Cellistin Christine Vogel
Musikerin Christine Vogel hat 2021 die Plattform linksgespielt.de gegründet Bildrechte: Arnold Widera

Interview Weltlinkshändertag: Christine Vogel will linksspielende Menschen vernetzen

13. August 2022, 00:00 Uhr

Am 13. August findet jährlich der Weltlinkshändertag statt. Für viele nichts besonderes: Es gibt spezielle Scheren, Tassen und allerhand Gerätschaften für Linkshänder. Aber wie ist das in der Musik? Was ist mit Menschen, die ihre Geige, das heißt den Geigenbogen lieber mit der anderen Hand streichen mögen, weil sich das mit der rechten Hand einfach nicht gut anfühlt? Christine Vogel ging das auch so. Das Cello-Spielen hat sie zunächst mit der rechten Hand gelernt. Beim Studium der Viola da gamba merkte sie, dass sie nicht die volle Leistung schafft. Das Spielen hat sie drei Jahre auf links umtrainiert. Und obendrauf die Plattform linksgespielt.de gegründet, um ein Netzwerk für linksspielende Musikerinnen und Musiker zu gründen. MDR KLASSIK hat mit ihr gesprochen.

MDR KLASSIK: Sie haben genau vor einem Jahr, zum Weltlinkshändertag 2021, die Initiative "linksgespielt" gegründet. Warum haben Sie das gemacht?

Christine Vogel: Uns ist aufgefallen, dass, wenn man zum "andersrum-Spielen", zum Linksspielen Informationen sucht, man im Internet noch nicht so richtig fündig wird. Man muss sehr lange suchen, und es gab einfach nicht so die Informationen, die wir uns erhofft haben. Darum haben wir dieses Projekt gegründet, um andere Musikerinnen und Musiker, die auch entgegen der Konvention spielen, zu vernetzen und ihre Erfahrungen sichtbar zu machen.

Sophia Klinke Linksgespielt
Gemeinsam mit ihrer Kollegin Sophia Klinke (Bild) betreibt Christine Vogel die Plattform linksgespielt.de. Bildrechte: Alexander Englert

Meine Kollegin Sophia Klinke und ich machen das zu zweit. Sie ist Geigerin in Frankfurt und wir haben uns mal zufällig im Café kennengelernt. Wir interviewen Leute auf der ganzen Welt und stellen die Informationen zum Beispiel auf Social Media bereit.

Wie groß ist das Interesse der Kolleginnen und Kollegen?

Ich denke, die meisten, die ihr Instrument rechtshändig spielen und die auch kein Problem damit haben, seien sie jetzt links- oder rechtshändig, sind mit dem Thema erstmal gar nicht so stark konfrontiert. Oft kommt es dann, wenn man plötzlich Schüler hat, die stark linkshändig sind, die einfach mit dem Bogen in der rechten Hand zum Beispiel nicht zurechtkommen.

Wir merken natürlich auch, dass Musikerinnen und Musiker, die selbst ein Instrument umlernen wollen oder müssen, weil sie verletzt oder aus irgendeinem Grund mit dem Thema konfrontiert sind, schon sehr dankbar sind und sich sehr freuen über diese ganzen Interviews und Materialien, die sie jetzt da nachlesen können.

Es gibt ja schon noch viele Vorurteile, zum Beispiel, dass Linkshändigkeit im Orchester einfach nicht gut klappt. Wie funktioniert das dann, wenn man nebeneinander sitzt? Welche Vorurteile begegnen Ihnen konkret und was antworten Sie?

Das ist hauptsächlich genau das, was Sie gerade angesprochen haben. Also, dass es bei einem Orchesterspiel zu wenig Platz gäbe. Dass es doch komisch aussieht, wenn nicht alle einheitlich streichen. Und auch, dass es die anderen irritieren würde und dass Orchester sowieso keine links Spielenden aufnehmen. Das ist eigentlich einfach zu beantworten: Im Internet steht zum Beispiel immer, dass es einfach nicht möglich sei, im Orchester linkshändig zu streichen. Also das Hauptthema sind da die Streichinstrumente.

Für unsere Website haben wir verschiedene Leute interviewt, die linkshändig im Orchester spielen, also die mit links streichen und die keinerlei Probleme haben. Da gibt es noch sehr wenige in professionellen Orchestern, aber es gibt welche. Es gibt Geiger, Cellisten, Kontrabassisten und die erzählen uns alle, dass man im engen Orchestergraben sowieso schauen muss, wie man sich da setzt und dass sie eigentlich vom Platz her keine Probleme mehr haben und dass auch ihre Kollegen nicht davon irritiert sind.

Wenn man so ein Orchester anschaut und da alle streichen – da sieht es sowieso nicht so einheitlich aus, wie immer behauptet wird. In vielen Werken sind auch die Stimmen geteilt, sodass am gleichen Pult eh nicht alle unbedingt in die gleiche Richtung streichen. Und wenn man so ein Orchester von weitem sieht, ist es ja doch ein ganz schönes Gewusel, sodass es relativ schwierig ist, auf so einem Bild oder in so einem Video überhaupt denjenigen oder diejenige, die andersrum spielt, zu finden.

Nun könnte sich wahrscheinlich viel ändern im Klassikbetrieb. Sie wollen aufgrund dieser Initiative und der Menschen, die umlernen auch sensibilisieren und sagen: Bitte schaut her, es geht, wir machen es vor. Es gibt auch etliche prominente Beispiele in der Geschichte und auch tragische Schicksale. Menschen, die nach einem Unfall oder einer Veränderung überlegen mussten, können wir eigentlich noch weiterspielen? Und wenn ja, müssen wir dann doch die andere Hand nehmen? Wie geht das? Mögen Sie uns ein paar Beispiele nennen, die Ihnen aufgefallen sind?

In der Geschichte ist es ja in Kriegszeiten zum Beispiel immer ein großes Thema gewesen. Das war im Ersten Weltkrieg zum Beispiel, da erschienen auch ganze Artikel darüber, wo man überlegt hat, wie man denn kriegsversehrte Musiker überhaupt wieder in ihren Beruf integrieren könnte. Das ist aber schon älter. Es gab auch im neunzehnten Jahrhundert schon Beispiele von Flötisten, die sich eine einarmige Flöte konstruieren mussten. Oder beim Klavier gibt es ja ganz viele Solostücke für die linke Hand, was nicht unbedingt wegen Verletzungen entwickelt wurde, sondern eher als Etüden und Herausforderungen.

Aber was dann natürlich zu Berühmtheit gelangt, dass es dann wirklich plötzlich Pianisten gab, die nur noch die linke Hand hatten. Und auch bei Streichern gibt es erstaunlich viele Beispiele, die als Kind in einen oder mehrere Finger in einer Hand verloren haben und deshalb entweder von vornherein schon andersrum spielen mussten oder ihr Instrument umlernen mussten. Ein bekanntes Beispiel ist da etwa Richard Barth, der 1850 geboren ist, und dann aber auch ziemlich bald Konzertmeister in verschiedenen Orchestern war. Daran sieht man ja, dass es da auf jeden Fall auch schon funktioniert hat, mit links im Orchester zu streichen.

Zum Weltlinkshändertag 2022 geben Sie auch ein Konzert....

Das ist in Frankfurt am Main, in Eschersheim. Wir spielen Solo, Musik und Kammermusik. Es kommt zum Beispiel ein Cellist aus Mexiko, der mit links streicht. Die anderen sind aus Deutschland, aber jetzt auch nicht alle aus Frankfurt, sondern sind schon etwas weiter her gereist. Wir spielen zum ersten Mal zusammen und freuen uns total, mal so ein bisschen die Sehgewohnheiten des Publikums durcheinanderzubringen. Dadurch, dass wir jetzt ganz selbstverständlich alle einfach andersrum spielen.

Das Gespräch führte Blanka Weber für MDR KLASSIK.

Mehr Informationen

Mehr Infos zu linksspielenden Musikerinnen und Musikern: www.linksgespielt.de

Zur Umfrage bei MDR KLASSIK

Mehr spannende Musikerinnen

Porträt von Dorothee Mields, leicht über die rechte Schulter blickend, im Hintergrund Säulen 18 min
Bildrechte: Harald Hoffmann
18 min

MDR KLASSIK-Gespräch mit Sängerin Dorothee Mields "Barockmusik ist mein Brot"

Dorothee Mields: "Barockmusik ist mein Brot"

Sie ist eine gefeierte Bach-Interpretin, dabei wollte sie als Kind unbedingt die "Tosca" singen, am liebsten mit José Carreras. Er ist auch Titelheld eines unvollendeten Romans der damals 12-jährigen Dorothee Mields.

MDR KLASSIK Do 30.06.2022 09:35Uhr 17:50 min

Audio herunterladen [MP3 | 16,3 MB | 128 kbit/s] Audio herunterladen [MP4 | 32,5 MB | AAC | 256 kbit/s] https://www.mdr.de/mdr-klassik-radio/klassikthemen/gespraeche/mdr-klassik-gespraech-dorothee-mields-saengerin-musikerin-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 25. März 2022 | 08:20 Uhr

Meistgelesen bei MDR KLASSIK

MDR KLASSIK auf Social Media