Sonnenaufgang in Deutschland
Wo befindet sich eigentlich der Geburtsort unserer Sonne? Bildrechte: Gerald Perschke

Astrophysik Die Sonne: Ein verwaistes Kind, das mit vielen anderen Sonnen entstand?

18. Mai 2023, 12:00 Uhr

Die Sonne ist uns so nah und dennoch so unbekannt. Die Esa und Nasa versuchen mit ihren Raumsonden Solar Orbiter und Parker Solar Probe mehr über den Giganten im Zentrum unseres Planetensystems zu verstehen. Eine Forschungsgruppe hat nun versucht herauszufinden, wo die Sonne entstanden ist. Sie kommt nicht von hier.

Sie schenkt uns Leben und kann es mit einem Wimpernschlag wieder nehmen. Die Sonne ist der Gigant unseres Planetensystems und ohne sie würde es uns heute nicht geben. Sie würden diesen Artikel nicht lesen. Und vermutlich würde es woanders jemanden geben, der das Universum nach anderem fremden Leben absucht – jedoch nie auf die Menschheit treffen würde. 

Nun haben wir das Glück, dass die Sonne vor 4,6 Milliarden Jahren entstanden ist. Wenige Hundert Millionen Jahre darauf nahmen die ersten Planeten ihre Gestalt an. Die ersten bakterienartigen Einzeller sind vor 3,5 Milliarden Jahren entstanden. Erste Mikroorganismen folgten; dann vor circa 480 Millionen Jahren auch die ersten Landpflanzen. Die ersten Gliederfüßler entstanden vor etwa 425 Millionen Jahren. Die ersten Vertreter unserer Gattung, der Homo habilis, wanderte vor 2,8 Millionen Jahren bereits komplett aufrecht gehend auf der Erde. Ohne die Sonne wäre das alles nicht möglich.

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Ansicht der Sonne mit der im Stile eines Wasserzeichens eingefügten Zahl Zehn. 12 min
Was wissen wir über unsere Sonne? Bildrechte: MDR

Doch obwohl sie uns so nah ist, wissen wir nur sehr wenig über sie. Die Fachwelt kann mittlerweile recht gut erklären, wie Sterne entstehen. Doch einige ziemlich grundlegende Fragen zu unserem nächsten Stern konnten nicht geklärt werden. 

Made in Europe: Mit Solar Orbiter die Sonne verstehen lernen

Auf unserem Kontinent will man das mit der Raumsonde Solar Orbiter der europäischen Raumfahrtbehörde Esa ändern. Die Sonde ist im Februar 2020 gestartet und wird die Sonne mehrfach umrunden, um sich ihr langsam mit immer kleiner werdendem Abstand zu nähern. Bei ihrem minimalen Abstand wird die Sonde Temperaturen von 500 Grad Celsius aushalten müssen. Dafür wurde ein spezielles Hitzeschild entworfen, damit die Instrumente an Bord nicht anfangen zu schmelzen. 

Künstlerische Darstellung der Raumsonde - Solar Orbiter - der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA vor der Sonne.
Künstlerische Darstellung der Raumsonde - Solar Orbiter - der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA vor der Sonne. Bildrechte: ESA/ATG, SOHO (ESA & NASA)

Insgesamt wurden zehn Instrumente verbaut. Sechs davon dienen der Fernerkundung, die unter anderem Röntgenstrahlung oder die Sonnenoberfläche bei unterschiedlichen Wellenlängen beobachten sollen. Dann gibt es noch vier Instrumente, die Partikel, Felder und Strahlung in der unmittelbaren Umgebung der Raumsonde untersuchen. 

Parker Solar Probe berührt die Sonne

Die US-Raumfahrtbehörde Nasa hat die Raumsonde Parker Solar Probe im August 2018 gestartet. Am 28. April 2021 flog die Sonde mit einem Abstand von rund 6,5 Millionen Kilometern über die Sonnenoberfläche hinweg und somit durch ihre Korona hindurch. Die Erde ist im Mittel 149,6 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt. Für diese Entfernung benötigt ihr Licht knapp acht Minuten zu uns.

Helle Strukturen, durch die NASA-Raumsonde Parker Solar Probe über und unter den Streamern in der Sonnenkorona geflogen ist. Bislang waren die Luftschlangen nur aus der Ferne zu sehen. Von der Erde aus sind sie nur bei totalen Sonnenfinsternissen zu sehen. Das Bild zeigt sechs Einzelaufnahmen, die zu einer Collage zusammengestellt sind: drei Bilder oben, drei Bilder unten.
Helle Strukturen, durch die Nasa-Raumsonde Parker Solar Probe über und unter den Streamern in der Sonnenkorona geflogen ist. Bislang waren die Luftschlangen nur aus der Ferne zu sehen. Von der Erde aus sind sie nur bei totalen Sonnenfinsternissen zu sehen. Das Bild zeigt sechs Einzelaufnahmen, die zu einer Collage zusammengestellt sind: drei Bilder oben, drei Bilder unten. Bildrechte: NASA, Johns Hopkins APL, Naval Research Laboratory

Parker Solar Probe soll die Sonnenkorona untersuchen, um unter anderem Daten über ihren Energiefluss zu sammeln. Denn die Korona heizt sich auf mehrere Millionen Grad Celsius auf und beschleunigt den Sonnenwind. Zudem wollen die Forschenden mehr über den Mechanismus verstehen, der energiereiche Partikel beschleunigt und transportiert sowie Daten zum Magnetfeld der Sonne am Entstehungsort des Sonnenwindes sammeln. Auch die Struktur des Plasmas soll sie entschlüsseln helfen.

Sonnenstürme und die Sache mit den Polarlichtern

Und bereits jetzt kann die Fachwelt mehr über die – von manchen verfluchten – Sonnenstürme verraten. Beispielsweise, dass sie gar nicht so gefährlich sind, wie immer wieder gesagt wird. Klar, sie können die Elektronik mancher sehr empfindlicher Geräte stören. Doch die meisten elektronischen Geräte auf der Erde bekommen davon wenig mit. Im Weltraum sieht es dagegen wieder anders aus, hat der Sonnenexperte und -physiker Volker Bothmer MDR WISSEN im Interview erklärt

Sonnensturm
Ein Sonnensturm, der gerade mit einem riesigen Plasmafaden aus der Sonne ausbricht. Bildrechte: imago images/ Panthermedia

Dafür haben Sonnenstürme einen tollen Nebeneffekt: Sie können Polarlichter auslösen und das momentan auch über Deutschland. Ob es auch diesen Sommer bunte Lichter über Mitteldeutschland geben wird? Das hat Peter Dorman vom neu eröffneten Planetarium in Halle ebenfalls MDR WISSEN im Gespräch verraten. Um es kurz zu machen: Die Chancen stehen nicht schlecht.

Wo ist unsere Sonne entstanden? 

Und obwohl wir schon ein bisschen was über die Sonne wissen, können wir nicht erklären, woher sie kommt. Das Problem hat ein Forschungsteam nun untersucht und kommt dabei zu einem ernüchternden Ergebnis: Die Sonne hat sich mittlerweile weit von ihrer ursprünglichen Heimat entfernt – einer namenlosen, inzwischen verschwundenen stellaren Kinderstube aus Gas, die sich vor langer Zeit auflöste oder zu Sternen verdichtete. Woher die Sonne genau kommt und wie exakt sie entstanden ist, können sie nicht beantworten. 

Das Problem ist nämlich ihr enormes Alter. Jedoch könnten Meteoriten Hinweise auf die Umgebung während der Geburt des Sonnensystems enthalten. Die Isotope von Elementen wie Kalium können uns nämlich verraten, wo im präsolaren Nebel sie entstanden sind. Da nicht jeder Meteorit gleich ist, können Forschende sogar noch besser nachvollziehen, welche Bedingungen in diesem Nebel bestanden, lange bevor die ersten Planeten in unserem Sonnensystem entstanden sind.

Denn Sterne entstehen in kosmischen Wolken, also stellaren Nebeln. Sie bilden sich, wenn ihr Inneres auf einen zentralen haufenartigen Punkt kollabiert – aus dem dann später der Stern entsteht. Doch diese Nebel gibt es in vielen Formen und Größen. Manche von ihnen sind kleine dunkle Kügelchen, andere riesige Molekülwolken. 

Möglicher Entstehungsort 1: ein kleines, dunkles Kügelchen

Die Sonne könnte also in einer kleinen dunklen Kugel aus stellarem Nebel entstanden sein. Ein Beispiel für eine solche kosmische Wolke ist der nahe gelegene Nebel Barnard 68. Er ist ein dunkler Klumpen aus kaltem Gas und Staub. Die Körner sind winzig und bestehen aus Gesteinsmaterial, sogenannten Silikaten, und komplexen Kohlenstoffmolekülen, die Ruß ähneln. 

Barnard 68 ist etwa 500 Lichtjahre von uns entfernt und liegt im südlichen Sternbild Schlangenträger. Es ist eine pechschwarze, geisterhafte Masse, die das Licht der dahinter liegenden Sterne wie ein undurchsichtiges Loch am Himmel vollständig blockiert. Dieser Nebel ist gerade einmal ein halbes Lichtjahr groß und hat somit einen Durchmesser von weniger als fünf Billionen Kilometer (ein Lichtjahr entspricht 9,46 Billionen Kilometer). 

Die Barnard 68-Molekülwolke, wie sie vom ESA-Satelliten Gaia unter Verwendung von Informationen aus der zweiten Datenveröffentlichung der Mission betrachtet wurde.
Die Barnard 68-Molekülwolke, wie sie vom ESA-Satelliten Gaia unter Verwendung von Informationen aus der zweiten Datenveröffentlichung der Mission betrachtet wurde. Bildrechte: ESA/Gaia/DPAC

Das reicht gerade mal dazu aus, einen Stern zu bilden, der etwas größer als unsere Sonne ist.  Forschende vermuten, dass Barnard 68 sich gerade genau in diesem Prozess befindet und sich in 200.000 Jahren in einen Stern verwandelt. In so einer kleinen Kugel wird die Sonne wohl nicht entstanden sein. 

Möglicher Entstehungsort 2: ein gigantischer molekularer Wolkenkomplex

Dann könnte es irgendwo in einem gigantischen Molekülwolkenkomplex passiert sein. Ein Beispiel für einen solchen Komplex ist Orion B. Ein unglaublich riesiger Ort für die aktive Sternentstehung. Orion B erstreckt sich über mehrere Hundert Lichtjahre hinweg. Er ist so groß, dass sich dort mindestens 100.000 Sterne bilden können, die die Größe unserer Sonne haben. 

Der Orionnebel ist mit bloßem Auge am Nachthimmel sichtbar und befindet sich in einer Entfernung von circa 1.350 Lichtjahren. Sein Alter wird auf drei Millionen Jahre geschätzt und dieser Nebel hat bereits Hunderte von Sternen hervorgebracht. 

Kleine Sterne, die sich im Orionnebel bilden.
Kleine Sterne, die sich im Orionnebel bilden. Bildrechte: NASA/JPL-Caltech/STScI

Riesenwolken wie diese sind relativ selten, bringen aber Sterne in industriellem Maßstab hervor, während die kleineren Wolken weniger fruchtbar sind, aber die Galaxie übersäen. Statistisch gesehen ist es somit unmöglich, den Ursprung der Sonne ausfindig zu machen. 

Die Sonne hat wohl viel Geschwister

Jedoch sind die Bedingungen in den Nebeln sehr unterschiedlich. Deshalb kam das internationale Forschungsteam zu dem Schluss, dass die Sonne in einer Umgebung mit vielen anderen Sonnen entstanden ist. Dafür haben sich die Astronominnen und Astronomen die Elemente Aluminium-26 und Eisen-60 genauer angeschaut. 

Aluminium-26 entsteht im Inneren massereicher Sterne und wird in deren Winden ausgeblasen, während Eisen-60 in der thermonuklearen Hölle eines explodierenden Sterns geschmiedet wird. Beides radioaktive Elemente, die in Magnesium und Kobalt zerfallen. Um herauszufinden, in was für einer Art von Wolke die Sonne entstanden ist, brauchten die Forschenden Proben, die in der Frühzeit unseres Sonnensystems entstanden sind: Meteoriten. 

Sie simulierten mit Computerprogrammen eine Vielzahl von unterschiedlichen Umgebungen. Anschließend berechneten sie die elementare Zusammensetzung der Nebel, um herauszufinden, wo diese kosmische Wolke entstanden ist. Zum Schluss verglichen sie diese virtuellen Ergebnisse mit den tatsächlich in Meteoriten gemessenen Werten. 

Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass die frühe Sonne während ihrer Entstehung in ihrer Geburtsscheibe wahrscheinlich von starken Winden und Supernova-Explosionen – beides von massereichen Sternen – getroffen wurde. 

Die Sonne ist nur ein Kind, doch wo ist unserer Mutterstern?

Massereiche Sterne, die sich in einem Nebel befinden, haben einen großen Einfluss auf ihre heranwachsenden Geschwistersterne. Sie können heftige Winde aus subatomaren Teilchen ausstoßen. Das kennen wir von unserer Sonne und ihrem Sonnenwind. Nur, dass diese Winde aus subatomaren Teilchen elfmal stärker sind als die Sonnenwinde unseres Sterns. 

Diese Winde können die entstehenden Sterne mit schweren Elementen wie Aluminium und Magnesium anreichern. Und später, wenn sie als Supernovae explodieren, schleudern sie eine andere Mischung dieser Elemente wie Eisen und Kobalt über eine sehr weite Strecke.

Der leuchtende, heiße Stern Wolf-Rayet 124 (WR 124) ist im Zentrum des zusammengesetzten Bildes des James Webb Weltraumteleskops zu sehen, das Licht aus dem nahen und mittleren Infrarot kombiniert.   Hintergrundsterne und Hintergrundgalaxien bevölkern das Sichtfeld und blicken durch den Gas- und Staubnebel, der von dem alternden massereichen Stern ausgestoßen wurde und sich über 10 Lichtjahre im Weltraum erstreckt. An der Struktur des Nebels lässt sich die Geschichte der vergangenen Massenauswürfe des Sterns ablesen. Der Nebel besteht nicht aus glatten Schalen, sondern aus zufälligen, asymmetrischen Auswürfen. Helle Gas- und Staubklumpen erscheinen wie Kaulquappen, die auf den Stern zuschwimmen, mit Schwänzen, die hinter ihnen herausströmen und vom Sternwind zurückgeblasen werden.
Der leuchtende, heiße Stern Wolf-Rayet 124 (WR 124) ist im Zentrum des zusammengesetzten Bildes des James Webb Weltraumteleskops zu sehen, das Licht aus dem nahen und mittleren Infrarot kombiniert.

Hintergrundsterne und Hintergrundgalaxien bevölkern das Sichtfeld und blicken durch den Gas- und Staubnebel, der von dem alternden massereichen Stern ausgestoßen wurde und sich über 10 Lichtjahre im Weltraum erstreckt. An der Struktur des Nebels lässt sich die Geschichte der vergangenen Massenauswürfe des Sterns ablesen. Der Nebel besteht nicht aus glatten Schalen, sondern aus zufälligen, asymmetrischen Auswürfen. Helle Gas- und Staubklumpen erscheinen wie Kaulquappen, die auf den Stern zuschwimmen, mit Schwänzen, die hinter ihnen herausströmen und vom Sternwind zurückgeblasen werden.
Bildrechte: NASA, ESA, CSA, STScI, Webb ERO Production Team

Doch massereiche Sterne sind eher eine Seltenheit. Vielleicht einer von hundert Sternen ist massereich genug, um eine derartige Wirkung zu entfalten. In kleinen Nebeln können sie einfach nicht vorkommen. Deswegen sind sich die Forschenden sicher, dass unsere Sonne in einer Umgebung entstanden ist, in der auch viele andere Sterne geboren wurden. 

Über die Zeit hinweg sind diese Sterne immer weiter hinaus gewandert und haben sich über die Galaxie verteilt. Bestätigen lässt sich das Ganze nicht. Dennoch suchen Astronominnen und Astronomen nach den Geschwistern unserer Sonne. Solche Sterne, die dasselbe Alter und dieselbe Zusammensetzung wie die Sonne aufweisen – damit wir mehr über den Mutterstern all dieser Sonnen erfahren können.

Links/Studien

Die Studie wurde am 22. März 2023 unter dem Titel "Short-lived radioisotope enrichment in star-forming regions from stellar winds and supernovae" (engl. Anreicherung kurzlebiger Radioisotope in Sternentstehungsgebieten durch stellare Winde und Supernovae) im Fachmagazin Monthly Notices of the Royal Astronomical Society veröffentlicht.

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Bildrechte: MDR / NASA, ESA, CSA, STScI
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Bildrechte: MDR/Kari Saari
Illustration zur Magnetosphäre der Erde
Die Magnetosphäre der Erde ist eine magnetische Blase, die unseren Planeten umhüllt und vor den meisten geladenen Teilchen schützt, die von unserer Sonne kommen. Wenn jedoch solare Teilchen auf die Magnetosphäre treffen, können sie die Magnetfeldlinien und das Plasma um die Erde wie die gezupften Saiten einer Harfe in Schwingung versetzen und Wellen mit sehr niedrigen Frequenzen erzeugen. Bildrechte: Martin Archer (Imperial College London), Emmanuel Masongsong (UCLA), NASA

Dieses Thema im Programm: MDR+ | Was wissen wir über unsere Sonne? | 25. Oktober 2022 | 12:00 Uhr