Interview Martin-Luther-Universität untersucht Zwangsarbeit in Halle
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29. Februar 2024, 16:43 Uhr
Ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter machten im Zweiten Weltkrieg etwa zehn Prozent der halleschen Bevölkerung aus. Sie waren Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene, Zivilarbeiter. Ihr Leben und ihre Verbindungen zu den Einheimischen stehen im Mittelpunkt eines Untersuchungsprojekts am Institut für Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Katharina Krüger ist eine der Forscherinnen. Im Interview spricht sie über bisherige Erkenntnissen – und bittet die Bevölkerung um Mithilfe.
- Etwa 50.000 Menschen ausländischer Herkunft haben 1944 in Halle und Umgebung gearbeitet, ihre Geschichte wird von der Uni Halle-Wittenberg erforscht.
- Dazu suchen die Forschenden noch private Zeugnisse zu Zwangsarbeitern und bitten die Bevölkerung um Mithilfe.
- Die Ergebnisse der Untersuchungen sollen später digital und als Publikation veröffentlicht werden.
MDR KULTUR: Wer waren die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, wo kamen sie her und wo waren sie tätig?
Katharina Krüger: Wir sprechen hier von rund 50.000 Menschen ausländischer Herkunft, die im November 1944, so sagt eine Statistik, in Halle und Umgebung beschäftigt waren.
Den Großteil stellten Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, das waren 35,5 Prozent. Die zweitgrößte Gruppe stellten die Franzosen dar, wo ein Großteil Kriegsgefangener darunter war. Und den dritten Teil stellten Menschen aus Polen. Es waren aber auch Niederländer, Kroaten, Belgier, Jugoslawen in Halle.
Die Menschen waren in allen Bereichen tätig: in der Rüstungsindustrie, in der Privatwirtschaft bis hin zur Haushaltshilfe, in der Saline, in der Pfännerschaft, in der Post, in der Müllabfuhr – also auch in städtischen Einrichtungen.
Wo sind noch Leerstellen in der Forschung, bei denen Sie gezielt Dokumente und Zeugnisse aus dem Privatbesitz suchen?
Beispielsweise wissen wir über die Haushaltshilfen nur sehr, sehr wenig. Da gibt es eine Zahl: soundso viele gab es. Aber in welchen Haushalten die beschäftigt waren und wie da das Verhältnis zwischen den Einsatzträgern, in dem Fall dem Privathaushalt, und den Einzelnen war, ist nicht nachvollziehbar.
Es gibt diese großen Lager, wo bis zu 1.600 Menschen untergebracht waren. Es gibt aber auch Menschen, die in Privathaushalten sich ein Zimmer gemietet haben und von dort aus ihre Tätigkeit als Bäckergeselle wahrgenommen haben. Und darüber gibt es auch wenig, über diese Lebensbedingungen und diese Begegnungen, die sozialen Interaktionen mit der halleschen Bevölkerung, in dem Fall den Vermieter*innen. Da lässt sich wenig rekonstruieren bisher.
Was könnten das für Zeugnisses sein, die Ihnen helfen würden? Sind es vielleicht auch Erzählungen von den Menschen?
Am besten eignen sich natürlich Tagebücher, weil die zeitnah aufgezeichnet wurden. Die späteren Erinnerungen sind auch hilfreich, wenn man sich fragt, wie diese ca. zehn Prozent der gesamten Bevölkerung erinnert werden. Wenn man darüber Auskunft haben möchte, dann sind auch diese Erzählungen, die innerhalb der Familien tradiert werden, interessant.
Wohin wenden sich Menschen, die möglicherweise etwas für Ihr Forschungsprojekt über Zwangsarbeit in Halle haben?
Auf der Homepage der Universität, Institut für Geschichte finden sich die Kontaktdaten unseres Forschungsprojektes.
Gibt es Pläne, die Ergebnisse ihres Forschungsprojektes öffentlich zu machen?
Geplant ist eine Publikation zum Thema "die hallesche Stadtgesellschaft im Zweiten Weltkrieg". Darüber hinaus soll es ein digitales Angebot geben in Form einer Topografie, wo Institutionen und Einsatzorte und Unterkünfte ersichtlich werden.
Quelle: Das Gespräch hat Beatrice Schwartner für MDR KULTUR geführt, Redaktionelle Bearbeitung: op
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 28. Februar 2024 | 12:10 Uhr