Tag 29 der Theaterchallenge "30 Tage im Parkett": "Meister Röckle" – ein Märchen nach Karl Marx
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29. April 2024, 09:28 Uhr
Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen besitzen eine traditionsreiche Theaterlandschaft. Wir erkunden sie in unserer Theaterchallenge "30 Tage im Parkett". MDR KULTUR und MDR KLASSIK berichten jeden Tag im April von einer anderen Bühne. Für den 29. Tag war unser Kritiker bei "Meister Röckle" und Karl Marx zu Gast, sein Lieblingsstück heißt allerdings "Blutbuch", das Theater Magdeburg empfiehlt er rundum, weil es "klar auf Erfolgskurs": "modern, urban und mit großer Spielfreude".
- Bei der Theaterchallenge "30 Tage im Parkett" berichten wir jeden Tag im April von einer anderen Bühne in Mitteldeutschland – am 28. Tag hat unser Kritiker "Vom Kommen und Gehen" in Bautzen gesehen.
- Das Stadttheatersystem ist in Mitteldeutschland besonders stark ausgeprägt, das hat historische Gründe.
- Die Theater sind ein Spiegelbild der Gesellschaft, hier trifft man sich, diskutiert und wird im besten Fall auch inspiriert.
Unter dem Motto "30 Tage im Parkett" berichten MDR KULTUR und MDR KLASSIK im April jeden Tag von einem Theaterabend in Mitteldeutschland. Wichtigste Spielregel: Es muss immer ein anderes Theater sein – egal ob Schauspielhaus, Opernbühne oder Volkstheater. Können die traditionsreichen Stadt- und Staatstheater heutzutage noch so einen Vorstellungsmarathon leisten? Und was leisten sie da eigentlich?
Jeden Tag bis Ende April berichten unsere vier Kritikerinnen und Kritiker – Bettina Volksdorf, Marlene Drexler, Matthias Schmidt und Stefan Petraschewsky – von ihren Theatererlebnissen des Vorabends. Hier finden Sie täglich den aktuellen Erlebnisbericht:
In Thüringen hatte die Ballett-Produktion "The Bach Project" in Eisenach den Auftakt zu unserer Theaterchallenge gemacht. "Mein Körper ist zu lang" am Theater Rudolstadt verspricht eine besondere Reise durch das Universum des Schriftstellers Franz Kafka und zeigt ihn von seiner kaum bekannten humorvollen Seite. Herman Melvilles Klassiker "Moby Dick", der die Ausbeutung der Natur durch den Menschen thematisiert, ließ am DNT Weimar jede Aktualität vermissen. Das Theater Altenburg-Gera hat die Barock-Oper "Achille in Sciro" von Johann Friedrich Agricola nach mehr als 250 Jahren wiederentdeckt und mit jede Menge Action und Humor inszeniert. Am Theater Erfurt wird mit "Das Rheingold" ein Opern-Klassiker von Richard Wagner inszeniert. Das Theaterhaus Jena zeigt mit "Bitte! Auto! Komm!" eine amüsantes Stück über die Angst, dass ein Auto in die eigene Wohnung fahren könnte.
In Sachsen haben wir herausgefunden, wie Albert Lortzings Oper "Hans Sachs" über den dichtenden Schuster aus Nürnberg gelingt. Unterhaltsam war der Hamster "Goldie" am Schauspiel Leipzig, der für ein junges Publikum in der "Diskothek" gezeigt wurde. Das Bürgerbühnenprojekt "Mütter und Söhne" begeisterte am Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen unseren Kritiker, weil es Brücken zwischen den Kulturen schlägt.
Die Inszenierung "Piaf" am Staatsschauspiel Dresden hielt berührende, aber auch sehr lustige Momente bereit. Mit "Giselle" bringt der langjährige Ballettdirektor und Chefchoreograf, Mario Schröder, seine letzte Produktion auf die Bühne der Oper Leipzig, die Dekonstruktion eines Klassikers. Am Mittelsächsischen Theater Freiberg-Döbeln kommt der starke Theatertext "Muttersprache Mameloschn" in einem surrealen Setting auf die Bühne.
In Sachsen-Anhalt hat am Theater der Altmark die Intendantin Dorotty Szalma, die mit ihrer Arbeit für mehr Empathie bei dem Menschen sorgen möchte, "Der Glücksfall" gekonnt inszeniert. In Halle begeistert "Maja" auf der Bühne mit einer fantasievollen und hoch-musikalischen Inszenierung für Kinder ab sechs Jahren. Am Theater Magdeburg schließt der erfinderische "Meister Röckle" einen Pakt mit dem Teufel, das Stück ist ein eigensinniger Kapitalismus-Exkurs mit Musik und am 27. Mai letztmalig zu sehen
Was kosten Sekt und Wiener?
Bei den Vorstellungsbesuchen steht nicht die Inszenierung im Vordergrund, sondern der Theateralltag. Es geht um das Publikum. Wer sieht sich die Stücke an? Sind es viele oder wenige, alte oder junge Zuschauerinnen und Zuschauer? Wie kommen sie ins Theater? Gibt es einen funktionierenden Busverkehr? Und – das darf nicht vergessen werden – was kosten der Sekt in der Pause und das Paar Wiener am Tresen?
30 Bühnen in drei Bundesländern
In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gibt es 30 Staats- und Stadttheater: 15 in Sachsen, acht in Thüringen und sieben in Sachsen-Anhalt. Fünf dieser Theater sind fusioniert, also mit einem anderen Theater zusammengelegt, beispielsweise die Theater Plauen-Zwickau oder Altenburg-Gera. So wollte man Mitte der 90er-Jahre effektivere Strukturen schaffen. Unterm Strich hat das aber wenig gebracht, urteilt MDR KULTUR Theaterredakteur Stefan Petraschwesky.
Obwohl es hierzulande eine aktive und spannende Freie Theaterszene gibt, haben wir uns entschlossen, diese Spielstätten nicht in die Challenge aufzunehmen. Die eigentliche Herausforderung soll nicht verwässert werden: Die historisch gewachsene Stadttheaterlandschaft abzubilden, die es sonst nirgendwo so engmaschig gibt wie hierzulande.
Wie fit ist dieses traditionsreiche System in der heutigen Zeit? Und welche Veränderungen passieren gerade?
Reiche Theatergeschichte
Das Stadttheatersystem hat in Mitteldeutschland starke Wurzeln. Schon im Barock wurden viele Hoftheater gegründet - besonders in Thüringen, wo es auf engem Raum viele Fürsten- und Herzogtümer und deswegen auch viele Hoftheater gab. Mit Opernaufführungen, Spitzensängern und Uraufführungen konnten die Adligen voreinander prahlen, Wohlstand und Macht demonstrieren.
Gewissermaßen als Gegenentwurf wurden dann auch einige Theater in den Städten gebaut, die wirtschaftlich Erfolg hatten. In der Buchstadt Leipzig war das so. Auch in der Textilstadt Plauen bauten sich stolze Bürger einen Tempel für die Kunst.
DDR-Traditionen
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in der alten Bundesrepublik viele Stadttheater zu Landesbühnen zusammengeschlossen. Die ehemaligen Theater waren jetzt nur noch Orte für Gastspiele dieser Landesbühnen und keine selbst produzierenden Häuser mehr.
In der DDR ist das nicht passiert. Im Vertrag zur Deutschen Einheit hatten die Bundesrepublik und die DDR entschieden, dass die kulturelle Substanz der neuen Länder keinen Schaden nehmen darf. Deswegen existieren in Mitteldeutschland nach wie vor verhältnismäßig viele Theater – was Segen und Fluch zugleich ist.
Gerade das soll bei unserer Theaterchallenge betrachtet werden: Wie können die Theater künftig agieren, damit sie ihre künstlerische und gesellschaftliche Rolle in einer Stadt weiter spielen können?
Hier kommt die Gesellschaft zusammen
Theater sind immer auch ein Begegnungsort für die Gesellschaft. Diese Rolle wird wichtiger, wenn immer mehr Gaststätten und Kinos schließen. In den Theatern kann man schon immer miteinander ins Gespräch kommen und Meinungen austauschen.
Spätestens seit 2015 sind Theater auch Orte, an denen Geflüchtete und Einheimische zusammenkommen können. In Dresden gibt es dafür ein "Montagscafé"; am Deutsch-Sorbischen Volkstheater das "Thespis-Zentrum".
Wenn irgendwo die "Extrawurst" auf dem Spielplan steht, ist das ein Stück über Toleranz in unserer Gesellschaft. Die Handlung: Beim Vereinsfest soll Schweinebratwurst auf den Grill gelegt werden. Aber was ist mit dem neuen Mitglied, das Muslim ist. Bekommt der eine Extrawurst auf einem Extragrill? Das Stück entlarvt unsere Denkungsweisen zum Thema, ganz ohne Zeigefinger. Und mit viel Humor.
Momentaufnahme der Theaterlandschaft
Nicht zuletzt geht es bei der Theaterchallenge "30 Tage im Parkett" auch um kulturpolitische Aspekte. Um Fragen wie: Ist Theater wirklich ein vielbeschworener "Ort der Demokratie", ein Ort des "gesellschaftlichen Miteinanders" – oder etwa ein "linksgrün-versifftes" Ärgernis? Wie ausgewogen werden unterschiedliche Positionen verhandelt und dargestellt? Und müssen sie das überhaupt sein?
Am Ende entstehen so bestenfalls Momentaufnahmen im Jahr der Wahlen: als Spiegelbild einer facettenreichen, deutschen Stadttheaterlandschaft. Einer Landschaft, die als immaterielles Welterbe im Gespräch, nirgendwo so dicht wie in Mitteldeutschland gewebt und hierzulande von besonderer Tradition geprägt ist - von Stendal bis Annaberg-Buchholz, von Meiningen über Weimar bis Zittau.
> Die Stationen der Theaterchallenge in Sachsen (Zum Aufklappen)
Stadt | Spielstätte | Besprechung | Aufführung |
---|---|---|---|
Dresden | Staatsschauspiel | 2. April | Piaf |
Dresden | Semperoper | 3. April | Frau ohne Schatten |
Bautzen | Deutsch-Sorbisches Volkstheater | 4. April | Mütter und Söhne |
Plauen-Zwickau | Theater | 8. April | Romeo und Julia |
Leipzig | Schauspiel | 11. April | Goldie |
Leipzig | Musikalische Komödie | 14. April | Hans Sachs |
Annaberg-Buchholz | Erzgebirgische Theater | 16. April | Vetter aus Dingsda (Probenbesuch) |
Görlitz/Zittau | Gerhart Hauptmann-Theater | 17. April | Michael Kohlhaas |
Radebeul | Theater | 18. April | Unterleuten |
Leipzig | Oper | 21. April | Giselle |
Chemnitz | Theater | 22. April | Superbusen |
Dresden | Staatsoperette | 24. April | Clivia |
Freiberg/Döbeln | Mittelsächsisches Theater | 26. April | Muttersprache Mameloschn |
Bautzen | Sorbisches National-Ensemble | 28. April | Vom Kommen und Gehen |
Dresden | Theater Junge Generation | 30. April | Fanklub |
> Die Stationen der Theaterchallenge in Sachsen-Anhalt (Zum Aufklappen)
Stadt | Spielstätte | Datum | Aufführung |
---|---|---|---|
Stendal | Theater der Altmark | 5. April | Der Glücksfall |
Halberstadt/Quedlinburg | Harztheater | 6. April | Extrawurst |
Eisleben | Theater | 10. April | No planet b |
Naumburg | Theater | 19. April | Theaterspaziergang |
Dessau | Anhaltisches Theater | 20. April | Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm |
Halle, TOOH | Bühnen Halle (TOOH) | 23. April | Maja |
Magdeburg | Theater | 29. April | Meister Röckle |
> Die Stationen der Theaterchallenge in Thüringen (Zum Aufklappen)
Stadt | Spielstätte | Datum | Aufführung |
---|---|---|---|
Eisenach | Landestheater | 1. April | Bach Project |
Erfurt | Theater | 7. April | Das Rheingold |
Rudolstadt | Theater | 9. April | Mein Körper ist zu lang - ein Kafkaabend |
Weimar | Deutsches Nationaltheater | 12. April | Moby Dick |
Gera/Altenburg | Theater | 13. April | Achille in Sciro |
Nordhausen/Sondershausen | Theater, Loh-Orchester | 15. April | Brenner und Brenner |
Jena | Theaterhaus | 25. April | Bitte Auto Komm |
Meiningen | Staatstheater | 27. April | Hamlet |
Quelle: MDR KULTUR, MDR KLASSIK
Redaktionelle Bearbeitung: op, bh, tsa, lig, hki, sg, hro, jb, as, tda, ks
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 28. April 2024 | 10:15 Uhr