Maja Göpel
Maja Göpels Ziel: eine nachhaltige Welt für alle. Bildrechte: IMAGO/photothek

Professorin Maja Göpel im Interview Expertin über Klima-Proteste: "Sie haben den Van Gogh nicht kaputtgemacht"

27. Oktober 2022, 14:34 Uhr

Die Wissenschaftlerin Maja Göpel lebt für die Nachhaltigkeit. Sie berät die Politik und ist für ihre Arbeiten schon mehrfach ausgezeichnet worden. Was sie von jungen Klima-Aktivisten hält, die für ihre Ziele Gemälde verschmutzen, warum sie nicht aufgibt und was selbst Senioren für eine bessere Zukunft tun können, erklärt die Politökomin und Transformationsforscherin im Interview.

Sie haben 2019 das Bündnis "Scientists for Future" gegründet und der Jugend wissenschaftliche Unterstützung gegeben. Jetzt sehen wir junge Umweltaktivisten, die alte Gemälde beschmutzen oder sich festkleben. Was halten Sie davon?

Prof. Dr. Maja Göpel: Wir sind damals als "Scientists for Future" eine öffentliche Stimme geworden, weil man den jungen Menschen abgesprochen hatte, dass sie wissen, worüber sie reden. Es hieß: Beruhigt euch, geht zurück in die Schule und lasst das die Experten machen. Ihr könnt dann irgendwann als Ingenieurinnen die nachhaltigen Energien produzieren. Da war der Impuls zu sagen: Die Expertinnen und Experten dafür, wie schnell wir handeln sollten, das sind genau diejenigen, die die Studien geschrieben haben, die die jungen Menschen gelesen haben.

Ich habe auch sehr viel mit den jungen Personen gesprochen. Sie haben irgendwann zu mir gesagt: Das wird ausgesessen, es passiert nichts. Und so war es die Intention, den Normalzustand zu blockieren. Dieses Festkleben soll eigentlich bedeuten, dass der Zustand, den wir Alltagspraxis nennen, gar nicht normal ist – eben weil die Folgeschäden so groß sind. Ob ich dann als Individuum sage, dass das für mich die richtige Form ist, sich einzusetzen, muss jede Person für sich entscheiden, als Bürgerin und Bürger.

Prof. Dr. Maja Göpel Die gebürtige Bielefelderin arbeitet als Politökonomin und Nachhaltigkeitswissenschaftlerin. Göpel ist Politikberaterin, gefragte Rednerin und Buchautorin. Sie bewegt sich an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Für ihre Arbeiten ist sie schon mehrfach ausgezeichnet worden. Ihre Sachbücher sind Bestseller und in mehrere Sprachen übersetzt worden. Maja Göpels Wunsch und Vision für die Zukunft: eine bessere und nachhaltige Welt für alle.

Wie finden Sie diese Protestform als normale Bürgerin?

Was man an diesen Protestformen nie vergessen darf: Sie kämpfen nicht nur für sich als Individuum, sondern setzen sich für etwas ein, von dem wir alle profitieren. Nach dem Motto: Nehmt diese Veränderungsnotwendigkeit ernst und lasst uns frühzeitig handeln, damit die Konsequenzen nicht so stark sind. Wenn dann junge Leute sagen, sie sehen kein anderes Mittel mehr, um sich Gehör zu verschaffen, finde ich das in der Beurteilung dessen, ob man das legitim findet oder nicht, die Voraussetzung.

Das von Just Stop Oil herausgegebene Foto zeigt zwei Demonstrantinnen, die Vincent Van Goghs berühmtes Werk «Sonnenblumen» von 1888 in der National Gallery in London mit Dosensuppe beworfen haben.
Zwei Klima-Aktivistinnen hatten kürzlich Vincent van Goghs berühmtes Werk "Sonnenblumen" in London mit Dosensuppe beworfen. Bildrechte: picture alliance/dpa/PA Media | Just Stop Oil

Gesellschaftliche Veränderung hat unterschiedlichste Impulse. In einer Demokratie muss ich es aushalten, wenn einige sagen: Ich fliege weiter, wie ich lustig bin, weil ich es mir leisten kann, ich kaufe weiter riesige Autos, ich kann es mir leisten. Und ich habe ein Verkehrsministerium, wo ich das Lobbying super finde.

Dann habe ich auf der anderen Seite eine andere Form von Menschen, die sich anders einsetzen für eine ganz andere Idee. Und solange niemand wirklich verletzt wird … Über die Verhältnismäßigkeit müssen andere entscheiden. Das ist nicht meine Rolle. Und das Wichtigste ist: Sie haben den van Gogh nicht kaputtgemacht, sondern wussten, dass es eine Scheibe davor gibt.

Was kann beispielsweise eine einzelne Rentnerin tun, die nicht an Protesten teilnehmen möchte?

Wir haben bei "Scientists for Future" überlegt: Es gibt vier F's, bei denen man ansetzen kann. Die Dinge, bei denen ich wirklich im Alltag in meiner Entscheidung als Konsumentin einen großen Hebel habe. Das ist so bei Fliegen, Fleisch, Fummel und Finanzen.

Kleiderschrank eines Mannes. Bekleidung aller Art hängt und liegt in verschiedenen Schrankfächern.
Bei vielen Menschen ist der Kleiderschrank voll. Trotzdem wird oft Neues gekauft. Bildrechte: IMAGO

Fliegen und Fleisch sind recht gängig und Fummel ist so gewählt, damit es ein F ist, für die Kleidungsstücke also. Wir haben in der Textilindustrie bemerkt, wie hoch die Frequenz ist – 60 Kleidungsstücke pro Jahr. Ohne Socken und Unterhosen! Muss das sein? Und dann landen diese ganzen Kleidungsstücke, die wir wegschmeißen, als brennende Berge in Afrika. Das heißt, da kann ich wirklich einen Einfluss nehmen. Und Finanzen sind, glaube ich, gerade bei uns in Deutschland noch wenig Thema, also wo ich mein Geld anlege. Das hat natürlich damit zu tun, wo es dann investiert wird und welche Geschäftsmodelle es unterstützt. Das heißt, in diesen vier Komponenten kann ich wirklich Einfluss nehmen. Die Fleischfrage ist momentan die Allerwichtigste.

Tatsächlich haben wir noch zwei weitere F's dazu genommen, Funken und Flagge zeigen, weil ich glaube, dass es tatsächlich wichtig ist. Und da ist besonders die ältere Generation wahnsinnig ausschlaggebend, weil wir oft hören, es sei der älteren Generation egal. Das wird mir auch so oft erzählt. Sie wären für die langfristige Zukunft nicht zu gewinnen, sondern wollen lieber, dass es so bleibt, wie es jetzt ist, und mischen sich nicht ein.

Und doch gibt es zum Beispiel die "Omas for Future" als Gruppen auf Demonstrationen. Es gibt auch friedliche Demonstration, ohne sich festzukleben. Man kann tatsächlich Briefe schreiben an die lokalen Repräsentanten oder eine eigene Radiosendung oder irgendetwas anderes machen. Um damit klarmachen: Das stimmt überhaupt nicht. Nur weil wir nicht die jüngste Generation sind, ist uns die lange Sicht doch nicht egal.

Und deswegen ist der letzte Punkt Flagge zu zeigen, das tatsächlich auch an die Politik heranzutragen, weil – das merke ich immer wieder – bei den Umfragewerten immer wieder gesagt wird: Wir müssen unser Wahlprogramm  an denen ausrichten, die die meisten Stimmen in der Bevölkerung haben und auch am meisten zur Wahl gehen. Deshalb ist die Altersgruppe, die in Richtung Berentung geht, wahnsinnig wichtig, vielleicht sogar am wichtigsten in diesen beiden Bereichen. Sie kann diesen Zahn ziehen, dass es ihnen egal wäre. Ob man Enkelin oder Enkel hat oder nicht, ist da völlig unbenommen.

Wie könnte die Fortbewegung in der Zukunft aussehen, gerade für die Menschen außerhalb der Städte?

Beim Verkehrssystem wäre eines der Schlagworte "modular" – dass ich versuche, die Ballungszentren möglichst mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu bespielen. Dann kann ich bestimmte zentrale Verkehrsadern noch mit geteilter Mobilität bespielen. Und dann gibt es End-Strecken, wo klar ist, dass es individualisierte Verkehrsmittel für Personen braucht, die nicht alles zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen können. Aber wir machen auch da so gerne "entweder-oder" daraus. Ich muss entweder komplett gegen das Auto sein oder ich darf nur für das Auto sein.

Dann kann man trotzdem dafür sorgen, dass das Auto nicht 2,5 Tonnen schwer sein muss, um 70 Kilo zu bewegen.

Prof. Dr. Maja Göpel Transformationsforscherin

Meistens geht es um ein Design, das unterschiedliche Zentren miteinander verbindet. Südkorea war da ein Positivbeispiel. Lasst uns in eine Infrastruktur investieren, um die Konjunktur anzukurbeln, so dass alle etwas davon haben. Genau so haben sie in Südkorea geplant. Wie einen Baum kann man sich das vorstellen – wo sind die großen Strecken – um dann zu sagen: Natürlich brauchen trotzdem noch Menschen Autos. Und dann kann man trotzdem dafür sorgen, dass das Auto nicht 2,5 Tonnen schwer sein muss, um 70 Kilo zu bewegen.

Werden Sie nicht langsam mutlos?

Es kommt immer auf das Schlafpensum an. (lacht) Ich habe schon darüber nachgedacht und hatte das Gefühl: Wenn du ein Mal angefangen hast, die Welt so zu sehen und zu verstehen, dann kannst du nicht mehr anders als zu überlegen: Wie kommen wir immer zum nächstmöglichen Schritt? Und natürlich ist das manchmal ein bisschen anstrengend oder schmerzvoll. Aber es kostet mehr energetischen Aufwand zu verdrängen, weil du es nur noch mit Verdrängung schönreden kannst.

Dr. Maja Goepel spricht auf der FridaysForFuture-Demo NeustartKlima am Brandenburger Tor
Die Forscherin Maja Göpel spricht auch auf Umwelt-Demonstrationen. Bildrechte: IMAGO / POP-EYE

Also suche ich lieber den nächstmöglichen Schritt. Und wenn ich ganz ehrlich bin: Die Freundlichkeit ist dabei relevant, weil ich auch unglaublich tolle Menschen kennen lerne. Gerade auf das letzte Buch hatte ich den Untertitel "Eine Einladung" geschrieben. Ich habe so viele schöne E-Mails bekommen, die den Titel hatten: Einladung angenommen. Wo Menschen dann wirklich aus der Design-, aus der Modebranche, aus der Stadtplanung, Ingenieure aus der Autoindustrie etc. geschrieben haben, wie sie jetzt Teil daran nehmen, diese Welt besser zu machen. Selbst wenn die Medien immer sagen, dass die Menschen gar nicht wollen. Da denke ich mir: Aber bei mir melden sich irgendwie genau die, die wollen. Und das ist doch toll.

Mehr zum Thema Umwelt

Quelle: MDR um 4

Dieses Thema im Programm: MDR um 4 | 24. Oktober 2022 | 17:00 Uhr

Mehr aus Deutschland

Volker Wissing spricht von Erfolgen in seiner Arbeit 1 min
Volker Wissing spricht von Erfolgen in seiner Arbeit Bildrechte: ARD
1 min 26.04.2024 | 13:57 Uhr

Bundesverkehrsminister Volker Wissing verteidigt die Änderung des Klimaschutzgesetzes – und sich selbst. Die Erzählung vom Verkehrsminister, der nichts tue, stimme nicht.

Fr 26.04.2024 13:27Uhr 00:31 min

https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/video-wissing-verkehr-klima100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Mehr aus Deutschland