"Fakt ist!" zur Landtagswahl in Thüringen Politologin: Polarisierung der politischen Debatte treibt Wähler an die Wahlurne

29. Oktober 2019, 00:17 Uhr

Die starke Polarisierung in der politischen Debatte vor der Landtagswahl hat nach Ansicht der Leipziger Politikwissenschaftlerin Astrid Lorenz viele Wähler in Thüringen zur Stimmabgabe motiviert. "Wenn die Leute das Gefühl haben, dass es wirklich um etwas geht, dann gehen sie gerne zur Wahl", sagte Lorenz am Montag in der MDR-Sendung "Fakt ist!" in Erfurt. Dieser Effekt sei auch schon bei den vorangegangenen Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen zu beobachten gewesen. In solchen Polarisierungssituationen seien vor allem unter den Wählern von AfD und Linken auch viele sogenannte Unterstützungswähler, die eigentlich nicht zur festen Anhängerschaft dieser Parteien gehörten.

Viele Kurzentschlossene in Ostdeutschland

Das bestätigte in der Sendung auch Jürgen Hofrichter vom Meinungsforschungsinstitut infratest-dimap. Bei den Nichtwählern von 2014, die am Sonntag dann doch zur Wahl gegangen seien, habe die AfD den Löwenanteil bekommen, sagte er. Auch die Linke habe hier einen starken Zuwachs gehabt. Von Wählern, die sich kurz vor der Wahl erst für eine Partei entscheiden, habe die Linke den meisten Zuspruch bekommen, während etwa AfD-Wähler überwiegend schon längerfristig ihre Wahlentscheidung träfen. Nach Hofrichters Worten entscheidet sich etwa die Hälfte der Wähler in Ostdeutschland erst in der Woche der Wahl oder direkt am Wahltag, wem sie ihre Stimmen geben. Ein Viertel treffe diese Entscheidung ausschließlich am Wahltag.

Eine große Rolle bei Wahlen im Osten spielt laut Astrid Lorenz, dass viele Wähler nicht mehr wie früher parteilich gebunden sind. Zwar verorteten sich viele in ihren politischen Entscheidungen schon bei bestimmten Parteien. Das habe aber weniger Einfluss auf ihr tatsächliches Wahlverhalten als im Westen. "Die gefestigten Sympathien haben abgenommen", sagte Lorenz. Wahlentscheidungen seien oft auch abhängig von der aktuellen Berichterstattung in den Medien oder von persönlichen Erlebnissen.

Geringe Mitgliederzahlen machen Wahlkampf schwerer

Problematisch ist für Parteien im Osten nach den Worten von Hofrichter und Lorenz auch ihre geringere Mitgliederzahl im Vergleich zu westdeutschen Bundesländern. Damit hätten sie auch weniger Leute, welche die Menschen vor Ort im Wahlkampf direkt ansprechen könnten, sagte Hofrichter. Kritisch werde von manchen Wählern auch der Einsatz von Wahlhelfern der Parteien aus anderen Bundesländern gesehen, ergänzte Lorenz. Wenn diese eine geringe Kenntnis der Verhältnisse vor Ort erkennen ließen, könne das zu Frustration bei den Wählern führen.

Eine wichtige Rolle spielen nach Einschätzung der Experten die unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten der Bewohner von Städten und der in ländlichen Gebieten. Das bestätigten auch Wahlhelfer und Direktkandidaten aller Parteien, die in der Sendung zu Wort kamen. In urbanen Gebieten interessierten sich die Menschen für andere Themen als auf dem Dorf, hieß es.

Soziale Netzwerke im Internet werden wichtiger

Eine zunehmende Bedeutung hat für Parteien im Wahlkampf nach den Worten des Politologen Bendix Hügelmann von der Universität Hamburg das Internet - hier vor allem die sozialen Networks wie Facebook, Instagram oder Twitter. Damit könnten Wähler direkter und "niedrigschwellig" angesprochen werden. Hier müssten Parteien künftig noch mehr Zeit und Ressourcen investieren, meinte er. Allerdings dürften dabei die Menschen nicht nur unmittelbar vor Wahlen angesprochen werden. "Die sozialen Medien bieten ja vor allem die Chance, in der Zeit zwischen zwei Wahlen, also über einen längeren Zeitraum eine Community aufzubauen", so Hügelmann.

Quelle: MDR THÜRINGEN/dr

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! | 28. Oktober 2019 | 22:05 Uhr

9 Kommentare

martin am 30.10.2019

Inwieweit die Wähler ihre Entscheidung nach ernsthafter Auseinandersetzung mit den Parteizielen / dem Wahlprogramm getroffen haben, ist meiner Meinung nach sehr fragwürdig. Ich habe den Eindruck, dass der Populismus auch in Thüringen einen gewaltigen Einzug gehalten hat.

martin am 30.10.2019

Die Wahlfreiheit bedeutet halt auch, dass der Wähler die Freiheit hat, nicht zu wählen. Diese Stimmen gehören aber keiner Parteil. Es ist richtig, dass nicht 30% der Thüringer für die Linken sind. Neben den wahlberechtigten Nichtwählern, gibt es aber weitere nichtwahlberechtigte Thüringer. Aber auch hinter der AfD stehen keine 23% der Thüringer.

Ich stimme Ihnen zu, dass eine möglichst hohe Wahlbeteiligung natürlich aus vielerlei Gründen wünschenswert ist. Aber die Nichtwähler moralisch zu irgendeiner Gruppierung (außer der Gruppe der Nichtwähler) zu verorten ist meiner Meinung nach schlichtweg falsch.

augu am 29.10.2019

Für echtes politisches Interesse in der Bevölkerung spräche eigentlich, wenn die Wahlentscheidung nicht kurz vor der Wahl, sondern länger davor und ohne Beeinflussung durch Zufälligkeiten getroffen wäre. Aber starke Polarisierung, d.h. stark betonte und tatsächlich vorhandene Unterschiede in den Parteizielen, fördern Interesse das Interesse an der Wahl, das ist nachvollziehbar.

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