Forstwirtschaftsmeister Sebastian Dummer im Stadtwald Meiningen
Forstwirtschaftsmeister Sebastian Dummer ist für den Stadtwald Meiningen verantwortlich. Bildrechte: MDR/Marlene Drexler

Meiningen Ökologische und wirtschaftliche Ziele vereinen: Neue Wege bei Waldumbau

23. Februar 2023, 16:49 Uhr

Bei der Bewirtschaftung des Stadtwalds hat Meiningen auf das "Lübecker Modell" umgestellt: Dabei werden zehn Prozent der Fläche stillgelegt, also nicht weiter aktiv bewirtschaftet. Stattdessen wird beobachtet, welche Bäume dort von alleine wachsen, um diese Arten dann möglicherweise im bewirtschafteten Teil zu pflanzen. Angesichts des Klimawandels verspricht sich die Stadt davon künftig nicht nur einen ökologischen, sondern auch einen wirtschaftlichen Mehrwert.

Vor uns liegt ein Stück Wald im Meininger Ortsteil Dreißigacker, auf dem der Borkenkäfer deutlich seine Spuren hinterlassen hat. Geblieben sind ein paar hochgewachsene, jedoch abgestorbene Fichten. Zwischen viel totem Holz gibt es am Boden aber auch neues Leben in Form einiger Schwarzdornbüsche: "Normalerweise hätte man hier jetzt, noch bevor der Schwarzdorn gewachsen wäre, neue Bäume angepflanzt", sagt Sebastian Dummer, der sich als Forstwirtschaftsmeister um den Meininger Stadtwald kümmert.

Teile des Waldes komplett der Natur überlassen

Stattdessen wurde das Waldstück, wie insgesamt zehn Prozent des rund 1.900 Hektar großen Kommunalwalds, im Zuge der neuen Waldumbau-Strategie still gelegt. Das bedeutet: Die Fläche wird nicht mehr bewirtschaftet, sondern - abgesehen von der Jagd - wieder komplett der Natur überlassen, um daraus später zu lernen. Ziel ist, mit der Natur als ungetrübtes Vorbild für einen gesunden Wald, Blaupausen für den Umgang mit den Wirtschaftswaldflächen zu schaffen. Die Beobachtungsflächen heißen daher auch "Referenzflächen".

Stillgelegter Teil des Sadtwaldes Meiningen
Dieser stilllegte Teil im Stadtwald Meiningen ist zwar noch kahl vom Borkenkäfer, aber junge Bäume und Schwarzdorn-Sträucher erobern die Fläche bereits. Bildrechte: MDR/Marlene Drexler

Ziel: Wald gegen Klimawandel wappnen

Einen Teil des Waldes stillzulegen, ist ein zentraler Baustein des sogenannten "Lübecker Modells", für das sich die Stadt Meiningen im Kampf gegen den Klimawandel entschieden hat. Dahinter verbirgt sich ein Konzept, das den Wald als effektiven Klimaschützer und Erholungsort genauso sichern will wie als gewinnbringende Einnahmequelle. Die Prinzipien gehen auf ein schon in den 1980er-Jahren im Lübecker Stadtwald etabliertes Modell zurück, das auf naturnahe Waldnutzung mit minimalen forstwirtschaftlichen Eingriffen setzt.

Der Stadtrat in Meiningen hat schon 2019 den Weg für diese neue Art der Bewirtschaftung des Kommunalwalds freigemacht und sich damit auch für das "Naturlandzertifikat" qualifiziert. Jetzt wurden die Flächen, die stillgelegt werden, endgültig festgelegt und Wald-Entwicklungsziele für die nächsten zehn Jahre aufgestellt.

Natürliche Wald-Entwicklung beobachten

"Welche Baumarten setzten sich von alleine durch, trotz der Wetterkapriolen, die wir in den vergangenen Jahren hatten?" Dieser Frage will Sebastian Dummer in den nächsten Jahren mit Hilfe der stillgelegten Flächen nachgehen. Die Erkenntnisse will der Forstwirtschaftsmeister dann auf die Wirtschaftsflächen anwenden.

Für ihn ist es eine Möglichkeit herauszufinden, auf welche Baumarten man in Zukunft setzen sollte. Auf gut Glück andere Baumarten zu pflanzen, in der Hoffnung, sie kämen besser klar mit durch den Klimawandel bedingten Stress - wie Dürre, Hitze und Borkenkäferbefall -, sei für ihn "Baumbingo". Die Beobachtungsflächen dagegen seien belastbare Wegweiser für einen Wald der Zukunft.

Devise: So wenig Eingriffe wie möglich

Das zweite wichtige Prinzip im "Lübecker Modell" lautet: so wenig in den Wald eingreifen wie möglich. "Waldpflege", über dieses Wort schüttelt Sebastian Dummer heute den Kopf, sagt aber auch: Das war nicht immer so. Erst seitdem er als Forstwirtschaftsmeister in Meiningen für die Umsetzung des "Lübecker Modells" verantwortlich ist, hätte sich seine Sichtweise geändert. Heute ist er der Meinung: Wenn der Wald wieder mehr Wald und weniger Forst sein darf, muss der Mensch sich auch nicht mehr so intensiv um ihn kümmern, um ihn gesund zu halten.

Totholz im Stadtwald Meiningen
Auch Totholz darf im Stadtwald Meiningen mittlerweile liegen bleiben. Bildrechte: MDR/Marlene Drexler

Nur ältere Bäume fällen

Derzeit besteht der Meininger Stadtwald hauptsächlich aus Buchen (31 Prozent), Fichten (23 Prozent) und Kiefern (19 Prozent). Dazu ist der Baumbestand insgesamt relativ jung. Da im Rahmen des "Lübecker Modells" nach Möglichkeit nur alte Bäume geschlagen werden sollen, soll der Meininger Stadtwald in den nächsten Jahren reifen. Bis dahin ist eine gewisse Zurückhaltung beim Einschlag erforderlich, zumindest mit Blick auf die zukunftsträchtigen Laubbaumarten. Stattdessen soll der Schwerpunkt bei der Holzernte in den nächsten Jahren auf der Fichte liegen - einer Baumart, der wegen des Klimawandels kaum mehr eine Überlebenschance abseits alpiner Höhenlagen zugesprochen wird.

Mischwald im Stadtwald Meiningen im Winter
Mischwald bei Meiningen: Im Rahmen des "Lübecker Modells" nach Möglichkeit nur alte Bäume geschlagen werden. Bildrechte: MDR/Marlene Drexler

Holzeinschlag: Weniger auf Masse, mehr auf Qualität setzen

Aufgeforstet werden soll nach dem Zehn-Jahres-Plan in Meiningen dann, unter Einbezug der neuen Erkenntnisse aus den Beobachtungsflächen, mit Baumarten, die an diesem Standort heimisch sind. Zwar könnte es auch sein, dass heimische Arten im Zuge des Klimawandels langfristig nicht mehr überleben werden. Aussagen darüber seien aber ein Blick in die Glaskugel, so Dummer. "Die genetische Anpassungsfähigkeit können wir ja zum Beispiel nicht voraussehen."

Grundsätzlich soll bei der Holzernte laut Dummer mehr die Devise gelten: Qualität vor Masse. Bäume alt werden zu lassen, bedeutet unterm Strich weniger Holz, dafür aber dank der dicken Stämme höhere Holzqualität. Zudem möchte Dummer Ernteschäden weiter minimieren, um die Holzqualität und letztlich den Erlös weiter zu steigern.

Einbußen durch Stilllegung mit Waldprämie ausgleichen

Momentan verringern die neuen Prinzipien die Einnahmen im Meininger Stadtwald. Einbußen könnten aber, so Dummer, etwa durch die Waldprämie für naturnahe, nachhaltige Wälder ausgeglichen werden. Gleichzeitig ist er davon überzeugt, dass sich die Geduld und Zurückhaltung beim Einschlag heute in der Zukunft in Form eines gesünderen Waldes ökologisch und finanziell auszahlen wird.

Reaktionen auf Pläne: Zuspruch und Skepsis

Nicht alle aus Branche würden das "Lübecker Modell" befürworten, so Dummer. Es gebe eine Fraktion, die finde, das Vorgehen sei "esoterischer Ökokram". Um Skeptikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, betont der Forstwirtschaftsmeister daher immer wieder, dass die Meininger Strategie das wirtschaftliche Auskommen zu gleichen Teilen wie den Naturschutz berücksichtige: "Wirtschaftszweck, Schutzzweck und Erholungszweck des Waldes stehen gleichwertig nebeneinander."

Wirtschaftszweck, Schutzzweck und Erholungszweck des Waldes stehen gleichwertig nebeneinander.

Sebastian Dummer, Forstwirtschaftsmeister und Verantwortlicher für den Meininger Stadtwald

Neben den Skeptikern finden sich aber auch immer mehr Neugierige, wie Dummer erzählt. Interessierte aus ganz Deutschland hätten sich im vergangenen Jahr bei ihm gemeldet, um mehr über die neue Herangehensweise zu erfahren.

Beobachtungsflächen liefern schon erste Erkenntnisse

Zurück zu dem kahlen Waldstück im Ortsteil Dreißigacker. Da der Abschnitt schon früh als Beobachtungsfläche ausgewiesen wurde, lohnt sich hier schon ein genauerer Blick. Denn neben den abgestorbenen Fichten sind mittlerweile erste, neue Baumsprösslinge zu sehen: darunter zum Beispiel Buche, Mehlbeere und Bergahorn. Interessant findet Forstwirtschaftsmeister Dummer auch: "Durch den Schwarzdorn geht das Wild da nicht rein, sodass die Bäume sich überhaupt erst nach oben kämpfen konnten".

Forstwirtschaftsmeister Sebastian Dummer kontrolliert Baumschößling
Forstwirtschaftsmeister Sebastian Dummer kontrolliert einen Baumschößling im Stadtwald Meiningen. Bildrechte: MDR/Marlene Drexler

Auf Wirtschaftswaldflächen, auf denen der Schwarzdorn keine Chance hat, verhindert die Vorliebe von Reh und Co. für zarte Knospen oft den Austrieb junger Bäume. Darüber hinaus freut sich Dummer über die positiven Effekte des Totholzes als Wasser- und Nährstoffspeicher, die im Wirtschaftswald ebenfalls kaum zum Tragen kommen, weil Totholz dort für gewöhnlich nicht liegen bleibt. Zu Beginn habe ihn der Anblick der kahlen Fläche geschmerzt, sagt Dummer. "Heute weiß ich, es ist die Zukunft."

MDR (med/uka)

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Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Fazit vom Tag | 22. Februar 2023 | 18:40 Uhr

4 Kommentare

W.Merseburger am 23.02.2023

Bei obigem Waldmodell werden auf den "Ruheflächen" doch nur die Baumarten wachsen, die es dort in der benachbarten Umgebung gibt. Die Widerstandsfähigkeit dieser einheimischen Arten sollte doch gut bekannt sein und muss deshalb nicht erforscht werden. Mich wundert immer wieder, dass bei solchen Projekten nicht unsere deutschen und auch europäischen Forsthoch- und Fachschulen einbezogen werden (Dazu gibt es im Artikel keinen Hinweis). Ich habe damals im Bayrischen Wald und auch im Böhmerwald die verheerenden Folgen des Sturmes "Kyril" gesehen. Vielleicht könnte man nach nunmehr doch vielen Jahren die anschliessende Entwicklung dieser Waldgebiete und die Erfahrungen damit mit in neuere Projekte des Waldumbaues einbeziehen.

DermbacherIn am 25.02.2023

Ich verstehe hier nicht was sie mit ihrem Text ausdrücken wollen!

DermbacherIn am 25.02.2023

Was wollen sie mit ihrer Aussage ausdrücken?

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