Eine Bronzestatue der römischen Göttin Justitia mit Waage und Richtschwert in der Hand
Justitia gilt als Symbol der Gerechtigkeit. Bildrechte: picture alliance / dpa | Arne Dedert

Urteile der Woche Unfall beim Online-Unterricht ist Arbeitsunfall

17. Juni 2023, 05:00 Uhr

Fast täglich werden im Gerichtssaal wichtige Urteile gesprochen, die Einfluss auf unser Leben haben können. MDR AKTUELL präsentiert Ihnen die drei interessantesten dieser Woche in Kurzform.


Unfall beim Homeschooling gilt als Arbeitsunfall

Sozialgericht München (Az.: S 9 U 158/22)

Stacy Strauchel* ist Schülerin, 13 Jahre alt und während der Corona-Pandemie, genau wie ihre Mitschülerinnen und Mitschüler, auf Online-Unterricht von zu Hause angewiesen. Wie üblich nimmt sie auch an diesem Tag daran teil, will aus dem Regal ein Buch holen und stolpert. Das Mädchen erleidet Verletzungen im Gesicht. Ihre Eltern wollen das Ereignis bei der gesetzlichen Unfallversicherung als Arbeitsunfall geltend machen. Die Versicherung lehnt allerdings ab. Die Begründung: die Schülerin sei ohne Beaufsichtigung und Anleitung durch die Schule gewesen. Kameras und Mikrofone seien ausgeschaltet gewesen.

Das sehen die Richter des Sozialgerichts München allerdings anders: "Das Buch zu holen, steht im Zusammenhang mit dem Unterricht. Die Lehrkraft konnte trotz ausgeschalteter Kameras und Mikrofone Kontakt zur Schülerin aufnehmen. Außerdem hat der Gesetzgeber die Vorschriften zur Unfallversicherung geändert, sodass die Arbeit im Homeoffice nun in gleicher Weise versichert ist wie die Arbeit im Betrieb vor Ort."

Ein Unfall beim Online-Unterricht gilt als Arbeitsunfall.


Berlin entschuldigt sich wegen Bordell-Razzia und zahlt 250.000 Euro

Landgericht Berlin (Az.: 26 O 470/19)

Im April 2016 stürmen hunderte Polizisten, Zollfahnder und Staatsanwälte das Bordell von Linus Liebe*. Mehrere Verdächtige werden festgenommen. Danach spricht die Staatsanwaltschaft unter anderem von Verbindungen zur organisierten Kriminalität. Doch die Vorwürfe gegen Linus Liebe fallen in sich zusammen. Zwei Jahre später lässt das Berliner Landgericht die Anklage der Staatsanwaltschaft nicht zu.

Linus Liebe klagt zunächst auf Schadensersatz und bekommt vom Kammergericht Berlin 100.000 Euro zugesprochen. Vornehmlich ging es dabei um die Äußerungen der Staatsanwaltschaft, die, so die Richter, vorverurteilend, überzogen und reißerisch formuliert waren.

Im Rahmen des Vorfalls von 2016 gab es noch ein weiteres Verfahren, das nun beendet wurde. Bordellbetreiber Linus Liebe forderte außerdem Entschädigung für die Zeit in der Untersuchungshaft. Der Kläger einigte sich mit dem Land Berlin auf einen Vergleich – er erhält eine formelle Entschuldigung, 250.000 Euro Schadenersatz. Linus Liebe will 100.000 Euro davon einem guten Zweck zukommen lassen.


Kein Erbe nach ignorierter Gerichtspost

Bundesgerichtshof Karlsruhe (Az.: IV ZB 11/22)

Im dritten Fall geht es um den Tod des Anselm Angejahrt* beziehungsweise um dessen Erbe. Seine Ehefrau Andrea Angejahrt gibt nach dessen Ableben beim Nachlassgericht ein Testament ab, das die Eheleute gegenseitig zum Alleinerben einsetzt. Es ist von ihr handschriftlich verfasst und von beiden Eheleuten unterschrieben. Tochter Agnes, einziges Kind des verstorbenen Mannes, klagt und verlangt, die Ehefrau für erbunwürdig zu erklären. Sie habe das Testament erst nach dem Tod des Erblassers verfasst und dafür einen von ihm blanko unterschriebenen Papierbogen verwendet.

Ehefrau Andrea entgegnet dem nichts und nimmt an dem gesamten Verfahren nicht teil. Wie von der Tochter beantragt, stellte in einem Versäumnisurteil das Amtsgericht die Erbunwürdigkeit der Ehefrau fest. Auch hierauf reagiert die Ehefrau nicht, sodass das Urteil rechtskräftig wird. Erst als danach der Erbschein allein auf die Tochter ausgestellt wird, protestiert die Ehefrau. Sie habe unter Schock gestanden und deshalb die Post vom Gericht lange ungeöffnet liegen lassen.

Ist das Versäumnisurteil zur Erbunwürdigkeit also wirksam? Ja, entschied der Bundesgerichtshof Karlsruhe: "Rechtskräftige Urteile sind generell bindend. Anderes kommt nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht. Ein solcher liegt hier allerdings nicht vor. Das Nachlassgericht darf die rechtskräftig festgestellte Erbunwürdigkeit nicht nochmals überprüfen."

*Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 17. Juni 2023 | 06:00 Uhr

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