Interview Antifeminismus: "Diese Strategie, Frauen auf einen Platz zu verweisen"

27. Juni 2023, 05:00 Uhr

In den Kommentarspalten von Sozialen Medien werden Menschen gern auch persönlich angegriffen – das trifft insbesondere Frauen und vor allem dann, wenn diese ein wichtiges Amt oder eine höhere Position einnehmen. Das Phänomen nennt sich Antifeminismus. Was damit erreicht werden soll, erklärt Johanna Niendorf - die zu diesem Thema forscht - im Interview anhand eines Beispiels.

Die stellvertretende Leiterin der Würzburger Lokalredaktion der "Mainpost", Sophia Scheder, erlebte vor einem Jahr einen Shitstorm. Der Grund: Sie hatte für einen Artikel bei der Stadt angefragt, warum der Song "Layla" auf dem Kiliani-Volksfest gespielt wird. Zu dem Zeitpunkt gab es über dessen sexistischen Text intensive Diskussionen. Und es gab auch einen entsprechenden Beschluss der Stadt, der das Spielen rassistischer und sexistischer Lieder untersagt. Daraufhin erklärte ein Stadtsprecher, dass das Lied nicht mehr auf dem Fest gespielt werden dürfe. Es folgten Kommentare wie dieser: "Das Lied kennt das Kind Sophia Scheder wohl nicht. Diese Reporterin bringt in der Mainpost nur ihre eigene Meinung ein und versucht sie, anderen aufzubringen. Grüne Methode."

Wie würden Sie das einschätzen: Ist das antifeministisch, wirklich auf ihr Geschlecht bezogen?

Johanna Niendorf: Ich würde sagen, das geht schon nochmal über Sexismus hinaus. Auf verschiedenen Ebenen. Sophia Scheder wird die Kompetenz abgesprochen und sie wird als Kind bezeichnet. Es sei nur ihre Meinung. Das heißt, dass sie nicht professionell genug sei ihren Beruf auszuüben, journalistisch vorzugehen, zu recherchieren und eine Diskussion abzubilden und zu dokumentieren.

Das ist dann antifeministisch?

Es geht hier darum zu delegitimieren, dass über ein Thema, in diesem Fall über sexistische Liedtexte, gesprochen wird. Das ist eine Strategie, mit der Antifeminismus arbeitet. Deswegen würde ich das auch so einschätzen.

Das begegnet und betrifft sehr oft und deutlich mehr Frauen.

Johanna Niendorf

Passiert das Männern nicht auch?

Gerade so in dieser Art und Weise, so von oben herab zu sagen: Sie ist nicht kompetent, sie hat nichts verloren auf diesem Posten. Das begegnet und betrifft sehr oft und deutlich mehr Frauen.


Zur Person Johanna Niendorf ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Universität Leipzig und forscht unter anderem zum Thema Antifeminismus. Sie promoviert zum Thema Autoritarismus und Geschlecht.

Ein anderer Kommentar lautet: "Frau Scheder, bitte tun Sie uns einen Gefallen: Suchen Sie sich einen anderen Beruf!"

Hier geht es darum, Frauen abzusprechen, sich in der öffentlichen Sphäre zu bewegen und zu positionieren. Deswegen betrifft das häufig auch Politikerinnen, die ihre Meinung sagen. Von den Frauen wird gefordert: Geht zurück in die private Sphäre, zeigt euch nicht öffentlich. Es geht darum, sie zu "silencen", also sie zum Schweigen zu bringen. Das ist ja hier ein ganz klarer Appell in diese Richtung.

Davon ist auch die Ministerin der Justiz und für Gleichstellung von Sachsen betroffen. Katja Meier (Die Grünen) vertritt klar feministische Positionen. Unter ihren Twitterposts wird sie angefeindet und bekommt auch Drohungen von sexualisierter Gewalt …

Ja, das sehen wir tatsächlich sehr häufig gerade bei Frauen, die sich politisch äußern. Oftmals mit einer Strategie der Sexualisierung, bis zu sexueller Gewaltandrohung, Hasskommentaren, Diffamierungen, dabei geht immer um das Geschlecht, um den Körper der Frau, der kommentiert wird.

Was steckt dahinter?

Das ist diese Strategie, Frauen auf einen Platz zu verweisen, nicht in der Öffentlichkeit, nicht in der Sphäre von Politik, von Macht und Einflussnahme. Sie werden reduziert auf einen Objektstatus, als Sexualobjekt von einem Mann, das immer verfügbar sein soll.

Wie wirkt das auf Betroffene?

Kriminolog*innen würden sagen, dass diese Form von Verbrechen sogenannte Message-Crimes sind. Dass es nicht nur um die Betroffenen geht, sondern auch darum, eine Botschaft zu senden an alle Frauen. Und zu sagen: Wenn du dich in der Öffentlichkeit äußerst oder bestimmte Positionen besetzt oder dich einbringst, dann kann dir das Gleiche passieren. Auch das ist eine Strategie von "Silencing", Personen aus diesem Bereich herauszudrängen.

Das ist ein signifikanter Anstieg und das ist keine gute Nachricht.

Johanna Niendorf

Dieses Phänomen nimmt zu, wie etwa die Leipziger Autoritarismus-Studie zeigt.

Im ersten Jahr der Erhebung von antifeministischen Einstellungen (2020) hatten wir insgesamt 19 Prozent, die mehrheitlich antifeministischen Aussagen zustimmen. Jetzt, im vergangenen Jahr, waren es schon 25 Prozent. Das ist ein signifikanter Anstieg und das ist keine gute Nachricht.


Autoritarismus-Studie: Die Autoritarismus-Studie 2022 ist im November vorgestellt worden. Seit 20 Jahren ist diese von Wissenschaftlern der Universität Leipzig durchgeführte repräsentative Bevölkerungsumfrage eines der wichtigsten Barometer zur politischen Kultur. Darin wird analysiert, wie sich autoritäre und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland entwickeln.

Was könnten Gründe für diesen Anstieg sein?

Wir erklären uns das so, dass Antifeminismus eine Möglichkeit ist, eine Abwertungsbereitschaft gegenüber Frauen und liberalisierten Geschlechterverhältnissen auszudrücken, auch autoritäre Aggression auszudrücken als Bewältigungsstrategie, um mit Verunsicherungen in der Gesellschaft umzugehen. Wir sehen ja, dass aktuell viele Leute das Gefühl haben, dass gerade eine Krise auf die andere folgt, es gibt das Gefühl von Krisenverdichtung.

Was hat das mit der Abwertung von Frauen zu tun?

Es führt dazu, dass Menschen sich Feindbilder suchen, die dann für Probleme verantwortlich gemacht werden. Gleichzeitig hat die feministische Bewegung zu Erfolgen geführt, Frauen sind in vielen Positionen sichtbarer geworden und werden dort zu einer Angriffsfläche.

Aber warum fallen dann Leute, wenn Krisen da sind, in so traditionalistische Rollenbilder zurück?

Ich glaube, weil es einfach erscheint und weil es naheliegend ist. Gerade Geschlecht ist etwas, bei dem wir von klein auf lernen, dass das eine wichtige Bedeutung hat, es ist etwas, was unglaublich natürlich erscheint. In Krisen passiert es sehr oft, dass man auf etwas zurückfällt, was habitualisiert ist, was sehr nah an einem dran ist. Deswegen ist es schwierig, sich da anders zu orientieren, es kommt eher zu einem Rückfall.

Warum haben Sie Antifeminismus mit in die Autoritarismus-Studie aufgenommen? Ist er eine Gefährdung für die Demokratie?

Zum einen, weil wir sehen, dass rechtsextreme Einstellungen immer auch was mit Geschlecht zu tun haben, mit der Abwertung von Frauen, mit der Abwertung von Emanzipation, von queeren Personen. Das heißt, es war eigentlich überfällig, das noch stärker mit in den Blick zu nehmen. Antifeminismus ist eine Art Einstiegs-Droge in den Rechtsextremismus.

Antifeminismus ist eine Art Einstiegs-Droge in den Rechtsextremismus.

Johanna Niendorf

Inwiefern?

Antifeminismus ist eine Ideologie der Ungleichwertigkeit. Frauen werden nicht als gleichwertig angesehen. Damit einhergehend werden Gewaltverhältnisse legitimiert, Antifeminismus geht oft mit Gewaltbereitschaft einher. Gleichzeitig wird der Bedarf an Gewaltschutz abgewehrt. Damit steht eine demokratische Gesellschaft auf dem Spiel.

Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn es eine hohe Zustimmung zu antifeministischen Aussagen gibt?

Das bedeutet, dass wir es mit einer hohen Abwertungsbereitschaft gegenüber Frauen, gegenüber Gleichstellungspolitik und gegenüber Gleichberechtigung zu tun haben. Das ist ein Problem. Da müssen wir in die Auseinandersetzung, es muss was passieren. Wir haben ein Problem mit Männlichkeit, wir haben ein Problem, dass männliche Dominanz immer noch unterstützt wird, dass sie erhalten werden soll. Da gibt es enormen politischen Handlungsbedarf.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 20. Juni 2023 | 20:15 Uhr

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