Alexander Camaro: Beim Standfotograf, vier Frauenfiguren mit gleicher Kleidung aus dunklem Rock und weißem Oberteil, davor ein Fotograf mit altem Apparat unter einer Decke. 4 min
Bildrechte: Alexander und Renata Camaro Stiftung_VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto Eric Tschernow

Ausstellung Die Kunsthalle Talstraße in Halle zeigt "Die Kraft der Melancholie"

03. November 2023, 04:00 Uhr

In der Kunsthalle Talstraße in Halle ist bis zum 25. Februar 2024 die Ausstellung "Die Kraft der Melancholie. Alexander Camaro und Seelenverwandte" zu sehen. Darin gezeigt werden Malerei und Grafik des Berliner Künstlers, aber auch wichtige Werke unter anderem von Karl Hofer, Horst Strempel und Werner Heldt. Die Ausstellung nimmt damit eine Künstlergeneration in den Blick, deren Karrieren durch den Zweiten Weltkrieg jäh unterbrochen wurden und deren Wege danach auch nach Halle führten.

In der Ausstellung "Die Kraft der Melancholie. Alexander Camaro und Seelenverwandte" in der Kunsthalle Talstraße in Halle hat das Gemälde "Artistinnen" einen prominenten Platz. Etwas ungelenk wirbeln die Artistinnen durcheinander. Arme, Beine und Köpfe fliegen durch die Luft. Auch der Raum um sie herum ist in Bewegung. Nur in einer Ecke des großformatigen Bildes herrscht Stillstand. Hier lehnt ein Harlekin und schaut uns mit leeren Augen an.

Alexander Camaro: Artistinnen (Legende), ein  Gemälde, links ein erkennbarer Harlekin, rechts Körperteile, die keinem festen menschlichen Körper zugeordnet sind
Alexander Camaro: Artistinnen (Legende), 1947, Öl auf Leinwand, 139,5x190,5 cm Bildrechte: Alexander und Renata Camaro Stiftung, © VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto: Eric Tschernow

Entgegen seines Sujets strahlt das Bild, das Alexander Camaro 1947 malte, keine Fröhlichkeit aus. Kreidiges Blau, vor allem aber ein stumpfes Rot geben den (Farb-)Ton an. "Caput Mortuum" heißt das Pigment, lateinisch für "Totenkopf".

Tanzstudium bei Mary Wigman in Dresden

"Seine Zeitgenossen haben ihn immer als den großen Melancholiker beschrieben, der seine Geschichte erzählt", erklärt der Leiter der Kunsthalle Talstraße, Matthias Rataiczyk, und diese Geschichte habe viel mit dem Theater, dem Zirkus, mit einer Welt der Andersartigen zu tun.

Rataiczyk nennt die Eckpunkte: 1901 als Alfons Kaczmarofski in Breslau, dem heutigen Wrocław, geboren, zieht Camaro zunächst als Seiltänzer mit einer Artistengruppe durchs Land. Er studiert Malerei, danach noch Ausdruckstanz bei Mary Wigman in Dresden. Im Zweiten Weltkrieg tanzt er vor den Truppen der Wehrmacht, desertiert im letzten Kriegsjahr und beginnt nach dem Krieg wieder mit dem Malen.

Alexander Camaro: Am Morgen, ein Mann steht mit einer Zigarette im Mundwinkel im Vordergrund, hinter ihm kleidet sich eine Frau an oder aus
Alexander Camaro: Am Morgen, 1947; Öl auf Leinwand, 94x122 cm Bildrechte: Alexander und Renata Camaro Stiftung_VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto Eric Tschernow

Freunde, Weggefährten und Wegbereiter

Diesem nach 1945 entstandenen Werk stehen in der Ausstellung die Arbeiten seiner Freunde wie Mac Zimmermann und Werner Heldt, von Weggefährten im Geiste, wie Horst Strempel und Wegbereitern, wie die in ihrer Kargheit beeindruckenden Arbeiten des Berliners Karl Hofer zur Seite. Alle ausgestellten Bilder durchzieht eine gelinde Traurigkeit.

"Es ist so ein einzigartiges menschliches Gefühl" erklärt Rataiczyk den Ausstellungstitel "Die Kraft der Melancholie." "Es ist nicht nur diese Schwermut, die dahintersteckt. Sondern auch das Gefühl, den anderen zu verstehen. Und daraus auch die Kraft zu entwickeln und sich wieder da raus zu kämpfen."

Werner Heldt: Berlin, ein Straßenzug mit Bäumen an einem Fluß, mit einer Häuserfront im Hintergrund
Auch Bilder von Freunden und Wegbegleitern, wie hier Werner Heldt, sind in der Ausstellung zu sehen. Bildrechte: Sammlung Kunstmuseum Singen, Foto: kuhnle + knödler fotodesign

Ausstellung zeigt Melancholie als produktive Kraft

Das Konzept der Melancholie entsteht in der Antike und erlebt in der Renaissance sein Revival, als die Religion als trostspendende Instanz langsam an Einfluss verliert und der Mensch mit seiner Freiheit und seinen Sorgen zunehmend auf sich gestellt ist.

Spätestens seit Albrecht Dürers berühmtem Kupferstich "Melancholia" wird die gedämpfte Gemütslage explizit dem Genius des Künstlers zugeschrieben. Später kultivieren die Romantiker um Caspar David Friedrich in der Malerei und Joseph von Eichendorff in der Literatur ihr sehnsuchtsvolles Leiden an der Welt. Ausstellungsleiter Matthias Rataiczyk versteht das, "weil man auch was Schönes darin empfinden kann. Welcher Popsong ist heute ohne Melancholie? Welcher Chanson? Jazz und Blues – alles voller Melancholie. Und wir finden das toll, denn das macht es reizvoll."

Karl Hofer: Im Neubau, vier Menschen tanzen, drei haben Masken, eine keinen Kopf
Karl Hofer: Im Neubau, 1947, Öl auf Leinwand, 75,5x124,5 cm Bildrechte: Slg und Stiftung Horn im Schloss Gottorf, Schleswig © VG Bild-Kunst Bonn 2023

Neuanfang in Halle vor 75 Jahren

Die Melancholie als produktive Kraft – in der Ausstellung steht sie auch für einen weiteren Neuanfang. Denn die Kunsthalle erinnert mit ihrer Schau auch an einen wichtigen Moment für die hallesche Kultur: Vor 75 Jahren, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, begann der neue Leiter des Kunstmuseums Moritzburg, Gerhard Händler, die einst so wichtige Sammlung moderner Kunst neu aufzubauen.

Im Zuge dessen erwarb das Haus auch ein Bild von Alexander Camaro – als erstes Museum überhaupt. Anders als zum Beispiel Berlin hatte Halle den Zweiten Weltkrieg relativ unbeschadet überstanden, erzählt Rataicyk: "Halle war eine Stadt, die hatte unglaublich viel kulturelles Leben. Und da waren die Berliner schon ein bisschen neidisch. Und man kann das in den Gästebüchern der Ausstellungen heute noch lesen."

Zahlreiche Gemälde hängen an Wänden in einer Ausstellung.
Blick in die Ausstellung "Kraft der Melancholie" in der Kunsthalle Talstraße Halle Bildrechte: Kunsthalle Talstraße Halle

Die Ausstellung zeigt mit etlichen Arbeiten, wie dieser Austausch auch die halleschen Künstler inspirierte und zu einem speziellen Kolorit führte, das auch noch den Bildern zeitgenössischer Malerinnen und Maler aus Halle eigen ist. Darüber hinaus lädt "Die Kraft der Melancholie" dazu ein, sich im warmen Blau und sanften Rot des Caput Mortuum der Bilder zu verlieren und zu erkennen, wie viel Zauber der nachdenkliche Blick auf die Welt für uns bereithält.

Quelle: MDR KULTUR (Eva Gaeding), Redaktionelle Bearbeitung: op, hki

Die Ausstellung Die Kraft der Melancholie. Alexander Camaro und Seelenverwandte

Ausstellung mit Werken von Alexander Camaro, Werner Heldt, Karl Hofer, Hermann Bachmann, Horst Strempel und anderen

3. November 2023 bis 25. Februar 2024

Kunsthalle Talstraße
Talstraße 23, 06120 Halle (Saale)

Öffnungszeiten:
Mittwoch bis Freitag: 13 bis 18 Uhr
Samstag, Sonntag, Feiertage: 13 bis 17 Uhr

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 03. November 2023 | 07:10 Uhr

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Der gefächerte Neubau steht in Kontrast zu der spätklassizistischen Villa, die viele Jahrzehnte allein die Nummer 23 in der Talstraße ausmachte. Über eine verglaste Brücke kann das Publikum zwischen beiden Gebäudeteilen wandeln. Bildrechte: Kunstverein Talstrasse

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