Burkhard Jung (SPD), Oberbürgermeister von Leipzig und Vizepräsident des Deutschen Städtetages, spricht nach Abschluss der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages bei einer Pressekonferenz.
Der Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, Burkhard Jung (SPD), verlangt eine konsequentere Strafverfolgung. Drohungen, Mordaufrufe und Verfolgungen von politisch Aktiven und deren Familien seien keine Kavaliersdelikte. Bildrechte: picture alliance/dpa | Henning Kaiser

Interview Leipzigs OB Jung zu Angriffen auf politisch Aktive: Strafverfolgung ist "zu luschig"

08. Mai 2024, 15:10 Uhr

Nach Angriffen auf Ehrenamtliche im Wahlkampf und auf Politiker in Dresden, Berlin und bundesweit sagt Leipzigs Oberbürgermeister Jung: "Wir müssen verbal abrüsten in der politischen Öffentlichkeit und in Sozialen Medien." Auch die Strafverfolgung sei "zu luschig". Was genau er damit meint, erklärte Jung, der auch Vizepräsident des Deutschen Städtetages ist, im Interview mit dem Deutschlandfunk am Mittwochmorgen.

Frage: Was lösen die Angriffe auf Wahlkampfhelfer, Politikerinnen und Politiker in Ihnen aus?

Burkhard Jung: Seit Jahren beobachten wir diese verbale Gewalt. Es war nur eine Frage der Zeit, dass das immer stärker auch in Taten umgesetzt wird. Das, was jetzt Matthias Ecke passiert ist, was Frau Giffey passiert ist, geschah aus vielen Gründen. Sachbeschädigungen sind das Eine, dass Plakate abgerissen und verhunzt werden. Aber jetzt werden Menschen zunehmend behindert in ihrem ehrenamtlichen Tun. Im Grunde sind wir seit 2015 in dieser Debatte, aber es ist wenig passiert.

Wo soll das enden?

Wenn der Rechtsstaat nicht klar und deutlich die Grenzen markiert und auch zu schnelleren Verfahren und Ergebnissen in der Strafverfolgung kommt, sozusagen Zähne zeigt, ja, dann geht unsere Demokratie vor die Hunde. Denn die Menschen sind ehrenamtlich tätig, agieren im Rahmen des Grundgesetzes, nämlich dass die Parteien an der Willensbildung mitwirken. Darauf fußt unsere gesamte parlamentarische Demokratie.

Merken Sie, dass in Leipzig Ehrenamtliche und Parteikolleginnen und -kollegen verunsichert sind?

Ja. Da sagt mir eine Stadträtin: 'Ich gehe nicht mehr alleine nachts raus. Wir hängen nicht mehr alleine Plakate auf, sondern in Gruppen.' Die Angst geht um. Angst ist aber so ziemlich das Schlimmste, was passieren kann in einer demokratischen Partei.

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Ist die Lage im Osten extremer als im Westen?

Es ist ein qualitativer Unterschied. Wir erleben es offensichtlich in den ostdeutschen Regionen stärker. Aber es ist ein gesamtdeutsches Problem. Die Enthemmung nimmt zu. Es beginnt in den Sozialen Netzwerken mit unglaublicher verbaler Brutalität. Wenn wir hier nicht abrüsten, was dann?

2015 war Heiko Maas Justizminister. Damals hatte ich gesagt: Wir brauchen einen Katalog und schnellere Aburteilungen bei Morddrohungen, Verfolgungen, Ankündigungen vor Häusern von Politikern aufzulauern, Kinder in der Schule zu bedrohen. Es muss deutlich werden, dass das keine Kavaliersdelikte sind.

Ich will mein Beispiel nennen: Ich habe in den letzten drei Jahren mehr als 50 Anzeigen wegen Bedrohungen und Morddrohungen an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. In zwei Fällen ist eine Verurteilung erfolgt. Man tut das in der Regel ab als normale, üble Nachrede, die man ertragen muss. Das ist das Problem. Wir sind in dieser Frage zu lasch, zu luschig.

Ich habe in den letzten drei Jahren mehr als 50 Anzeigen wegen Bedrohungen und Morddrohungen an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. In zwei Fällen ist eine Verurteilung erfolgt. Man tut das in der Regel ab als normale, üble Nachrede, die man ertragen muss. Das ist das Problem. Wir sind in dieser Frage zu lasch.

Burkhard Jung OB Leipzig

Woran liegt das?

Man hat sich an Beleidigungen und Stalking gewöhnt. Die Staatsanwaltschaften sind sich einig, dass die freie Meinungsäußerung als hohes Gut die bestimmende Grenze ist. Das ist auch richtig so. Umso wichtiger ist es, einen Konsens herbeizuführen, der ganz klar die Grenzen markiert. Meinetwegen erstellen wir den mit einer Expertenkommission und klären: Wo ist die rote Linie? Wenn Kinder bedroht werden, wenn mit Mord gedroht wird, tierische Vergleiche der Entwürdigung gemacht werden?

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Angriffe auf Ehrenamtliche und Mandatsträger für die AfD zugenommen haben.

Absolut. Ja.

Welche Verantwortung trägt die AfD aus Ihrer Sicht an der Veränderung der politischen Rhetorik?

Jeder, auch jeder AfD-Politiker, der Opfer wird, verdient unsere Solidarität, weil Gewalt kein Zustand ist. Aber zur Wahrheit gehört: AfD-Politikerinnen und -Politiker haben sehr stark gezündelt. Sie zündeln immer noch. Wir erleben tagtäglich, wie sie rassistische Äußerungen gutheißen. Ein Zuruf im Stadtrat Leipzig als Beispiel: 'Du kommst auf unsere Liste!' Das ist eine ganz klare Drohung. Wir erleben immer wieder Entgleisungen haarscharf an der Kante der Strafverfolgung. Die AfD ist wesentlich mitverantwortlich für diese Verrohungen der politischen Kultur.

Haben das populistische Spektrum und rechtsextreme Kräfte denn ein Interesse an verbaler Abrüstung?

Nein, auf keinen Fall. Es ist Strategie. Die Polarisierung, Hetze, die Schützengräben, in die man sich begibt, dienen dazu, eine Verunsicherung in der Bevölkerung zu erzielen und im Prinzip Weimarer Verhältnisse herauf zu beschwören. Das ist eine ganz klare Strategie von Rechtsaußen.

Sehen Sie denn diese Weimarer Verhältnisse?

Nein, Gott sei Dank sind wir noch nicht so weit! Aber es gibt Anklänge. Man erinnert sich, wenn man ein wenig in der Geschichte blättert, wie die Nazis das 1930 in Thüringen gemacht haben [im damaligen Thüringen wurde mit Wilhelm Frick erstmals ein Mitglied der NSDAP Minister in einer Landesregierung, Anm.d.Red.], wie sie versucht haben, Schritt für Schritt durch die Institutionen zu marschieren. Das erleben wir ganz klar auch bei der AfD, die als Wolf im Schafspelz daherkommt.

  • Das vollständige Radio-Interview des Deutschlandfunks können Sie hier nachhören.

MDR (kk)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 08. Mai 2024 | 09:00 Uhr

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