Kripo Wenn Menschen verschwinden: So sucht Ermittlerin Susan Gütten nach Vermissten
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23. November 2024, 05:00 Uhr
Die Kriminalhauptmeisterin Susan Gütten steht immer wieder vor rätselhaften Fällen, wie dem eines verschwundenen Gassi-Gehers. Mit Beharrlichkeit und Mitgefühl sucht sie nach vermissten Personen und findet manche Lösung im Schlaf. Ein Blick in die Welt einer Ermittlerin, die nicht aufgibt.
Der Kontakt war überraschend abgebrochen. Doch warum? Die Frau machte sich im Sommer 2021 Sorgen um ihren Mann. Er war weg, der Hund war weg, eine seiner registrierten Waffen war weg. Sein Handy noch da. Hier stimmte was nicht.
Nach der Vermisstenanzeige "geht es gleich los", sagt Kriminalhauptmeisterin Susan Gütten. "Bereitschaftspolizei, Staffel, Drohnen, auch die Tauchergruppe hatten wir mehrmals im Einsatz, Personen- und Leichenspürhunde. Zwei bis drei Tage wurde rund um die Uhr gesucht - alles ohne Erfolg."
Wenn in Südthüringen ein Vermisster nach drei Tagen bis zwei Wochen nicht wieder da ist und die bisherige Suche ohne Erfolg geblieben ist, übernimmt das Kommissariat 1.1: Gesundheit und Leben.
Wann gilt man als vermisst?
Zunächst prüft die zuständige Polizeiinspektion, ob tatsächlich ein Vermisstenfall vorliegt. Dies ist der Fall, wenn Personen ihren gewohnten Lebenskreis verlassen haben, ihr Aufenthaltsort unbekannt ist und zusätzlich eine "Gefahr für Leib oder Leben besteht". Erwachsene, die im Vollbesitz ihrer geistigen und körperlichen Kräfte sind, haben das Recht, ihren Aufenthaltsort frei zu wählen - auch ohne, ihn Angehörigen und Freunden mitzuteilen. Bei Kindern und Jugendlichen ist das anders - hier wird immer ermittelt. Die Polizei versucht, die vermisste Person zu finden, indem sie die Angehörigen und Bekannten des Vermissten intensiv über den Vermissten und dessen Lebensumstände befragt.
Im Fall des vermissten Gassi-Gehers machte Susan Gütten da weiter, wo ihre Kollegen aufgehört hatten. Ehefrau befragen, Haus durchsuchen, Spuren im Internet verfolgen, Straftaten ausschließen, die Öffentlichkeit einschalten, bei Kripo Live und Aktenzeichen XY... Ungelöst über den Fall sprechen und Hinweisen nachgehen.
So viele Menschen werden vermisst
Deutschlandweit sind konstant etwa 9.000 Menschen als vermisst gemeldet, sagt Susan Gütten. Zahlen für Thüringen hat sie nicht - aber auch hier gilt wohl: 70 Prozent der Vermissten sind Männer, 30 Prozent Frauen.
44 Prozent sind Erwachsene, 38 Prozent Jugendliche, 18 Prozent Kinder. Täglich gibt es deutschlandweit 200 bis 300 neue Fälle - in etwa die gleiche Anzahl, die pro Tag gelöst oder aus den Polizeisystemen gelöscht wird.
Etwa die Hälfte der Vermisstenfälle erledigt sich innerhalb der ersten Woche oder Wochen. Personen, die länger als ein Jahr vermisst werden, umfassen nur drei Prozent der gesamten Vermisstenfälle, zitiert Susan Gütten die Statistik.
Wie sucht die Polizei nach Vermissten?
Sind die oben genannten Voraussetzungen erfüllt (gewohnter Lebenskreis verlassen, Aufenthaltsort unbekannt, Gefahr für Leib oder Leben), beginnen Ermittlungen und Suche.
- Sofortmaßnahmen der Schutzpolizei in Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei
- Absuche im persönlichen Umfeld
- Anfragen in Krankenhäusern, Arztpraxen et cetera
- Anfragen bei Jugendämtern, Schulen und am Arbeitsplatz
- Kontaktaufnahme zu Banken, Überprüfung der Handyerreichbarkeit
- Ermittlungen und Fahndung im öffentlichen Personennahverkehr (Information an die Bundespolizei)
- Suche mit Hunden
- Einsatz von Sondertechnik (zum Beispiel spezielle Fahrzeuge, Hubschrauber, Drohnen je nach Wetterlage)
- Gezielte und geplante Absuche mit eigenen und Unterstützungskräften
Sind die Kapazitäten der Polizei erschöpft, etwa wenn die Hunde keine Spuren mehr finden oder Zeitverzug entsteht, ruft sie andere Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben zur Unterstützung, wie den ASB (Hundestaffel) oder die Feuerwehr. Nach Abschluss der ersten Maßnahmen schreibt die Polizei die Person zur Fahndung aus und startet in Zusammenarbeit mit den Angehörigen eine Öffentlichkeitsfahndung über die Pressestelle.
Fast zwei Jahre Suche
Susan Gütten und ihre beiden Kollegen im Kommissariat 1.1 arbeiten "ständig an dem Fall", wie sie erzählt. "Man muss aber auch sagen, dass man parallel dazu Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzungsdelikten hat, dann Todesfallermittlungen und so weiter. Man hat immer parallel zu tun. Wenn wir größere Einsätze haben, können wir Unterstützung bekommen - ansonsten wurschtelt man ein bisschen alleine rum."
Seit 20 Jahren ist Susan Gütten bei der Kripo. Vorher hat sie schon in anderen Abteilungen der Polizei gearbeitet - zum Beispiel als Streifenpolizistin. Für sie ist die Polizei noch "der Freund und Helfer". Ihr Ziel: den Opfern, den Familien helfen, aufklären, Gewissheit schaffen.
Dass der Gassi-Geher sie bald zwei Jahre beschäftigen wird, das ist anfangs nicht abzusehen - auch wenn sie schnell ausschließen kann, dass er sich vielleicht abgesetzt hat. Ein Unfall ist denkbar, aber für Susan Gütten deutet alles auf einen Suizid hin.
Hilfe bei Suizidgedanken, persönlichen Krisen und Depressionen Bei Selbsttötungsgedanken und persönlichen Krisen hilft die Telefonseelsorge weiter unter 0800 1110-111 und 0800 1110-222. Der Anruf ist anonym. Weitere kostenfreie Angebote hat die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention aufgelistet - beispielsweise für Jugendliche (116111) und Eltern (0800 111 0 550). Hinterbliebene nach einem Suizid können Hilfe beim Verein AGUS unter 0921 150 03 80 oder auf der Internetseite www.agus-selbsthilfe.de finden.
"Dann kommt immer die Ansagen, aber da müsste er doch gefunden werden! Das ist aber gar nicht so einfach. Geh' doch mal in einem Waldgebiet - die Menschen, die sich da das Leben nehmen, die machen das ja nicht auf dem Weg - die gehen ins Unterholz. Die findet man ganz schlecht. Da hilft manchmal "Kommissar Zufall" und den hatten wir auch hier. Im April 2023 kam der Hinweis eines Wanderers."
In einer Postkiste hat Gütten vier Aktenordner zu dem Fall gestapelt. Es ist nur ein Teil der Akten zu diesem Fall. Sie blättert durch bis zu der Stelle, an dem die Bilder zu sehen sind von der Fundstelle. Man muss nach der langen Zeit zwischen Verschwinden und Auffinden ganz genau hinsehen, um überhaupt etwas zu erkennen.
"Wir haben in dem Fall so viel Aufmerksamkeit generiert - das mussten wir auflösen", sagt Polizeisprecherin Julia Kohl. "Die Kollegen sind von Briefkasten zu Briefkasten gegangen und haben wegen des Verschwindens Flyer verteilt, wir waren damit im Fernsehen. Wir mussten das aufklären, dass der Mensch leblos aufgefunden wurde."
Diese Fälle nimmt die Ermittlerin mit nach Hause
Wenn sich Polizistin Gütten monatelang mit einem Fall beschäftigt, endet das manchmal nicht nach Dienstschluss. Herausragende Fälle vergisst sie nicht - dazu zählt etwa den Fall der getöteten Mary-Jane aus Zella-Mehlis 2011.
Wie die Kleine da lag - sowas nimmt man schon mit.
"Ich war damals mit bei der Rechtsmedizin in Jena, mit dem Angehörigen, der das tote Kind identifizieren sollte. Das ist mir sehr nah gegangen. Wie die Kleine da lag - sowas nimmt man schon mit. Aber man versucht wirklich, Abstand zu bekommen. Sonst wird man verrückt."
Fälle mit Kindern seien immer schlimm. Auch das Verschwinden einer Mutter aus Lauscha, die ihr Neugeborenes zurückgelassen hatte. Diesen Fall hat die Kripo Saalfeld übernommen. Doch auch in Suhl hofften die Ermittler, dass die Frau gefunden wird.
Gütten und die Sprecherin der Suhler Polizei, Julia Kohl, erinnern sich gemeinsam noch an einen anderen Fall mit einem Kind. Eine Mutter hatte versucht, sich und ihr Kind in der Werra umzubringen. Die Frau überlebte, das Kind nicht.
"Umgangssprachlich nennt man das 'erweiterter Suizid' - das ist aber Mord", so Julia Kohl und denkt zurück an die - vergebliche - Suche mit den Tauchern: "Das Kind ist nie gefunden worden. Es war ein Jahr alt, klein. Das wird wohl nie gelöst. Man weiß zwar, was passiert ist - aber man kann der Familie nicht den Körper zurückgeben zum Bestatten."
Und Susan Gütten ergänzt: "Es gibt keinen Ort zum Trauern" und das sei "wirklich sehr traurig und schwierig". Genauso schwierig wie Ungewissheit.
Manchmal kommt die Lösung im Schlaf
Nicht jeder Fall lasse sich klären. Aber es sei ihr Wunsch, die Auflösung zu bringen und alles abzuschließen. Bei manchen Fällen kommt Susan Gütten die Lösung fast im Schlaf. "Manche Aussagen, die man hört und verschriftet - manchmal kommt es in der Nacht: Dann wache ich auf und dann ist sie plötzlich da - die Lösung. Das kommt mir dann wirklich spontan. Das ist schon manchmal komisch, als wenn das Gehirn alles verarbeitet, was ich aufgenommen habe. Und dann kann ich damit weiter ermitteln."
Was für ein Typ Mensch muss man sein, um so einen Job zu machen? Susan Gütten hat darauf keine rechte Antwort. Sie sagt, es helfe zur Seelenhygiene, alles mit anderen Kommissaren zu besprechen und dranzubleiben.
Man muss ein eigenes Herz dabeihaben.
Ihre Kollegin Julia Kohl fasst es so zusammen: "Man muss da weitermachen und an einem Punkt ansetzen, wo andere sagen: nein. Auch wenn die Spur dann im Sand verläuft. Man beißt sich durch. Dabei darf man nie kaltherzig sein, sondern muss sein eigenes Herz dabeihaben." Eine Ermittlerin mit Herz scheint Susan Gütten zu sein. Das gibt es nicht nur im Fernsehen.
MDR (ifl)
Dieses Thema im Programm: Nachmittag | 23. November 2024 | 16:10 Uhr