MDR Rundfunkchor Musik als Chance: Besonderes Konzert im Maßregelvollzug Uchtspringe
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27. März 2024, 14:06 Uhr
Es ist für alle Beteiligten eine Premiere gewesen: Zum ersten Mal hat im Maßregelvollzug der forensischen Psychiatrie in Uchtspringe bei Stendal ein klassisches Konzert stattgefunden. Dort sind Menschen untergebracht, die aufgrund ihrer psychischen Erkrankung straffällig wurden und sich daher nicht im juristischen Strafvollzug, sondern in einer medizinischen Einrichtung befinden. Der MDR Rundfunkchor sang neben der Musik von Bach und Händel auch ein Lied, das ein Patient komponiert hat.
- Der MDR Rundfunkchor ist zum ersten Mal in einem Maßregelvollzug aufgetreten.
- Highlight beim Konzert war ein Lied, das ein Patient des Maßregelvollzugs der Psychiatrie Uchtspringe komponiert hat.
- Der einmalige Auftritt wird in der musikpädagogischen Forschung untersucht.
Während sich der Chor noch einsingt, warten vor dem Gesellschaftshaus der Einrichtung in Uchtspringe schon die ersten Gäste. "Ich bin gespannt, wie sich der Chor anhört. Ich bin aufgeregt, muss ich ehrlich zugeben", sagt Thomas Müller. Er ist Patient in Uchtspringe. Zu seinem Schutz soll sein echter Name nicht genannt werden.
Bei dem Konzert heute spielt er eine besondere Rolle: Er hat ein Lied komponiert, das für den Rundfunkchor arrangiert wurde – und nun neben Bach und Händel Teil des Konzertprogramms ist.
Konzert für Patienten des Maßregelvollzug Uchtspringe
Die Idee zu dem Konzert hatte Musiktherapeutin Sandra Sinsch-Gouffi. Bei ihrer Arbeit komme es auf den richtigen Zugang an, sagt sie. Die meisten ihrer Patientinnen und Patienten haben bisher keine Berührungspunkte mit Musik und trauen sich nach ihren bisherigen Biographien wenig zu. Hinzu kommen die spezifischen Anforderungen ihrer Krankheiten.
"Gerade bei Schizophrenie ist - wenn man musikalisch arbeitet - zu beachten, dass die Zeitwahrnehmung doch sehr unterschiedlich ist. Das ist gerade bei rhythmischen Prozessen entscheidend", erklärt Sinsch-Gouffi. Bei Verhaltenstörungen sei es wiederum wichtig, sich an Regeln zu halten. "Musik ist ja auch einem gewissen Regelwerk unterworfen", so die Musiktherapeutin.
Musik kann wichtig für Resozialisierung sein
Auch auf die Sicherheitsbedingungen des Hauses muss geachtet werden – manche Saiteninstrumente etwa sind nicht erlaubt. Dabei bringt Sandra Sinsch-Gouffi den Menschen in Uchtspringe nicht nur das Spielen auf Instrumenten bei.
Mit einigen Patienten komponiert sie auch. Die Musikangebote bieten nicht nur Freude. Sie können bei den Patienten auch für Selbstbewusstsein sorgen und Reflexionsprozesse vorantreiben und somit zu einer gelingenden Resozialisierung beitragen.
Konzert in der Psychiatrie – unter besonderen Umständen
Häufig wächst in der Therapie die Begeisterung für Musik und damit der Wunsch, ein "echtes" Konzert zu erleben. Doch die strikten Ausgangsbeschränkungen der psychiatrischen Einrichtung machen das schwer. Daher hat sich Sandra Sinsch-Gouffi an MDR-Clara gewandt, dem Vermittlungsprogramm von MDR KLASSIK.
Gemeinsam mit Ekkehard Vogler von MDR KLASSIK feilte sie an dem Programm. Dabei achteten sie besonders auf die Zusammenstellung: Neben Bach-Kantaten sollte auch "You'll never walk alone" erklingen – ein Abholen in der Lebenswirklichkeit der Patienten.
Patient hat eigenes Stück komponiert
Mit dabei ist auch die Uraufführung des Stückes, das von Patient Thomas Müller selbst komponiert und getextet wurde. Sogar einen Preis hat es schon gewonnen. In "Neugeboren" geht es darum, Hoffnung im Glauben zu finden.
Ich bin auf dem Freihof im Maßregelvollzug immer Runden gedreht und hab mir das Lied dann einfallen lassen. Ich habe das aus Bibelversen zusammengesetzt […] und habe das dann zum Lied komponiert mit Melodie.
Ganz berührt zeigt sich Thomas Müller nach dem Konzert. "Ich bin noch fassungslos", sagt er. Aber in der Musik und der Aufführung habe er auch wieder Selbstbewusstsein für seine eigene Zukunft gefunden.
Forschung zu Musik im Maßregelvollzug
Das Konzert war zwar eine einmalige Sache, es wird Musiktherapeutin Sandra Sinsch-Gouffi aber weiter beschäftigen. Sie promoviert zu dem Thema der Auswirkungen von Musikangeboten im Maßregelvollzug – ein bisher weißer Fleck in der Psychotherapie. Die Arbeit mit dem MDR Rundfunkchor fließt auch in ihre Dissertation ein.
Redaktionelle Bearbeitung: vp
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 27. März 2024 | 06:15 Uhr