Ein Justizvollzugsbeamter steht auf einem Flur in der zukünftigen Justizvollzugsanstalt (JVA) Madel in Burg.
Auch Monate nach der Geiselnahme durch den Halle-Attentäter im Gefängnis in Burg, fühlt sich ein Beamter bei der psychologischen Betreuung nicht ausreichend durch das Land unterstützt. (Symbolbild) Bildrechte: picture-alliance/ ZB | Jens Wolf

Kritik am Land Traumatisierter Beamter nach Geiselnahme durch Halle-Attentäter: "Wunden sitzen tief"

27. Oktober 2023, 15:42 Uhr

Der Halle-Attentäter hat im Dezember 2022 versucht, aus der JVA Burg zu flüchten. Dabei soll er zwei Bedienstete der JVA als Geisel genommen haben mit Hilfe einer selbst gebauten Waffe. Einem der Betroffenen zufolge sollte dieser dem Gefangenen beim Ausbruch helfen. Zehn Monate danach ist der Mitarbeiter noch immer dienstunfähig. Die Todesängste von damals führen zu Schlafstörungen. Das Trauma ist noch nicht aufgearbeitet. Eine Kritik des Mannes: Das Land hätte sich intensiver kümmern können.

Zehn Monate nach dem Ausbruchsversuch des Halle-Attentäters aus dem Gefängnis in Burg richtet einer der Justizvollzugsbeamten Vorwürfe an seinen Dienstherren – das Land Sachsen-Anhalt.

Der Beamte sagte, er sei nach den Ereignissen um den Fluchtversuch nicht ausreichend unterstützt worden. Wertschätzung und Anerkennung, so berichtet es sein Anwalt Jan Siebenhüner im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT, habe es quasi nicht gegeben. "Da kam niemand und hat mal gesagt: 'Das habt ihr doch gut gelöst. Ihr habt hier einen hochgefährlichen Straftäter an der Flucht gehindert'", sagt er.

Wunden bei Beamtem sitzen noch immer sehr tief

Noch immer seien die Wunden sehr tief, erzählt der Anwalt. Sein Mandant habe ein schweres Trauma. Schlafstörungen quälten ihn. Es vergehe kaum ein Tag, an dem der Justizvollzugsbeamte nicht an den 12. Dezember 2022 denken müsse und die Todesängste wieder hochkämen.

Ein Mann schaut in die Kamera
Anwalt Jan Siebenhüner: Sein Mandant habe ein schweres Trauma, Schlafstörungen quälten ihn. Bildrechte: MDR/Johannes Waschke

Er nehme größere Umwege in Kauf, um bloß nicht am Gefängnis in Burg vorbeifahren zu müssen. Normaler Alltag, arbeiten gehen, den Dienst wiederaufnehmen: Das sei momentan immer noch ausgeschlossen. Und wie sich die diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung künftig entwickele, sei ungewiss.

Bei der psychologischen Unterstützung des Beamten soll es gehakt haben, kritisiert Siebenhüner. "Das Land hat ihm diese angeboten, aber wie ernst das gemeint gewesen ist, und wie konkret das auch war, da habe ich große Probleme mit. Und ich denke, das war auch nicht in Ordnung", so der Anwalt.

Der Gefängnismitarbeiter habe lediglich einen Psychologen empfohlen bekommen. Bei ihm habe er sich nicht wohlgefühlt und sich nicht öffnen können. Sein Anwalt vermisst auch hier die Unterstützung des Landes. Man hätte öfter nachfragen können, wie es dem Kollegen gehe.

Drohung mit selbstgebauter Waffe

Und so wurde der Justizvollzugsbeamte selbst aktiv, suchte sich einen Psychologen und begab sich in Therapie. Sein Ziel: Das Trauma endlich überwinden, das durch den Fluchtversuch des Halle-Attentäters ausgelöst wurde. Der Inhaftierte soll dem Justizvollzugsbeamten Minuten lang eine selbstgebaute Waffe ins Gesicht gedrückt und ihn immer wieder aufgefordert haben, Türen und Tore zu öffnen.

So steht es in der Anklageschrift, die MDR SACHSEN-ANHALT vorliegt. In dieser ist minutiös beschrieben, wie der 12. Dezember 2022 abgelaufen sein soll. Demnach soll der Gefangene zwei Justizvollzugsbeamte als Geiseln genommen haben: Einen Justizvollzugsbeamten habe er mit einer aus Alltagsgegenständen selbstgebauten Waffe, die so ähnlich wie eine Maschinenpistole ausgesehen haben soll, überwältigt.

Gefangener zwingt Geiseln, Türen und Tore zu öffnen

Der Beschuldigte habe laut Anklage diese erste Geisel so gezwungen, ihm die Türen zu öffnen. Ein Tor soll der Justizvollzugsbeamte stressbedingt nicht aufbekommen haben.

Zu dem Zeitpunkt, so wird es in der Anklage beschrieben, sei ein weiterer Justizvollzugsbeamter hinzugekommen. Der Beschuldigte habe dann entschieden, nur noch den zweiten Justizvollzugsbeamten vor sich herzutreiben.

Im weiteren Verlauf sollen beide – Beschuldigter und zweite Geisel – dann ein Tor erreicht haben, das sich ohne Hilfe aus der Sicherheitszentrale nicht öffnen ließ. Der Beschuldigte habe gereizt reagiert und soll später auf einen Schneehaufen geschossen haben.

Zweite Geisel wirkt ruhig, ist aber in Panik

Nach diesem Schuss habe die Waffe nachgeladen werden müssen, heißt es in der Anklageschrift weiter. Die zweite Geisel soll die Chance genutzt haben und weggerannt sein. Der Inhaftierte habe anschließend die Waffe abgelegt und sich festnehmen lassen.

34 Minuten soll das alles gedauert haben. 34 Minuten, in denen die zweite Geisel Todesängste durchlitten habe. So berichtet es sein Anwalt. Zwar habe der Justizvollzugsbeamte nach außen routiniert und ruhig gewirkt, innerlich sei da aber nur Panik gewesen. All das, um einen gefährlichen Straftäter am Ausbruch zu hindern, im Dienst für das Land Sachsen-Anhalt.

Justizministerium: Personalgespräch mit Beamten über Opferschutz

Aus dem Justizministerium heißt es, man könne aufgrund des Datenschutzes keine konkreten Angaben zu Bediensteten machen. Allerdings habe es im Juli 2023, also knapp sieben Monate nach dem Ausbruchsversuch, ein Personalgespräch mit den beiden Justizvollzugsbeamten und dem Justizstaatssekretär Steffen Eckold gegeben.

Der Angeklagte Stephan B. (M) wird von Justizpersonal in den Saal des Landgerichts begleitet und nimmt neben seinem Verteidiger Thomas Rutkowski (r) Platz.
Im Januar 2024 wird der Halle-Attentäter Stephan B. erneut vor Gericht stehen. Bildrechte: ddp

Dabei "seien insbesondere Opferschutzgesichtspunkte und weitergehende Unterstützungsmöglichkeiten in den Blick genommen" worden, so die Stellungnahme aus dem Ministerium. Man habe mit diesem Gespräch auch lernen wollen, an welchen Stellen die Betreuung bzw. Fürsorge von Bediensteten in solchen Situationen verbessert werden könne.

Halle-Attentäter Januar 2024 erneut vor Gericht

Der Halle-Attentäter wird sich voraussichtlich ab Mitte Januar 2024 ein zweites Mal vor Gericht verantworten müssen. Dieses Mal unter anderem wegen Geiselnahme und Verstoß gegen das Waffengesetz. Jan Siebenhüner, Anwalt eines Nebenklägers, erhofft sich dabei auch eine Aufarbeitung, wie es zu dem Ausbruchsversuch kommen konnte und welche Rolle alle Beteiligten dabei spielten.

Auf den Urteilsspruch wartet auch Mario Pinkert vom Bundesverband der Strafvollzugsbediensteten. Im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT berichtet er von massiver Kritik seitens der Gewerkschaft im Rahmen dieser Geiselnahme. So habe es kritische Bemerkungen gegeben, wie mit den Bediensteten des Justizvollzuges umgegangen worden sei. Er fordert nach der Gerichtsverhandlung dringend eine Auswertung.

MDR (MDR SACHSEN-ANHALT)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 27. Oktober 2023 | 12:00 Uhr

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