Ein schlafendes Baby 4 min
Audio: In den Urteilen der Woche geht es auch um die Frage, ob Menschen, die anonym geboren wurden, ein Recht darauf haben, den Namen ihrer Eltern zu erfahren. Bildrechte: imago images/Westend61

Urteile der Woche Kind hat nach anonymer Geburt kein Recht auf Auskunft über Mutter

03. Februar 2024, 05:00 Uhr

Fast täglich werden im Gerichtssaal wichtige Urteile gesprochen, die Einfluss auf unser Leben haben können. MDR AKTUELL präsentiert Ihnen die drei interessantesten dieser Woche in Kurzform.


Bei anonymer Geburt keine Auskunft über leibliche Eltern

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (application no. 18843/20)

Die Französin Louise Loin* ist anonym geboren worden. Das heißt, ihre leibliche Mutter hat sich nach der Geburt entschieden, ihre Identität geheim zu halten. 1952 war das. Wenige Monate nach der Geburt kommt das Mädchen zu einer Familie – ihren späteren Eltern. Die behalten ihr kleines Geheimnis rund um die Herkunft der Tochter aber für sich. Und so erfährt Loin erst nach dem Tod ihrer Eltern im Jahr 2008, dass sie adoptiert ist. Ein Schock für die Französin, die sich daraufhin auf die Suche nach ihrer leiblichen Mutter macht. Dazu fordert sie die zuständige Behörde in Frankreich auf, ihr den Namen der Frau zu nennen. Die Behörde weigert sich aber und erklärt, die biologische Mutter möchte weiter anonym bleiben. Das Ganze geht bis vor den Menschenrechts-Gerichtshof in Straßburg, wo die Richter in der Sache wie folgt urteilen:

"Die Weigerung der zuständigen französischen Behörde CNAOP, die Identität der biologischen Mutter preiszugeben, stellt zwar einen Eingriff in das Recht des Kindes auf Achtung seines Privatlebens dar. Dieser Eingriff steht jedoch in Einklang mit dem Gesetz und verfolgt das Ziel, die Rechte und Interessen der biologischen Mutter zu schützen."


Überqueren erlaubt, wenn Ampel durch Defekt dauerhaft rot

Oberlandesgericht Hamburg (AZ: 5 ORbs 25/23)

Ist es ein Verstoß, wenn ich als Radfahrerin über eine Ampel fahre, die dauerhaft rot ist? Darum geht es im zweiten Fall. Diana Diamant* ist auf dem Rückweg von der Arbeit. Sie hatte Spätdienst. Inzwischen ist es draußen dunkel, auf den Straßen kaum noch etwas los. Trotzdem wartet sie minutenlang an einer roten Ampel. Als sie feststellt, dass die Anlage nicht reagiert, entschließt sie sich, die Straße zu überqueren. Prompt wird sie erwischt. Das Amtsgericht verurteilt die Radfahrerin wegen eines vorsätzlichen Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 100 Euro. Dagegen wehrt sich Diana Diamant. Es stellt sich nämlich heraus: die Ampel war mit einer Kontaktschleife ausgerüstet, die zwar von Autos, möglicherweise aber nicht von Radfahrern ausgelöst werden kann. Und so kommt es am Oberlandesgericht Hamburg in zweiter Instanz zu dieser Entscheidung:

"Wenn eine Ampel durch technische Störungen dauerhaft Rot zeigt, hat sie keine rechtliche Wirkung. Radfahrer sind nicht verpflichtet, in solchen Fällen abzusteigen und als Fußgänger zu agieren. Die erhöhten Sorgfaltsanforderungen, die der Betroffenen beim Überqueren der Kreuzung oblagen, wurden nach Feststellung des Gerichts eingehalten."

Das Urteil des Amtsgerichts wird aufgehoben. Frau Diamant muss nichts zahlen.


Kein Anspruch auf Pflanzenschnitt durch den Nachbarn bei eigenem Fehlverhalten

Landgericht Frankenthal (AZ: 2 S 85/23)

Zum Schluss noch ein Fall ganz nach dem Motto „Wie du mir, so ich dir“. Linus Liebstock* liegt im Klinsch mit seinem Nachbarn. Streitobjekt ist eine Hecke auf dem anliegenden Grundstück, die inzwischen so hochgewachsen ist, dass Herr Liebstock nur noch wenig Sonne auf seiner Seite sieht. Sein Nachbar weigert sich vehement, die Hecke zu kürzen. Und so landet der Fall vor dem Amtsgericht Ludwigshafen. Das fordert den Beklagten auf, die Gartenschere in die Hand zu nehmen und das Gewächs zu verschneiden. Nach dem Urteil passiert aber erst einmal nichts. Bis eines Tages ein Brief in Liebstocks Haus flattert – mit einer Vorladung vom Landgericht Frankenthal. Was war passiert? Auch Herr Liebstock hat offenbar einige Pflanzen auf seinem Grundstück, die in ihrer Ausdehnung ganz und gar nicht den gängigen Regeln entsprechen. Und deshalb wird jetzt neu verhandelt – mit folgendem Ausgang:

Mann hält einen Paragraphen über eine Hecke seinem Nachbarn entgegen. 28 min
Bildrechte: imago/photothek

"Nach dem geltenden Nachbarrecht muss jeder mit einer Hecke zum Nachbargrundstück dafür sorgen, dass sie eine bestimmte Höhe nicht überschreitet. Dieser Anspruch kann auch gerichtlich durchgesetzt werden. Wer aber selbst gegen die Regeln verstößt, kann sich auf diesen Anspruch nicht zwangsläufig berufen."

Heißt im Klartext: Wer den Rückschnitt einer Hecke des Nachbarn fordert, sich aber selbst nicht an die Regeln hält, hat am Ende das Nachsehen.

*Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 03. Februar 2024 | 06:20 Uhr

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