Internationaler Frauentag Die Mädchen kommen?!
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09. März 2022, 13:16 Uhr
Die Regensburger Domspatzen nehmen Mädchen auf – die Meldung wirkte im vergangenen Jahr wie eine Revolution. Allerdings bezog sich das in erster Linie auf das Gymnasium des berühmten Knabenchores, in dem bisher nur Jungen zusammen lernten. Dennoch plant man in Regensburg gleichzeitig auch den Aufbau eines Mädchenchores. Da stellt sich die Frage, ob Mädchen künftig auch hierzulande unter dem Dach der Thomaner in Leipzig und des Dresdner Kreuzchores einen Platz finden werden.
Was würde passieren, wenn es Mädchen erlaubt würde, in Knabenchören zu singen? Ganz klar: Die Chöre wären dann gemischte Chöre, was letztlich ein Ende der traditionsreichen Ensembles, wie etwa der Thomaner in Leipzig oder des Dresdner Kreuzchores bedeuten würde. Beide Knabenchöre blicken auf ein über 800-jähriges Bestehen zurück.
Nachdem eine Mutter geklagt hatte, weil ihrer Tochter nach einem Vorsingen vom Staats- und Domchor Berlin nicht aufgenommen wurde, stellte sich die generelle Frage nach der Aufnahme von Mädchen. Auch in Dresden habe sie versucht, das Mädchen unterzubringen. Zu dem von Kreuzkantor Roderich Kreile vorgeschlagenen Gespräch sei es jedoch seitens der Mutter nicht gekommen. Im vergangenen Jahr entschied nun das zuständige Gericht, dass die Chorleitung berechtigt sei, Mädchen auszuschließen, wenn sie bei allem Talent mit ihrer Stimme nicht dem Klangbild eines Knabenchores entsprächen.
Faszination Knabenchor
Es ist der spezifische Klang eines Knabenchores, der oftmals als "ätherisch" beschrieben wird und seine besondere Faszination ausmacht. Dabei spielt das "Flüchtige" – so beschreiben es Kenner – dieser glockenhellen Jungenstimmen eine große Rolle. Mit dem Stimmbruch geht dieser spezielle Klang jedoch unwiederbringlich verloren. Insofern müssen die Jungen möglichst früh und in kurzer Zeit intensiv ausgebildet werden, um auf dem Niveau, auf dem zumindest in den Spitzenensembles musiziert wird, mitsingen zu können.
Mädchen haben dafür mehr Zeit, da die stimmliche Veränderung bei ihnen nicht so ausgeprägt ist und zumeist nicht zu einem Wechsel in eine andere Stimmgruppe führt. Und es gibt noch weitere physiologische Unterschiede: Etwa unterschiedliches Atemvolumen – die Jungen haben nachgewiesenermaßen mehr – oder dass die Stimmlippen im Kehlkopf unterschiedlich fest schließen. Das belegen beispielsweise Studien wie die des Uniklinikums Leipzigs. Durch Stimmbildung kann man diesen Klangunterschieden allerdings begegnen und sie minimieren.
Tradition allein reicht nicht
Letztendlich geht es um Bildungsgerechtigkeit und die Frage, wie Mädchen in den Genuss einer ähnlichen Eliteausbildung kommen können, wie sie in den oftmals öffentlich geförderten Knabenchören angeboten wird.
Dann ist auch die Frage: Will man das mit dem Kreuzchor vergleichbar machen, dann müsste man ja auch wieder die Frage nach einem Alumnat stellen. Wir haben hier gar nicht die räumlichen Möglichkeiten. Wir bräuchten dann extra Lehrkräfte und extra Räume.
Der Dresdner Kreuzchor würde natürlich noch einen pädagogischen Zweig zur Ausbildung von Mädchen übernehmen, wenn man ihnen die Möglichkeiten zur Verfügung stellen würde, so Kreuzkantor Roderich Kreile.
Mehr als 40 Interessentinnen bei den Domspatzen
In Regensburg hat man offensichtlich diese Möglichkeiten, wobei die Aufnahme von Mädchen zuallererst für das Gymnasium der Domspatzen gilt. Bisher waren die Jungen dort unter sich. Jetzt, nachdem der Campus aufwendig saniert und modernisiert wurde, stehen die Türen ab dem kommenden Schuljahr auch ihren Altersgenossinnen zur Verfügung.
Zeitgleich ist außerdem die Gründung eines Mädchenchores geplant, der mit Blick in die Zukunft zu einer neuen Säule der Regensburger Dommusik entwickelt werden soll. Im Moment herrscht diesbezüglich jedenfalls Zuversicht, denn mehr als 40 Interessentinnen haben bereits angefragt.
Entwicklungen in Mitteldeutschland
Seitens des Thomanerchors in Leipzig werden beispielsweise enge Kontakte zur Anna-Magdalena-Bach-Grundschule gepflegt, um die Erfahrungen, die über Jahre bei der Ausbildung von Jungen gesammelt worden sind, weiterzugeben. Auch die Grundschule "forum thomanum" in Leipzig, wo sowohl Mädchen als auch Jungen in ihrer musikalischen Ausbildung gefördert werden, profitiert von diesen Erfahrungen. Das gleiche gilt für die Thomasschule.
Außerdem gibt es Kooperationen mit der Schola Cantorum, einer städtischen Chorschule, in der an die 300 Kinder und Jugendliche in verschiedenen Ensembles singen, unter anderem auch ein Mädchenchor. Hier finden auch gemeinsame Konzerte mit den Thomanern statt.
Keine Nachfrage seitens der Mädchen
Einen Mädchenchor gibt es auch in Dresden bereits seit vielen Jahren. Geleitet wird er seit 1989 von Claudia Sebastian-Bertsch. Ihre klanglichen Ansprüche an die jungen Sängerinnen sind dabei hoch, weshalb es auch individuelle Stimmbildung gibt, allerdings nur während der zweimal wöchentlich stattfindenden Proben. Dass sich der Dresdner Mädchenchor zu einem mit den renommierten Knabenchören vergleichbaren Ausbildungsangebot entwickelt, sieht Claudia Sebastian-Bertsch nicht.
Wenn ich die Ausbildung forciert haben wollte, dann würde mir das Heinrich-Schütz-Konservatorium das sogar zur Verfügung stellen, aber ich habe gar nicht die Nachfrage danach.
Dennoch muss die Diskussion weiter geführt werden, denn am Ende geht es um die Verteilung von Fördermitteln und dabei gilt es eben nicht nur die renommierten Knabenchöre zu unterstützen, sondern auch Mädchenchöre sowie die zahlreichen gemischten Kinder- und Jugendensembles.
Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | 08. März 2022 | 07:13 Uhr