Angesprochen - Ausgesprochen Chaos im gesunden Wald: "Müssen uns Sorgen machen"

01. Oktober 2022, 05:00 Uhr

"Wir müssen uns Sorgen machen", sagt Pierre Ibisch von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Er ist Biologe, Ökologe und Experte für den Wald. Die Bilder von den vielen Waldbränden in diesem Sommer hätten es deutlich gemacht. Die Schädigung des Waldes erreiche eine neue Dimension, die zeige, wie schwierig die nächsten Jahre werden würden.

Den Wäldern in Deutschland geht es schlecht. Wir erlebten gerade, so sagt Ibisch, ein Zusammenbrechen von destabilisierten Wäldern. Trockenheit, hohe Temperaturen, regelmäßige Stürme, die ganze Nadelbaumwälder niederfegten, oder der Borkenkäfer als Schadinsekt, das von wärmeren Temperaturen profitiere, schädigten die Wälder zunehmend. Monokulturen wie Kiefern- oder Fichtenwälder litten besonders. "Doch auch Laubmischwälder sind von erheblichen Schäden betroffen", sagt der Biologe.

Einbruch an Biomasse: Schwebfliegen und Schmetterlinge verschwinden

Besonders überrasche ihn immer wieder, wie schnell sich der Wandel bei den Arten vollziehe. Einst häufige Arten würden in wenigen Jahren verschwinden. So seien gewöhnliche Schwebfliegen, die es in seiner Jugend massenweise im Wald gegeben habe, heute nahezu weg. Schmetterlinge würden verschwinden.

Es gebe insgesamt einen Einbruch an Biomasse. Besonders beunruhige ihn, dass dies auch für Schutzgebiete gelte. Schuld sei daran nicht allein der Klimawandel. Vielleicht sei er hierfür nicht einmal wesentlich. Vielmehr litten die Wälder, und das nicht nur in Deutschland, an einem sogenannten Habitatverlust und der Art der Nutzung.

Es ist jetzt halt die Rechnung, die wir da bekommen, für das Zerschneiden, Zerstückeln, Übernutzen von Lebensräumen.

Pierre Ibisch, Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde

Klimawandel trifft auf kaputten Wald

Große Waldgebiete gebe es kaum noch. Überall würden Straßen oder Felder die Landschaft durchziehen. Dazu käme die Verschmutzung, das Freisetzen von für das Ökosystem fremden Stoffen, also Pestiziden in der Landwirtschaft.

Bäume und Wälder würden dadurch in ihrer Entwicklung geschwächt, auf die geschwächten Ökosysteme treffe nun der Klimawandel und verstärke bestehende Probleme. Um widerstandsfähiger zu werden bräuchten Wälder jedoch "eine nennenswerte Zeit" ohne regelmäßige Eingriffe des Menschen. Wichtig sei, dass sich Ökosysteme von selbst regenerierten. Sie bräuchten Zeit, "um wilder zu werden".

Nicht nur als Wasserspeicher: Mehr wilde Wälder zulassen

Denn Chaos gehöre zum Wald, sagt Ibisch. Diese Wildheit von Ökosystemen lasse sich naturwissenschaftlich gut beschreiben, um zu zeigen, dass ein Wald und seine Widerstandskraft davon abhingen. Wälder bräuchten die Vielzahl an Wechselwirkungen zwischen Bäumen, Pilzen, Bakterien oder Tieren. Grob gesagt, je mehr Prozesse zwischen ihnen abliefen, umso stärker könnten sich Wälder regulieren, Umwelteinflüsse puffern.

So seien Wälder wichtige Ökosysteme für die Speicherung von Wasser. Entsprechend nötige Eigenschaften des Bodens würden sich jedoch erst einstellen, wenn ein Wald alt werden könne, wenn der Boden nicht gestört, also beispielsweise nicht befahren werden würde.

Das sei der Grund, dass in Nationalparks Wälder sich oft selbst überlassen werden. "Die Biomasse kann auch mal einfach zusammenbrechen und verrotten." Durch das Totholz entstehe neuer Boden, das Ökosystem reife und die wichtigen puffernden Leistungen nähmen zu. Das sei, so betont Ibisch, keine "romantische Vorstellung", sondern ökologisch belegbar.

Muss man Wald bewirtschaften?

Insofern, sagt Ibisch, halte er die Zweiteilung von Schutz oder Nutzung des Waldes für überholt. Natürlich nütze Wald, um die Menschen mit Holz versorgen. Genutzt werde Wald auch zur Erholung oder Inspiration. Tatsächlich "nutze" der Wald im großen Umfang aber auch, wenn er nur herumstehe. Er senke Kohlenstoff, reguliere das Klima, beeinflusse den Wasserhaushalt. Diese Leistungen müssten mehr gewürdigt werden.

Wir sind im Klimawandel und das müssen wir mitdenken bei allen Planungen und beim Management von Ökosystemen.

Pierre Ibisch, Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde

Konflikte entstünden oft, wenn die Frage auftauche, ob man mit Wald Geld verdienen könne - nach dem Motto: "Wenn man Wald besitzt und dann nicht reingehen kann, um Holz zu schlagen, und man macht da irgendwie frische Luft für die Gesellschaft: Was hat man davon?" Insofern müsse die Gesellschaft "jetzt beschleunigt" über die Honorierung von derartigen Ökosystemleistungen nachdenken.

Holzernte im Thüringer Wald
Lohnt sich ein Wald nur, wenn man die Bäume auch fällt und verkauft oder verbrennt? Bildrechte: imago/VIADATA

Krisen bieten auch Chancen

Die gegenwärtigen Krisen böten auch eine Chance. Man würde erkennen, dass es Grenzen von Wachstum gebe, auch was die Nutzung von Ressourcen angehe. Bislang entwickele sich Landschaft stets aufgrund von "Sachzwängen". Straßen, Siedlungen, Windräder - alles werde gebaut, weil es gerade sein müsse. Strategische Landnutzungspläne dagegen würden fehlen. Es wäre an der Zeit, sie zu haben, sagt Ibisch. "Wir sind im Klimawandel und das müssen wir mitdenken bei allen Planungen und beim Management von Ökosystemen."

Morgensonne bricht durch nebligen Fichtenwald
Diesem Wald geht es (noch) gut. Bildrechte: imago/imagebroker

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Angesprochen - Ausgesprochen - Wie geht unsere Gesellschaft mit Krisen um?

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MDR (ifl/fra)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Samstagmorgen | 01. Oktober 2022 | 06:10 Uhr

1 Kommentar

kleinerfrontkaempfer am 01.10.2022

Kurz + knapp: Grundübel dieser Waldmisere => das KLIMA!
Was tut bzw. tat man dafür dagegen => viel zu wenig.
Bei den Krisen, Krisen, Krisen ...... auch nicht weiter verwunderlich.
Wünsche einen schönen 32. Jahrestag.

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