Eine Luftaufnahme von Torgau.
Torgau mit Schloss Hartenfels: Hier hat vor fast 500 Jahren Johann Walter die erste gemischte Stadt-Kantorei gegründet. Bildrechte: IMAGO / Sylvio Dittrich

Sommertour– KLASSIK ENTLANG DER STRASSE DER MUSIK Klassisch unterwegs in der Residenzstadt an der Elbe: Torgau

08. August 2022, 13:59 Uhr

Händel in Halle, Telemann in Magdeburg, Schütz in Dresden und natürlich Bach in Eisenach oder Leipzig. Was aber ist mit Ermitz, Gräfenroda oder Panitzsch? Was mit Schein, Stricker, Graupner, Jürgen Hahn und weiteren weit über 2300 Komponisten? Sie alle sind in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringe geboren oder beerdigt, haben dort gewirkt oder wirken noch immer. MDR KLASSIK hat Orte mit musikalischer Geschichte besucht, die abseits urbaner Musikzentren liegen – entlang der "Straße der Musik". In Teil 6 der Reihe geht es nach Torgau.

Schon im 10. Jahrhundert nennen sorbische Siedler den Ort "Torguo2, also Marktstadt. Der sächsische Kurfürst Ernst macht Torgau zur Residenz seines Machtbereichs. Das Schloss Hartenfels wird zum politischen Rückgrat Martin Luthers. Denn "Wittenberg ist die Mutter, Torgau die Amme der Reformation", so predigte es Luther 1521 zum ersten Mal in Torgau. Johann Walter wird 1526 Stadtkantor. Am 25. April 1945 treffen hier sowjetische (östliches Elbufer) auf amerikanische Truppen (westliches Elbufer) und besiegeln mit dem sogenannten Elbe Day das Ende des Zweiten Weltkrieges.

Johann Walter – Urkantor der Residenzstadt Torgau

Die kursächsische Residenzstadt Torgau liegt nicht nur an der Elbe, sondern auch an der Straße der Musik. Dieser Anspruch wird aktuell auch fast täglich hörbar, denn von den Bühnen der sächsischen Landesgartenschau tönt es, dass der Urvater des evangelischen Kirchenliedes, Johann Walter, so seine Freude hätte. Aus dem thüringischen Kahla stammend, prägt Walter, an der Seite Martin Luthers, als Urkantor das Berufsbild des Kirchenmusikers der neuen Kirche.

Torgau als Wiege der Kirchenmusik

"Wir behaupten immer schön tapfer, dass Torgau die Wiege der Kirchenmusik ist", sagt Christiane Schmidt, Pastorin an der Stadtkirche St. Marien. Der Ursprung: Johann Walter (1496-1570) wird arbeitslos, als sein Dienstherr Kurfürst Johann der Beständige die Hofkapelle kurzerhand aufgelöst hatte. "Da hat ihn Luther angeheuert, um mit ihm das erste deutsche Gesangsbuch herauszugeben. Dazu hat Walter in Torgau diese erste gemischte Stadt-Kantorei gegründet," sagt Schmidt.

Diese trägt jetzt natürlich den Namen des Kirchenliedvaters Johann Walter und liefert seit ihrer Gründung vor fast 500 Jahren die Blaupause für Chorarbeit und Instrumentalmusik in protestantischen Gemeinden.

Bräutigam: "Der Geist noch immer spürbar"

Heute wird diese Kantorei von Christiane Bräutigam geleitet. Seit anderthalb Jahren steht sie der legendären Vereinigung vor. Für die junge Kantorin sei die Verbindung von Musik und geistlichen Texten das Reizvolle an ihrer Arbeit. Zumal auch noch in der Stadt, in der die ersten Kirchenlieder in der Landessprache geschrieben wurden. Mit "Ein feste Burg ist unser Gott" ist darunter auch jenes Lied, das von Luther getextet und – so jedenfalls sieht es die Wissenschaft – von Johann Walter in Töne übersetzt wurde.

"Ich bilde es mir vielleicht ein, aber ich kann heute noch etwas von diesem Geist spüren. Wenn die Gemeinde ‚Ein feste Burg‘ singt, schmettert das richtig“, sagt Bräutigam.

Musikalität als Wahrzeichen Torgaus

Ausgebildet wurde Bräutigam in Leipzig, Weimar und Lyon, bevor sie die Kantorei in Torgau übernommen hat. Diese hat gegenwärtig etwa 55 Mitsingende, die auch häufig im Gottesdienst sind.

Ich denke, dass diese Musikalität das Typische an der Torgauer Stadtgemeinde ist.

Christiane Bräutigam, Leiterin Johann-Walter-Kantorei

Pastorin Schmidt nickt, sie selbst sei eine begeisterte Sängerin und – natürlich – auch Mitglied der Johann-Walter-Kantorei. Den Lackmustest solcher Bekenntnisse liefern dazu die Liedertafeln zum Gottesdienst. Diese sind noch vom vergangenen Sonntag gut mit Liednummern gefüllt: "Wir singen viel, sechs bis acht Lieder pro Gottesdienst“, sagt Schmidt.

Eine ganz besondere Orgel

Das große Längsschiff der Stadtkirche verträgt solche Gesänge, begleitet werden diese von einer ungewöhnlichen Orgel. Das Kircheninstrument thront nicht wie sonst üblich gegenüber der Apsis in luftiger Höhe, sondern wird an der Südwand links vor dem Altarbereich platziert. Seit 1984 steht sie dort und wurde von der Orgelbaufirma Schuster aus Zittau erbaut.

Mit ihren 41 Registern auf drei Manualen und dem Pedal bietet sie so ziemlich alle Klangfarben, um sich überzeugend durch die Musikgeschichte zu spielen. Auffallend ist ein besonderes Register, dessen Metallpfeifen vertikal verbaut wurden und die Betrachtenden und Zuhörenden direkt anblasen. Doch die sind erst später zur Torgauer Registerfamilie dazu gestoßen.

Das habe viel mit dem Gewandhausorganisten Matthias Eisenberg zu tun, erzählt Christiane Schmidt, der oft und gern in der Marienkirche spielt. "Dabei wird wild improvisiert. Der brachte diese Spanischen Trompeten mit nach Torgau. Ein Register, das anderswo nicht mehr gebraucht wurde, aber seiner Meinung nach bestens zu unserem Instrument passen sollte“, so Schmidt.

Diese Spanischen Trompeten bringen vor allem französische Romantiker auf Touren, eine Spezialität von Ekkehard Saretz. Saretz war der 25. Nachfolger von Johann Walter als Kantor an der Marienkirche – und damit der Vorgänger von Christiane Bräutigam.

Walters Sangeslust hält die Torgauer bei Stimme

Die Stadt ist zu Recht stolz auf den berühmten Weggefährten Luthers, dessen Sangeslust bis heute die Torgauer bei Stimme hält. Nicht nur in den Kirchen: Seit einem halben Jahrzehnt widmet sich auch ein kleines Museum dem Urvater des Kirchenlieds und der Urkraft des Gesangs.  

Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 08. August 2022 | 08:40 Uhr

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