Angeklagte vor Gericht. 10 min
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Nach dem Colditz-Prozess Die Angst vor den Neonazis in Colditz bleibt

19. Dezember 2023, 05:00 Uhr

Im Prozess gegen Familie N. aus Colditz hat das Landgericht Leipzig die Angeklagten zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Doch der Prozess hat noch mehr Erkenntnisse zu den Machenschaften der Familie gebracht. Außerdem bleibt die Frage: Wie sieht die Lage nach der Razzia und dem Urteil in Colditz aus – und wie geht es dort weiter?

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Der weiße Lieferwagen fährt heran, während der MDR in Colditz auf dem Marktplatz gerade Anwohner zu drei stadtbekannten Neonazis befragt. Der Mann hinter dem Lenkrad hält das Auto direkt vor der Kamera und ruft aus dem Seitenfenster: "Packt eure Dreckskamera ein und verschwindet aus unserer Stadt, ihr Wichser!" Auch der Pöbler gehört zur rechtsextremen Szene. Einstellungen wie seine sind es, die manchen in der sächsischen Kleinstadt resignieren lässt – noch immer und trotz einer Verurteilung von drei Männern aus der Szene.

Zeichnung zeigt Personengruppe am Tisch
Nachgezeichnet: Am Abend ihrer Entlassung feierten Vater N. und Sohn Uwe in einer Gaststätte in Colditz mit Familie und Freunden. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Nach sieben Prozesstagen fiel Ende November die Entscheidung am Landgericht Leipzig: Wegen gemeinschaftlichen Handels mit Crystal sind drei Männer aus Colditz zu Haftstrafen verurteilt worden. Vater Ralf N. erhielt vier Jahre, seine beiden Söhne Uwe und Andreas drei. Bei den Männern hatte der Zoll im Frühjahr 5,5 Kilo Crystal gefunden. Den Großteil im Keller von Andreas, den Rest auf dem Schrottplatz der Familie. Außerdem wurden auch scharfe Waffen entdeckt. Weil sowohl die Angeklagten als auch die Staatsanwaltschaft auf Rechtsmittel verzichteten, ist das Urteil rechtskräftig. Die Männer kamen aus der Untersuchungshaft frei und müssen Anfang 2024 ihre restliche Strafe antreten.

Im Prozess ging es um Drogen, die Verstrickungen der N.’s in die Neonazi-Szene spielten keine Rolle. Dennoch erklärte der Anwalt im Auftrag von Ralf N. mehrfach, sein Mandant und dessen Söhne würden von den Medien zu Unrecht in die rechtsextreme Ecke gestellt. Am Abend ihrer Entlassung feierten Vater N. und Sohn Uwe in einer Gaststätte in Colditz mit Familie und Freunden. Davon liegt MDR Investigativ ein Foto vor. Darauf sind neben den beiden Verurteilten auch drei langjährige Neonazis aus Colditz und Leisnig zu sehen. Der Mann ist wegen einschlägiger Straftaten polizeibekannt und saß auch schon mehrfach im Gefängnis.

Was Colditzer nach dem Urteil sagen

Das ist zu wenig, was sie gekriegt haben.

Frau auf Colditzer-Wochenmarkt

MDR Investigativ hatte seit 2014 mehrfach berichtet, was Betroffene und Kommunalpolitiker aus Colditz berichteten und sich auch in diversen Ermittlungsakten fand: über Jahrzehnte konnten Rechtsextremisten die Kleinstadt in Sachsen beherrschen. Die Sicherheitsbehörden griffen nur sporadisch durch. Außerdem zeigte sich, dass bei einem Teil der Bevölkerung bis heute Angst herrscht. Als der MDR Anfang Dezember auf dem Wochenmarkt eine Frau zum gerade gefällten Urteil befragt, sagt diese: "Das ist zu wenig, was sie gekriegt haben. Und dann finde ich das auch nicht gut, dass die jetzt erst einmal auf freiem Fuß sind."

Weil Familie N. seit vielen Jahren einen gewissen Ruf in der Stadt hat, ist mancher mit seinen Äußerungen zum Urteil vorsichtig. "Da äußere ich mich nicht drüber. Nein, das bringt nichts", sagt ein Mann. Ob es ihm zu heikel ist? "Ja, man weiß ja nie, wie man ankommt." Doch es gibt auch andere Äußerungen. Das Rechtsextremismus-Problem in Colditz wird auch lautstark bestritten: "Das, was der MDR hier bringt über Colditz, ist das Allerletzte. Das Allerletzte! Die schaden ja dem Ort total", sagt ein Mann.

Das Netzwerk des Drogenhandels

Vor Gericht gab es Teilgeständnisse. Vater Ralf N. nahm die Hauptschuld auf sich, seine Söhne halfen nach ihren Angaben bei den Drogengeschäften als Anbahner und Fahrer. Umschlagplatz des Ganzen war nach Erkenntnissen der Ermittler der Schrottplatz der Familie. Neben Crystal wurden dort auch zwei Container mit Utensilien für Cannabis-Plantagen entdeckt.

Mit den drei N.s. gingen dem Zoll auch weitere Verdächtige ins Netz – mutmaßliche Partner aus Leipzig und Bad Lausick. Im Prozess wurden auch Kontakte aus dem N.-Trio zu Leuten bekannt, die anderswo mit großen Mengen an Drogen gefasst wurden – etwa in Grimma, Gera oder Taucha.  Verkauft worden sein sollen die Drogen nach Informationen von MDR Investigativ vor allem im Landkreis Leipzig, aber auch in angrenzenden Landkreisen. Ursprünglich hatte das Gericht sechs Jahre Haft für den Vater und um die vier für die Söhne avisiert. Dass die Kammer am Ende deutlich mildere Strafen verhängte, begründete sie vor allem mit formalen Fehlern des Zolls.

Mängel, die auch Axel Kaufmann, der Verteidiger von Andreas N., frühzeitig im Prozess benannte. So gab es zwar einen Durchsuchungsbeschluss für das Grundstück seines Mandanten, nicht aber für seine Wohnung: "Der Unterschied ist, dass eine Durchsuchungsmaßnahme für Wohnraum höhere Anforderungen hat, weil er eben besonderen Schutz genießt als Wohnung", sagt Kaufmann.  Außerdem habe der Zoll versäumt, Durchsuchungszeugen mitzubringen oder herbeizurufen.

Der Anwalt nennt einen weiteren Kritikpunkt: "Die Beschuldigten Ralf N. sowie Uwe N. wurden vorläufig festgenommen, obwohl die Voraussetzungen dafür zu dem Zeitpunkt nicht vorgelegen haben." Bei Uwe N. verringerte das Gericht auch deshalb die Haftstrafe, weil er bei der Razzia vom Zoll entwürdigend behandelt wurde. Die Fahnder hatten ihn zuerst nackt am Boden gefesselt. Erst später wurde ihm etwas angezogen. Stellung nehmen zu den Fehlern will niemand. Begründung der ermittelnden Staatsanwaltschaft Chemnitz: Man habe die Kritik des Gerichts noch nicht mit dem Zollfahndungsamt Dresden ausgewertet.

Luxusautos und Hartz-IV

Großer gelber Geländewagen mit Aufschrift 'Ostblock'
Die N´.s protzten mit ihren Luxusautos - wie etwa mit diesem massiven Geländewagen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

In Colditz protzen die N.´s seit Jahren – mit einem gelben Geländewagen von Hummer oder einem weißen Lamborghini mit goldenen Felgen. Viele irritierte, dass Uwe und Ralf N. oft mit ihren Luxusautos durch die Stadt dröhnten. Ein komfortabler Lebensstil, der nicht zu den überschaubaren Einkommen passt, wie sie von den Angeklagten vor Gericht dargestellt wurden.

Uwe N. (35), der Jüngste, hatte nach einer früheren Haftstrafe (wegen des Handels mit Crystal) seit 2019 als Schrotteinkäufer gejobbt – das Monatsgehalt soll zwischen 1.500 und 1.700 Euro netto betragen haben. Damit habe er, laut eigener Aussage während des Prozesses, im Jahr 2021 seinen gebrauchten Lamborghini im Wert von 115.000 Euro finanziert. 21.000 Euro will er sich über einen Kredit beschafft haben.

Die Luxusautos der Familie waren zwischendurch beschlagnahmt. Doch zum Erstaunen von Anwohnern bekamen sie ihre beiden Wagen wieder. Im Prozess konnte nicht nachgewiesen werden dass die Autos aus Drogengeldern bezahlt wurden. "Gegenstände können grundsätzlich nur eingezogen werden, wenn sie einen Tatbezug haben", erklärt der Sprecher des Landgerichts Leipzig, Johann Jagenlauf. "Gegenstand des vorliegenden Verfahrens waren Vorwürfe aus dem Jahr 2023. Da die Angeklagten diese Fahrzeuge bereits seit geraumer Zeit genutzt und besessen haben, war vorliegend eine Einziehung aus Sicht der Kammer nicht möglich."

Vor Gericht hat sich Vater Ralf N. (67) bis 2012 als Hartz-Empfänger ausgegeben und lebt inzwischen angeblich von 800 Euro Rente im Monat. Andreas N. bewohnt ein edel ausgebautes Haus mit sandsteingefasstem Außenpool. Er ist nach seinen eigenen Angaben bis 2010 Inhaber eines Holzhandels gewesen und hat seither keine reguläre Beschäftigung mehr gehabt. Der 38-Jährige berichtete vor Gericht, er habe von einem kleinen Taschengeld der Eltern gelebt – welches zwischen 200 und 250 Euro pro Monat betragen habe.

Das rechtsextreme Netzwerk

Lange galt der damalige Holzhandel der Familie N. als Treffpunkt für Neonazis und Ausgangspunkt brutaler Gewalt. Vor allem Ralf N. bedrohte auch später immer wieder Leute, die ihn störten, ihm widersprachen oder sich gegen Rechtsextremismus engagierten. Seit Jahren tritt die rechtsextreme Szene der Kleinstadt offen und generationenübergreifend auf. Das zeigt sich in den Profilen sozialer Netzwerke sowie an Autos und Kleidung auf der Straße.

Auch während der Untersuchungshaft der drei N.s machte die Colditzer Szene weiter. Am Himmelfahrtstag wurden nichtrechte Jugendliche überfallen. Sie gehören zum städtisch geförderten "Go-Team", machen in der Stadt sauber und forschen zu ihrer Geschichte. Gegen einen Taverdächtigen, der einen Jugendlichen mit einer Bank beworfen und mit der Faust geschlagen haben soll, wird ermittelt. Im November wurden vor einem Punkkonzert die Scheiben des Bürgercenters eingeworfen. Die Polizei nahm die Sachbeschädigung als politisch motiviert auf.

Zu den beschlagnahmten Gegenständen gehörten auch scharfe Schusswaffen. 30 min
Zu den beschlagnahmten Gegenständen gehörten auch scharfe Schusswaffen. Bildrechte: MDR/Axel Hemmerling

Durchaus nicht selbstverständlich in Colditz: Die Veranstaltung bekam Polizeischutz. Denn in den letzten Jahren war die Präsenz der Beamten gering und bei Ermittlungen fehlte es oft an Konsequenz. Straftaten blieben unaufgeklärt oder wurden erst gar nicht mehr angezeigt.

Wie die Polizei nun vorgehen will

Deswegen ist und bleibt Colditz Chefsache.

René Demmler Präsident der Polizeidirektion Leipzig
Mann in Polzeiuniform beim Interview
Der Präsident der zuständigen Polizeidirektion will bei den Colditzern das Vertrauen in den Staat wiederherstellen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Nun will der Präsident der zuständigen Polizeidirektion Leipzig, René Demmler, bei den Colditzern das Vertrauen in den Staat wiederherstellen. "Wir müssen konsequent in der Strafverfolgung sein. Und wir dürfen nicht nachlassen", sagt er. Das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger müsse gestärkt werden. Demmler verspricht: "Deswegen ist und bleibt Colditz Chefsache."

Der Polizeichef hat bereits die Kräfte verstärkt. Es gebe jetzt täglich einen zusätzlichen Streifenwagen, der in der Stadt unterwegs sei. Bei mutmaßlich rechtsextrem motivierten Straftaten soll künftig grundsätzlich die Kriminalpolizei ermitteln. Demmler kündigte auch ein energisches Einschreiten an, sollten Polizeibeamte wieder ins Visier der Familie N. oder ihres Umfeldes geraten. Im Frühjahr hatte die Polizeidirektion Leipzig dem Innenausschuss des Sächsischen Landtages mitgeteilt, dass jahrelang Polizisten bis nach Hause verfolgt und angesprochen wurden. Demnächst will der Polizeichef mit dem Bürgermeister eine Einwohnerversammlung abhalten. Ein Termin dafür steht noch nicht fest. Vielleicht kommen die Leute in der Stadt, in der so viel Angst herrscht, dann miteinander ins Gespräch.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 13. Dezember 2023 | 20:15 Uhr

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