Künstler Hans-Joachim Prager erläutert seinen Entwurf.
Künstler Hans-Joachim Prager erläutert seinen Entwurf für die Stele in Zerbst, den eine Jury aus insgesamt zehn Vorschlägen auswählte. (Archivbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Heiko Rebsch

Kirchenruine St. Nicolai Feierstunde in Zerbst: Gegendenkmal für Schmähplastik eingeweiht

01. Juni 2023, 16:52 Uhr

Die "Zerbster Sau" hängt seit dem 15. Jahrhundert an der Nicolaikirche in Zerbst. Die antisemitische Schmähplastik hat nun ein Gegendenkmal bekommen, um über ihre Bedeutung aufzuklären. Am Donnerstag ist es enthüllt worden.

Die Evangelische Kirchengemeinde St. Nicolai und St. Trinitatis in Zerbst hat am Donnerstag (1. Juni) ein Kunstwerk gegen Antisemitismus enthüllt. In unmittelbarer Nähe zu der antijüdischen Schmähskulptur "Zerbster Sau" gibt es nun ein Gegendenkmal an der heutigen Ruine der Sankt-Nicolai-Kirche. Zur Enthüllung haben der anhaltische Kirchenpräsident Joachim Liebig, der Zerbster Bürgermeister Andreas Dittmann, Pfarrer Lutz-Michael Sylvester und der Künstler Hans-Joachim Prager gesprochen.

Bei dem sogenannten Gegendenkmal handelt sich um eine Stele, die der in Dessau geborene Künstler Hans-Joachim Prager geschaffen hat. Die Evangelische Landeskirche Anhalt teilte mit, die Stele solle der judenfeindlichen Hassbotschaft der mittelalterlichen Plastik eine Botschaft der Toleranz und der Versöhnung entgegensetzen.

Schmähplastik bleibt und wird mit Stele ergänzt

Die Plastik sei ein nicht tolerierbares Zeugnis des Hasses gegenüber jüdischen Frauen und Männern, das nicht weiter unwidersprochen stehengelassen werden solle, sagte der Vorsitzende des Gemeindekirchenrates der Kirchengemeinde St. Nicolai und St. Trinitatis, Mario Gabler.

Über das Schmährelief in Zerbst hatte Pfarrer Lutz-Michael Sylvester MDR SACHSEN-ANHALT im Oktober 2022 gesagt: "Die Schmähplastik mit ihrer menschenverachtenden Aussage gehört zu unserem historischen Erbe. Wir wollen sie deshalb nicht entfernen, sondern sie zu einer erklärenden Mahnstätte umgestalten."

Ähnlich wie bei der Schmähplastik in Wittenberg zeigt die Darstellung von 1450 eine Sau, an deren Zitzen Menschen saugen, die spitze Hüte tragen und Juden darstellen sollen. Die "Zerbster Sau" hängt an einem Pfeiler auf vier Metern Höhe an der Nordseite der Ruine.

Künstler aus Baden-Württemberg gestaltet das Denkmal

Für das Kunstwerk hatte die Zerbster Kirchengemeinde eigenen Angaben zufolge einen Wettbewerb ausgeschrieben. Unter zehn eingesandten Entwürfen hatte die Jury den Entwurf von Prager ausgewählt.

Die Plastik des Künstlers mit dem Titel "Reflexion" ist 1,25 Meter hoch und in ihrer Form an ein Lesepult angelehnt, wie sie in Synagogen zu finden sind. Auf ihr steht der Verfassungsgrundsatz "Die Würde des Menschen ist unantastbar" sowie die Namen jüdischer Familien aus Zerbst, die Opfer des Nationalsozialismus wurden.

Infotafel seit 2022 an Kirchenruine

Der Künstler teilte mit: "Eine entscheidende Rolle spielte für mich bei der Gestaltung des Mahnmals die Überlegung, dass jeder Mensch, ungeachtet seiner Weltanschauung und Religion, an dieser Stelle spürt, er ist in seiner Individualität angenommen und kann sich selbst zum historischen und künftigen Geschehen in Beziehung setzen."

In Zerbst gibt es laut der Evangelischen Landeskirche Anhalts seit Anfang 2022 eine Informationstafel unter der Schmähskulptur an der Kirchenruine St. Nicolai.

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dpa, MDR (Moritz Arand, Julia Heundorf, Hannes Leonard)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 01. Juni 2023 | 06:30 Uhr

3 Kommentare

Ilse am 05.10.2022

Objektiv betrachtet, glaube ich nicht, dass man mit diesem Zerbster Modell den konvertierten Juden in Wittenberg, damit zur inneren Ruhe bringt. Da sprechen ähnliche Erfahrungen dagegen, dort benötigt man eher andere Möglichkeiten.

hinter-dem-Regenbogen am 05.10.2022

Man kann über Geschichte berichten.
Man kann im nachhinein auch über Geschichte richten
- aktuell wird Geschichte mit Beton und Granit gekittet, in der Hoffnung der Ewigkeit.
Und schon entstehen wieder neue "Geschichten" um und über die Geschichte .

Auch die dabei nichtinterpretierte Geschichte ist und bleibt unsere Geschichte.

Allein das Ensemble rund um die Kirchenruine zeigt, dass sich Geschichte und damit auch die "Geschichten" um die Geschichte, sich stetig wandeln.
Transformation gab es nicht nur im 15 Jahrhundert, sondern sie lebt nach, auch im Jahre 2022. Entscheident dabei ist nicht die Transformation in sich selbst , sondert die Art und vor allem > Wer denn diese Transformation in Wessem Interesse herbeiführt.

Die Neue schöne RegenbogenWelt ? . . . so richtig aber sieht es nicht danach aus, vor allem aber für diejenigen, die dafür bezahlen sollen.
Aktuelle Ereignisse im slawischen Raum Europas, . . . und schon wird wieder neue Geschichte geschrieben.

dieja am 04.10.2022

Geschichte kann man nicht ungeschehen machen. Hat die Stadt zu viel Geld? Wenn ja gibt es sicher aktuelle Dinge um Antisemitismus zu bekämpfen bzw. Derzeitigen Opfern zu helfen.

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