Meinung Heike Römer Prozeß Grünes Gewölbe
Am Dienstag sind am Landgericht Dresden fünf Männer wegen des Juwelendiebstahls aus dem Grünen Gewölbe zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Eine Einschätzung zum Urteil von Prozessbeobachterin Heike Römer-Menschel. Bildrechte: dpa/Collage MDR

Prozessende Einbruch ins Grüne Gewölbe wird uns weiter beschäftigen

19. Mai 2023, 13:28 Uhr

Das Urteil im Grüne-Gewölbe-Prozess ist nach fast anderthalb Jahren gesprochen. Vier Jahre und 4 Monate wurden für einen jungen Mann, der beim Einbruch noch Heranwachsender war, als geringste Strafe verhängt. Die höchste Strafe bekam ein Erwachsener mit 6 Jahren und 3 Monaten. Insgesamt gab es fünf Verurteilungen, ein Mann wurde freigesprochen. MDR SACHSEN-Reporterin Heike Römer-Menschel hat jeden der 47 Verhandlungstage verfolgt und kommentiert das Ende des Prozesses.

War es das nun zum Fall Grünes Gewölbe? Können wir dieses Kapitel schließen? Gefühlt noch lange nicht. Nach wie vor sind enorm viele Fragen offen. Zieht doch noch jemand von den Verantwortlichen Konsequenzen für das Versagen beim Schutz des Staatsschatzes? Was ist mit den noch immer fehlenden, besonders wertvollen gestohlenen Stücken? Die Epaulette aus der Brillantgarnitur mit dem Sächsischen Weißen, die große Brustschleife und das Brillantkollier aus dem Schmuck der Königinnen wurden trotz "Deal" von den Tätern nicht zurückgegeben.

Schmuckstücke aus dem Juwelenzimmer der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD)
Große Brustschleife aus dem Schmuck der Königinnen ist einer der noch immer fehlenden Kunstschätze, die beim Diebstahl entwendet wurden. Bildrechte: Staatliche Kunstsammlungen Dresden (SKD)

Wer war der sechste Dieb - der ominöse Mister X? In den Geständnissen der anderen war dieser Unbekannte als einer der Hauptplaner und -täter des Jahrhundertdiebstahls benannt worden. Und gelingt es, noch weitere Tatbeteiligte - etwaige Hintermänner, Strippenzieher oder Hehler - dingfest zu machen?

Die SOKO Epaulette jedenfalls arbeitet weiter, aktuell mit immerhin zwölf Beamten. Zumindest in einem Verfahren könnte demnächst Anklage erhoben werden. Auf meine Anfrage teilte die Staatsanwaltschaft Dresden mit, dass die Ermittler das Verfahren gegen J. Remmo "alsbald abschließen" wollen. J. Remmo war im Mai 2022 am Rande des Grüne-Gewölbe-Prozesses verhaftet und nach kurzer Zeit freigelassen worden. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Bruder und Cousin der Haupttäter diesen beim Einbruch ins Historische Grüne Gewölbe geholfen hatte.

Zettel mit der Aufschrift Soko Epaulette an einer Tür
Obwohl der erste Prozess zum Juwelendiebstahl aus dem Grünen Gewölbe nun vorbei ist, arbeiten weiterhin zwölf Polizisten in der SOKO Epaulette. Bildrechte: imago images/Sven Ellger

Richter sendet erzieherischen Appell

Mich beschäftigt kurz nach der Urteilsverkündung aber vor allem die Frage, wie ich die Strafen gegen Rabieh Remo, Wissam, Bashir und die Zwillingsbrüder M. und A. M. Remmo bewerte. Auf den ersten Blick erscheinen die verhängten Haftzeiten als vergleichsweise kurz, vielleicht sogar als zu milde. Lassen sich die jungen Männern aus dem kriminellen Teil eines Berliner Clans dadurch von Nachfolgetaten abhalten?

Richter Andreas Ziegel zumindest scheint diese Hoffnung nicht aufgegeben zu haben. Am Ende des Prozesses am Dienstag wandte er sich mit einem Appell an die fünf Verurteilten. Sie seien nun alt genug, um losgelöst von ihrer Familie für sich selbst entscheiden zu können. Sie sollten überlegen, ob ein "rechtschaffenes Leben" nicht vielleicht doch die bessere Alternative zu immer neuen Straftaten und immer neuen Haftzeiten für sie wäre.

Richterbank
Richter Andreas Ziegel warb bei den Verurteilten Dieben für ein "rechtschaffendes Leben". Bildrechte: xcitepress

Der Richter benannte sogar Gründe für so einen anderen Weg. Einer der Verurteilten sei doch Vater von zwei Kindern, ein anderer verlobt. Würde sich ein Umdenken, eine Umkehr nicht lohnen für ein Leben in Freiheit? Hier sprach aus Andreas Ziegel ganz eindeutig der Jugendrichter, der ja auch einen erzieherischen Auftrag hat. Ob dieser Appell vergeblich ist und die Annahme, dass sich die Verurteilten ändern zu naiv, ich befürchte es.

Verteidigung des Deals

Ziegel hatte ganz am Anfang der Urteilsverkündung bereits den sogenannten Deal verteidigt. Alle Menschen seien vor der Justiz gleich - auch Mitglieder aus der Großfamilie Remmo. Und natürlich dürfe, ja müsse man auch mit ihnen eine prozessuale Verständigung schließen. "Deals" seien ein legitimes, ein probates Mittel, das die Strafprozessordnung seit 2009 vorsieht.

Zudem seien deutsche Gerichte per Gesetz dazu verpflichtet, für eine Schadenswiedergutmachung zu sorgen. Die sei Dank des "Deals" mit der Rückgabe eines großen Teils der Beute auch erfolgt. Das, was jetzt wieder im Besitz der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ist, sei nach deren Aussage immerhin noch 60 Millionen Euro wert.

Ohne die Verständigung wären - so der Richter - diese Schmuckstücke wohl nie wieder aufgetaucht. Wortwörtlich sagte Ziegel: "Das ist keine Gnade, das ist zwingendes Recht." Weiter betonte er, dass sich Geständnisse und eine Schadenswiedergutmachung auch ohne einen "Deal" erheblich strafmildernd auswirken müssen.

Die Zumutungen des Rechtsstaates

Die Ausführungen des Richters berühren mich. Ich gebe zu, ich bin hin- und hergerissen zwischen dem Gefühl, dass die Grüne-Gewölbe-Diebe hier glimpflich davongekommen sind und der Überzeugung, dass wir die Zumutungen unseres Rechtsstaates aushalten müssen.

Der Rechtsstaat ist für mich als DDR-Geborene ein extrem hohes Gut. Wenn ich in andere Länder blicke, bin ich heilfroh, dass wir in Deutschland gegen Behördenwillkür vorgehen können und jeder ein faires Verfahren bekommt. Wir Deutschen können gegen Urteile Revisionen einlegen und unser Recht bis zur höchsten Instanz durchfechten. Und ja, auch die Mehrheit der Remmos sind deutsche Staatsbürger, denen diese Dinge zustehen.

Justiz und Polizei brauchen mehr Personal und Technik

Auf der anderen Seite weiß ich nach vielen Gesprächen mit Juristen, die sich schon lange mit der Clankriminalität beschäftigen, wie sehr dieses Phänomen den Rechtsstaat herausfordert, teilweise vorführt und mitunter auch überfordert. Nach den über drei Jahren, in denen ich mich mit dem Thema beschäftige, frage ich mich, ob die Justiz hier gut genug gewappnet ist.

Mein Eindruck ist, dass es mehr Stellen für Staatsanwälte, Richter und die Polizei geben muss, dass wir die Justizbehörden technisch und finanziell besser ausstatten sollten. Und das, obwohl ich sicher keine Law-and-Order-Verfechterin bin. Mit mehr Kapazität wäre ein früheres Eingreifen, ein konsequenteres Sanktionieren, ein gründlicheres Ermitteln möglich.

Herausforderungen des Rechtsstaats

Darüber hinaus sollten wir meines Erachtens in der Gesellschaft diskutieren, wie die Segnungen des Rechtsstaates für alle gleichermaßen zum Tragen kommen. Warum können sich einige durch die Verpflichtung von Wahlverteidigern in Prozessen besser aufstellen als andere? Außerdem frage ich mich, wie wir es schaffen, dass Deutschland künftig kein Geldwäsche-Paradies mehr ist. Zwar ist es seit 1. April verboten, Immobilien mit Bargeld zu bezahlen, doch das ist aus meiner Sicht ein wichtiger, aber eben nur ein erster Schritt.

Wer entschieden gegen Clankriminalität vorgehen will, sollte sich auch für eine Obergrenze bei Bargeldkäufen einsetzen. Die gibt es in Deutschland nämlich nicht anders als in anderen EU-Ländern. In Portugal etwa sind Bargeldkäufe ab einer Obergrenze von 3.000 Euro verboten, in Italien ab 2.000 Euro, in Frankreich ab 1.000 Euro. Die EU hat sich vor Kurzem auf eine Obergrenze von 10.000 Euro geeinigt.

Bei der Abstimmung enthielt sich Deutschland. Finanzminister Christian Lindner begründete das damit, dass Bargeld auch ein Ausdruck von Privatsphäre und Datenschutz sei. Dabei geht es beim angestrebten EU-Gesetzespaket zur Geldwäschebekämpfung doch gar nicht darum, Bargeld zu verbieten. Dieses populistische Verquicken von zwei Themen nutzt meines Erachtens vor allem kriminellen Teilen von Clans und anderen Akteuren der organisierten Kriminalität.  

All das bewegt mich nach dem Prozessende. Von den Bildern der frei gekommenen Verurteilten ganz zu schweigen. Diesen Teil des "Deals" verstehe ich trotz aller guten Argumente vom Richter nicht. Die Haftverschonung nach Urteilsverkündung hätte meines Erachtens im "Deal" nicht festgeschrieben werden dürfen. Auch weil es wichtig ist, dass die Mehrheit der Deutschen ihren Glauben an und ihre Unterstützung für den deutschen Rechtsstaat nicht verliert.

MDR (cba)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 16. Mai 2023 | 19:00 Uhr

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