Ein Buch mit dem Titel «Grimms Märchen»
Bildrechte: picture alliance/David Ebener

Festival Meiningen feiert die Kunst des Erzählens: Märchen für alle

28. Mai 2024, 04:00 Uhr

Beim Märchen- und Sagenfest in Meiningen können sich Kinder und Jugendliche genauso wie Erwachsene in dieser Woche von bekannten und unbekannten Geschichten verzaubern lassen. Beim diesjährigen Festival steht besonders das gesprochene Wort im Vordergrund. Außerdem soll die Frage geklärt werden, warum wir uns trotz ihrer Grausamkeit und Brutalität weiter Märchen erzählen sollten. Der Thüringer Märchen- und Sagenpreis wird am Mittwochabend an den Jenaer Germanisten Martin Straub verliehen.

Am Dienstag feiert das traditionelle, jährliche Märchen- und Sagenfest im thüringischen Meiningen seinen Auftakt. Die Organisatorinnen wollen mit dem Festival den reichen, weltweiten Märchenbestand bekannter machen und das gesprochene Wort fördern. Die Veranstaltungen richten sich an Kinder und Jugendliche genauso wie an Erwachsene.

Das freie Erzählen steht im Fokus

Los geht das Meininger Märchen- und Sagenfest am Dienstag mit einer offenen Erzählbühne in der Meininger Bibliothek. Sie bietet jedem die Gelegenheit, sich als Erzähler auszuprobieren oder einfach als Zuhörer dabei zu sein. Es können Märchen oder auch andere Geschichten, zum Beispiel biografische Erlebnisse, präsentiert werden. Das dreitägige Festivalprogramm beinhaltet außerdem Aufritte professioneller Märchenerzähler sowie ein Märchensymposium mit Workshops. Beim Symposium freuen sich die Organisatoren nach eigenen Angaben nicht nur über Fachpublikum, sondern jeden Neugierigen – ob Lehrerin, Erzieher, Bibliothekarin, Studierender, Märchenforscher oder Volkskundlerin.

Das Bild zeigt zwei Frauen an einem Tisch: Sylvia Gramann (Bibliotheksleiterin) und Cornelia Schmädicke (Mitarbeiterin der Bibliothek und professionelle Märchenerzählerin), Organisatorinnen des Meininger Märchen- und Sagenfests.
Die Bibliotheksleiterin Sylvia Gramann (rechts) und die professionelle Märchenerzählerin Cornelia Schmädicke (links) sind Organisatorinnen des Meininger Märchen- und Sagenfests. Bildrechte: Marlene Drexler

Ins Leben gerufen wurde das Meininger Märchen- und Sagenfest im Jahr 2001 zum 200-jährigen Geburtstag des Märchensammlers Ludwig Bechstein, der im 19. Jahrhundert als Bibliothekar und Archivar in Meiningen wirkte. Überregional ist Bechstein heute vor allem durch die von ihm herausgegebene Sammlung deutscher Volksmärchen bekannt.

Im Kopf sollen Bilder entstehen.

Sylvia Gramann, Organisatorin des Meininger Sagen- und Märchenfestes

Organisiert wird das Festival federführend von Bibliotheksleiterin Sylvia Gramann und ihrer Mitarbeiterin Cornelia Schmädicke, die selbst ausgebildete Märchenerzählerin ist. Beim freien Erzählen gehe es darum, die Geschichte so zu präsentieren, dass die Fantasie der Zuhörer angeregt wird, so Schmädicke bei MDR KULTUR: "Im Kopf sollen Bilder entstehen, sodass man als Zuhörer richtig eintaucht in die Handlung." Die Kunst des freien Erzählens verfolge außerdem das Ziel, die Deutsche Sprache zu fördern sowie die Rhetorik und Sprachfähigkeit von Menschen zu verbessern.

Ludwig Bechstein
Der Schrifsteller Ludwig Bechstein ist heute vor allem für seine Sammlung deutscher Volksmärchen bekannt. Bildrechte: imago images/H. Tschanz-Hofmann

Märchen als verbindendes Element

Grundsätzlich gibt es laut Märchenerzählerin Schmädicke, die den Studiengang "Storytelling in art and education" an der Universität der Künste Berlin absolviert hat, beim freien Erzählen zwei Strömungen. Die eine besteht auf die wortgenaue Wiedergabe der Geschichten. Die andere ermuntert zu persönlichen Ausschmückungen, etwa mit eigenen Adjektiven. Bei dieser Variante gefalle ihr die Möglichkeit, auf verschiedenes Publikum einzugehen, sagt Schmädicke. Bei Kindern erzähle sie brutale Szenen etwa für gewöhnlich weniger detailliert, als bei Erwachsenen.

Bibliothek "Anna Seghers" in Meiningen
Viele Veranstaltungen finden in der Meininger Stadt- und Kreisbibliothek "Anna Seghers" statt. Bildrechte: IMAGO / imagebroker

Dennoch halte sie gegen die Aussage mancher Eltern, einige Märchen seien generell zu grausam für Kinderohren. Sie ist der Meinung, auch jüngere Zuhörer verstünden, dass die Geschichten nicht eins zu eins zu verstehen sind. Die Lust an Märchen bestehe auch darin, dass sie – trotz der Grausamkeiten und bitteren Schicksalsschlägen, die Helden und Heldinnen erleiden – den Glauben an Gerechtigkeit und das Gute festigen. Denn, was alle Märchen gemein haben, ist: das Happy-End.

Organisatorin Sylvia Gramann beschreibt als besondere Erkenntnis ihrer intensiven Beschäftigung mit Märchen in den vergangenen Jahren die Tatsache, dass es immer wieder frappierende Ähnlichkeiten zwischen Geschichten gebe, die ihren Ursprung in ganz verschiedenen Ländern der Welt haben. Zu tun hat das laut Märchenerzählerin Schmädicke wohl auch mit der originären Art, wie sich Märchen (bis sie von Sammlern wie Ludwig Bechstein oder den Gebrüder Grimm schriftlich festgehalten wurden) verbreitet haben – in mündlicher Überlieferung von Generation zu Generation. Erzählt wurden sie unter den Dorflinden und am Lagerfeuer, womit sie auch immer eine soziale Funktion hatten. Das will das Meininger Märchen- und Sagenfest ebenso aufgreifen, indem es dazu einlädt, Märchen nicht nur alleine zuhause zu lesen, sondern ihnen gemeinsam mit anderen zu lauschen.

Aufnahme vom Märchen- und Sagenfest Meiningen 2023: Eine Frau steht vor einem Publikum in einer Bibliothek, hinter ihr ein Regal voller Bücher.
Auch beim Märchen- und Sagenfest 2023 konnten Besucherinnen und Besucher bekannte und unbekannte Märchen erleben. Bildrechte: Stadt- und Kreisbibliothek "Anna Seghers" Meiningen

"Das Tapfere Schneiderlein" geht an Jenaer Germanisten

Alle zwei Jahre wird im Rahmen des Meininger Festivals auch der mit 2.500 Euro dotierte Thüringer Märchen- und Sagenpreis verliehen. Er ist nach dem berühmten Märchen "Das tapfere Schneiderlein" benannt. Unter den Preisträgern waren in der Vergangenheit schon Persönlichkeiten wie der in Benin geborene Mensah Wekenon Tokponto oder die US-Amerikanerin Ruth B. Bottigheimer. Ausgewählt werden immer Menschen, die sich in besondere Weise um das Kulturgut Märchen verdient gemacht haben. In diesem Jahr wird der Jenaer Germanist Martin Straub ausgezeichnet, der die Entstehung des Meininger Märchen- und Sagenfests vor bald 25 Jahre mitanregte.

Die Trophäe "Das tapfere Schneiderlein" vom Meininger Märchen- und Sagenfest
"Das tapfere Schneiderlein" wird alle zwei Jahre in Meiningen vergeben. Bildrechte: Stadt- und Kreisbibliothek "Anna Seghers" Meiningen

Mehr Informationen:

Meininger Märchen- und Sagenfest
28. bis 30. Mai 2024

Tickets zu allen Veranstaltungen können in der Bibliothek Meiningen erworben werden.

Programm:
28. Mai:

  • 16 Uhr: Offene Erzählbühne (Stadt- und Kreisbibliothek Meiningen)
  • 19 Uhr: Ach, wie gut dass niemand weiß...oder erzähl mir Märchen (Stadt- und Kreisbibliothek Meiningen)


29. Mai:

  • 10 Uhr: Symposium (Volkshaus Meiningen)
  • 13 Uhr: Workshops (Volkshaus Meiningen)
  • 15:30 Uhr: Workshops (Volkshaus Meiningen)
  • 19 Uhr: Preisverleihung Thüringer Märchen- und Sagenpreis (Staatstheater Meiningen Kammerspiele)


30. Mai:

  • 11 Uhr: Märchenhafter Spaziergang (Treffpunkt: Eingang Schlosspark Schlossstuben)
  • 16 Uhr: Märchen zum Schmunzeln (Stadt- und Kreisbibliothek Meiningen)


Mehr Informationen finden Sie auf der Webseite der Stadt Meiningen.

Quelle: MDR KULTUR (Marlene Drexler)
Redaktionelle Bearbeitung: as, bh

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 28. Mai 2024 | 06:30 Uhr

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