummel-Schröter fünf bis sechs Telefonkonferenzen in der Woche. Jeder, der sich einmal in der Klimaschutz-Bewegung umtue, bekomme immer mehr Anfragen aus der Filterblase, so die Ehrenamtliche. Sie habe mittlerweile gelernt, sich abzugrenzen - bei aller Leidenschaft für den Klimaschutz sei auch das nötig.

MDR (sho)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | MDR SACHSEN extra | 18. November 2022 | 18:00 Uhr

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