#MDRklärt Magdeburg und der ICE – wieso, weshalb, warum (nicht)?
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14. Oktober 2022, 17:45 Uhr
Zwischen Magdeburg und Berlin wurde das Fernzugangebot seit 1998 immer weiter reduziert. Das letzte ICE-Paar außerhalb der Nacht wurde schon Mitte 2005 gestrichen. Die Weichen für diese Entwicklungen wurden bereits zu DDR-Zeiten gestellt – mit der Planung einer Transittrasse durch die Altmark, die nach der Wende auch realisiert wurde.
In Sachen Straßenverkehr könnte Magdeburg kaum besser angebunden sein: Autobahnen und Bundesstraßen aus Nord- und Südrichtung kreuzen sich vor den Toren der Landeshauptstadt. Beim Zugverkehr liegt Magdeburg hingegen eher im Abseits. Das Flaggschiff der Deutschen Bahn, der ICE, macht sich in der Landeshauptstadt rar – und taucht häufiger in Witzen als am Bahnsteig auf. Die Gründe dafür sind vielfältig, reichen mitunter weit in die Geschichte. Und doch gibt es Hoffnung auf eine bessere Anbindung in der Zukunft. MDR-SACHSEN-ANHALT-Bahnauskenner André Plaul erklärt die Hintergründe.
Warum hat Magdeburg als Landeshauptstadt keine ICE-Anbindung?
Das ist übrigens ein Vorurteil. Der Blick in die Fahrpläne zeigt: Magdeburg hat seit nunmehr 29 Jahren durchgehend ICE-Anschluss, die meisten Jahre allerdings nur mit einzelnen Halten pro Tag oder sogar nur pro Woche – vor allem nachts. Pendler und Reisende haben davon recht wenig. Politisches Prestige ist damit auch nicht zu gewinnen.
Einer der Gründe für diese Entwicklung liegt in der Geschichte: Die Transitzüge zwischen Hannover und West-Berlin durch die DDR benötigten über Magdeburg Ende der 1980er-Jahre glatt vier Stunden. Um das zu ändern, wurden 1988 erste Verhandlungen mit der DDR-Regierung über den Bau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke aufgenommen. Die nahezu schnurgerade Verbindung entlang der sogenannten "Lehrter Bahn"-Trasse über Stendal gefiel Ost-Berlin dabei besonders gut: Die großen Städte Magdeburg und Potsdam könnten umfahren werden und die politisch nicht gewünschte Sehnsucht der DDR-Bürgerinnen und -Bürger nach allem Westlichen würde nicht unnötig getriggert. Zu dieser Zeit hatte die Deutsche Bundesbahn übrigens den ICE bereits entwickelt. Der Transitverkehr oblag aber der Reichsbahn.
Was passierte nach der Wende?
Nach der Wende wurden diese Trassen-Pläne kurzerhand wieder aus den Schubladen geholt – und noch 1990 zwischen BRD und DDR vertraglich fixiert, woraus das "Verkehrsprojekt Deutsche Einheit" Nummer 4 entstand. Bis September 1998 entstand schließlich die ICE-Trasse durch die Altmark, überwiegend für Geschwindigkeiten von maximal 250 Kilometern pro Stunde ausgelegt. Keine zwei Stunden dauerte fortan die Fahrt zwischen Hannover und Berlin mehr. Die gleiche Verbindung über Magdeburg hingegen wurde als Verkehrsprojekt Nummer 5 vereinbart – und eine Ertüchtigung der Trasse für 160 km/h festgelegt, umgesetzt bis 1995.
Damit waren die Würfel für Magdeburg praktisch gefallen – und der Platz außerhalb des ICE-Netzes gesetzt. Dabei sah es ab 1993 zunächst ganz anders aus: Mit Aufnahme des ICE-Verkehrs nach Berlin führte an Magdeburg wegen der frühen Elektrifizierung kein Weg vorbei. Das änderte sich mit Fertiggstellung der für den Schnellverkehr konzipierten Trasse über Stendal schlagartig.
Was bedeutet das für Bahnreisende?
Der Trennungsschmerz für die Reisenden hielt sich in Grenzen. Wer zwischen Hannover und Berlin unterwegs war, freute sich schließlich über kürzere Reisezeiten auf der ICE-Trasse. Magdeburg hingegen verlor in erster Linie komfortable und umstiegsfreie Verbindungen. Von und nach Berlin wurde das Fernzugangebot in homöopathischen Schritten weiter reduziert. Das letzte ICE-Paar außerhalb der Nacht wurde Mitte 2005 gestrichen. Bis heute ist ein IC-Zugpaar tagsüber im Fernverkehr zwischen Landes- und Bundeshauptstadt geblieben. Den nahezu kompletten Verkehr übernimmt seitdem der stündliche Regionalexpress der Linie 1, der für die Verbindung gerade einmal 20 Minuten länger benötigt. Die Strecke ist für 160 km/h ausgebaut, das schafft auch der Regionalverkehr.
160 km/h, das geben auch die Strecken von Magdeburg nach Halle sowie nach Braunschweig in weiten Teilen her. Hier besteht aktuell, und das wird auch perspektivisch so sein, ein stündlicher IC-Takt auf der Verbindung Hannover-Leipzig. Die weiteren Bahnstrecken um Magdeburg sind in Sachen Tempo auch nicht geeignet, einen ICE anzulocken: Nach Stendal sind die Gleise zumindest abschnittsweise für 120 km/h freigegeben. Nach Halberstadt und Wolfsburg sind meist 100 km/h drin, vereinzelt auch 120 km/h. Für einen ICE fehlt hier zudem die Oberleitung. Dieselbetriebene Regiozüge bleiben folglich die erste Wahl.
Auf politischer Ebene war das Gezeter ab Beginn des ICE-Rückzugs aus Magdeburg groß. Doch die Mitte der Neunziger frisch auf Steuerzahlerkosten entschuldete gesamtdeutsche Bahn wurde auf Effizienz getrimmt – und das Reisendenaufkommen zur wichtigsten Kennziffer. Zehn Millionen D-Mark Verlust soll die ICE-Verbindung Berlin-Magdeburg-Düsseldorf laut Bahn jährlich eingefahren haben. Mit im Schnitt nur 80 Reisenden pro Zug war das Angebot damit nicht zu halten. Auch die Verbindung Berlin-Magdeburg-Frankfurt galt als schlecht ausgelastet – und wurde nach der Jahrtausendwende ebenfalls durch die Altmark geschickt.
Die Route über Stendal, beziehungsweise über die Südumfahrung meist an Stendal vorbei, entpuppte sich hingegen schnell als Erfolg für die Bahn. Sie gab seinerzeit einen Fahrgastzuwachs von gut 40 Prozent zwischen 1999 und 2007 für die 2,5 Milliarden Euro teure Trasse bekannt.
Geschichte des ICE-Verkehrs über Magdeburg
Mit dem Sommerfahrplan Mitte 1993 begann für Magdeburg das ICE-Zeitalter. Im Zwei-Stunden-Takt hielten auf der Strecke Berlin-München/Frankfurt die weißen Schnellzüge – die zunächst noch einen Bogen durch den Fläming gefahren sind, während die Hauptstrecke Magdeburg-Berlin (Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 5) ausgebaut wurde. Ab Ende 1998 ging der ICE-Verkehr über Magdeburg deutlich zurück, da die Schnellfahrstrecke Berlin-Hannover durch die Altmark ihren Betrieb aufnahm.
Ab Ende 2002 blieben noch zwei ICE-Paare pro Tag zwischen Köln und Berlin über Magdeburg übrig. In späteren Fahrplänen gab es noch einzelne ICE-Züge auf der Strecke Dresden-Magdeburg-Hannover. Eine Renaissance des ICE-Zeitalters brachten Magdeburg die tragischen Auswirkungen des Jahrhunderthochwassers von 2013, welches die Schnellfahrstrecke durch die Altmark über Monate unpassierbar machte. In den Jahren danach blieb es bei einzelnen ICE-Halten in Magdeburg, vor allem nachts. Zwei Jahre lang gab es auch eine Sommer-Verbindung per ICE ins Ostseebad-Binz.
Der Deutschlandtakt 2030 plant für Magdeburg zweierlei Verbindungen im Fernverkehr: nach Berlin sowie zwischen Bremen und Chemnitz. Allerdings sieht der Entwurf dabei keine Hochgeschwindigkeitszüge vor.
Wie endgültig ist der Status Magdeburgs außerhalb des ICE-Netzes?
Bis auf weiteres bleibt es dabei, dass Magdeburg nur nachts oder zu sogenannten Tagesrandzeiten vereinzelt von ICE-Zügen angefahren wird. Um 4:04 Uhr Früh nach Berlin – das ist seit Jahren das wenig verlockende Angebot. Besser, niemand beschwert sich, sonst war's das auch. Immerhin wird Magdeburg weiterhin als Umleitungsstrecke gebraucht – so war es 2013 beim Hochwasser und in diesem Jahr bei den Bauarbeiten auf der Schnelltrasse über Stendal.
Ans Hochgeschwindigkeitsnetz wird Magdeburg in absehbarer Zeit nicht angeschlossen werden. Dass das allein kein Ausschlusskriterium ist, zeigen andere Beispiele: Von Berlin nach Binz fährt der ICE im Regio-Tempo, weil die touristische Nachfrage besteht. Von Berlin nach Jena fährt tapfer weiter abends in gemütlichem Tempo ein ICE, weil es für den Hochschul- und Wirtschaftsstandort ein politisch wichtiges Zugeständnis ist.
Und was ist mit Magdeburg als eines der drei Oberzentren neben Halle und Dessau?
Allein wegen der Einwohnerzahl ist Nachfrage-Potenzial für Fernverkehr da. Das hat auch die Deutsche Bahn erkannt. Schon 2015 wurde angekündigt, Magdeburg-Schwerin und Magdeburg-Berlin Ende 2022 mit einem Zweistundentakt wieder ins Fernzugnetz aufzunehmen, allerdings mit IC-Zügen, die auch dem Tempo der Trassen entsprechen. Dieses Vorhaben ist wegen Problemen bei der Lieferung der Züge nun um drei Jahre verschoben worden.
Eine sprunghaft steigende Nachfrage im Fernverkehr könnte Magdeburg aber praktisch jederzeit ins ICE-Zeitalter zurückbringen. Was sich für den eigenwirtschaftlich betriebenen Bereich des Unternehmens rechnet, wird gefahren – sofern Züge verfügbar und Trassen planbar sind. Tausende dauerhafte Stellen für den Intel-Standort sind ein Argument. Fachkräfte-Publikum würde wahrscheinlich auch den ICE-Zuschlag für Regio-Tempo zahlen, wenn die Verbindung stimmt. Entscheidend bleibt aber die letzte Meile: die Anbindung der künftigen Giga-Fabrik im Süden Magdeburgs an die Innenstadt. Bis zum Hausbahnsteig ist alles denkbar.
MDR (Andre Plaul, Moritz Arand)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | Podcast: Was bleibt | 14. Oktober 2022 | 15:00 Uhr
Burgfalke am 15.10.2022
Zitat: "Ist doch das Unternehmen unseres Volkes!!!"
Daher gab es bisher gute Gründe das nicht zu tun. Das kann auch zukünftig so bleiben. Dafür sollten andere Strecken saniert werden!
KulturimWandel am 15.10.2022
Wer auf der A2 Autos zählt von Magdeburg nach Berlin oder nach Hannover wird bestätigen, dass es einen riesigen Bedarf gibt für Transporte über diese Trasse. Erklärungen mit Argumenten aus alter Zeit helfen da wenig, Handeln ist angesagt. Und vor einer Entlastung der A2 steht fie Aufwertung der ICE Strecke mit Magdeburg als wichtigen Knotenpunkt. Besser früher als später. Wir laufen eh schon hinterher.
GEWY am 14.10.2022
Für mich ist diese ICE-Hysterie nicht nachvollziehbar. Jeder Briefkasten in Deutschland will einen ICE-Anschluss. Durch die vielen Halte geht der eigentliche Gedanke einer Schnellfahrstrecke verloren. 3 max. 4 wirklich schnelle ICE Verbindungen von Nord nach Süd auf separaten Strecken und 2 max. 3 von West nach Ost. Der Rest eng mit IC und RE vernetzt. Gerade eine dichte IC/RE-Vernetzung sollte für so ein dichtbesiedeltes Land von Vorteil sein. Dazu kommt, dass die DB ihre vorhandenen Möglichkeiten einer besseren Anbindung (z.B. SW Sachsen) gar nicht nutzt. Oder vielleicht gar nicht nutzen will, weil die DB- Netz über die Trassen und Haltegebühren von anderen Anbietern über die Regionalisierungsmittel mächtig abkassieren kann.