Ein Mann im Rollstuhl spricht in eine Kamera auf einem Stativ. 6 min
Aus dem digitalen Austausch mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen mit einer Krankheit machen, können Betroffene Hoffnung und Mut schöpfen. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Panthermedia

Vernetzung und Austausch Wie Social Media als Selbsthilfegruppe genutzt wird

24. Mai 2024, 00:01 Uhr

Immer mehr Menschen mit gesundheitlichen Problemen suchen im Netz nach Beratung, Austausch oder gar Tipps für eine schnelle Heilung. Welche Möglichkeiten bietet die digitale Selbsthilfe und welche Risiken birgt sie?

Längst gehört es für uns zur Normalität, viele wichtige Dinge digital zu erledigen und auf TiKTok, Facebook und Instagram sensible Informationen zu teilen. Schließlich findet ein Großteil unseres sozialen Lebens in den diesen Netzwerken statt. So verwundert es auch nicht, dass immer mehr Menschen mit gesundheitlichen Problemen und ihre Angehörigen auf Informationen im Internet vertrauen, wenn es um Fragen rund um die Gesundheit und das eigene Wohlbefinden geht.

Soziale Medien sind Ort für den Austausch über Krankheiten

Im virtuellen Raum lassen sich anonym Sorgen mit anderen Betroffenen teilen und mitunter sogar Auswege finden. Hier kann man sich über seine Schwierigkeiten im Alltag austauschen, sich gegenseitig Mut machen, einander helfen, mit seiner Lebenssituation besser zurechtzukommen oder die dortigen "Gespräche" auch einfach nur mitverfolgen.

Wer sucht, wird also fündig: Neben Gesundheitsverbänden, Vereinigungen und Gesundheits-Foren, die sich auf ihren Plattformen oft zu einem bestimmten Thema oder auf eine Erkrankung spezialisiert haben, bieten mittlerweile auch zahlreiche Betroffene selbst auf ihren eigenen Kanälen Einblicke in ihr Leben mit gesundheitlichen Problemen.

Seit einigen Jahren ist hier auch Kevin Hoffmann als "Kevin Kämpferherz" aktiv, um über seine Erkrankung an Multiple Sklerose zu sprechen:

"Ich wollte einfach mal mit jemanden über meine Sorgen und Ängste sprechen: Kann ich eine Familie gründen? Kann ich überhaupt eine Partnerin finden, die mich damit liebt? Kann ich heiraten? Kann ich mit vielleicht mal irgendwann ein kleines Häuschen kaufen oder nicht? Und ich glaube, das ist heute bei Vielen die Frage: Wo finde ich Menschen, die ähnliche Lebenssituation haben wie ich, damit ich mit denen einen Austausch finden kann und vielleicht auch Hoffnung und Mut schöpfe."

Doch Kevin wollte sich nicht nur informieren, sondern selbst auch aufklären und in einen aktiven Austausch kommen:

"Irgendwann ist bei mir so ein Knoten geplatzt und ich habe angefangen, all meine Sorgen und Ängste in die Kamera zu sprechen. Hab das nach einiger Überlegung veröffentlicht und zum ersten Mal ist was Wundervolles passiert. Ich habe Gleichgesinnte getroffen, die ich so lange gesucht habe", berichtet Kevin rückblickend.

Auf TikTok entstehen Communities mit Betroffenen

Hat man früher insgesamt vielleicht sogar weniger offen über gesundheitliche Sorgen gesprochen und zudem oftmals nur die Möglichkeit gehabt, in einer Selbsthilfegruppe auf Gleichgesinnte zu treffen, um dort über vielleicht eine neue Lebenssituation zu sprechen, scheint im digitalen Raum die Schwelle gesunken zu sein. Gerade für seltene Erkrankungen gibt es im World Wide Web Foren und Communities.

Inzwischen stehen im Internet und in den sozialen Medien zahlreiche "Angebote" rund um die Gesundheit zur Verfügung – oft mit speziellen Markierungen gekennzeichnet wie beispielsweise #mentalhealth – für emotionales, körperliches und soziales Wohlbefinden sowie für spezifische Erkrankungen, etwa mit #copd (Abkürzung für eine chronische Lungenerkrankung) #cancer (für Krebserkrankungen) oder #MS beziehungsweise #MultipleSklerose (eine chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems).

Pro und Contra von Health Content

Dass durch Health und Mental Health Content Beschwerden normalisiert und entstigmatisiert werden und dadurch vor allem auch psychischen Erkrankungen mehr Aufmerksamkeit bekommen, zeichnet die positive Seite des "Gesundheitstrends" in den sozialen Medien.

Jedoch stehen dieser auch Probleme gegenüber: Beispielsweise können die hier ausgesendeten Botschaften nicht nur dazu führen, gesunden Menschen eine Krankheit zu suggerieren, sondern auch eine mögliche Verharmlosung einer Erkrankung erzeugen.

So gibt es beispielsweise Memes und Clips mit der Frage: "Was glaubst du, wer MS hat?", die auf Reaktionen warten; Videobeiträge, die zum Vergleich einladen, indem sie fragen: "Leidest du an Depressionen?" oder "Treffen diese sechs Eigenschaften auf dich zu?". Mitunter wird einem damit suggeriert, dass man vielleicht ein gewisses Krankheitsbild haben könnte.

Zudem vermitteln viele Laien ihren Followern, wie man sich bei bestimmten Krankheiten richtig ernährt oder geben weitere vermeintliche Tipps für ein lebenswertes und gesundes Leben.

Vorsicht bei Gesundheitstipps in Sozialen Medien

Nicht in jedem Fall ist dieser Gesundheitscontent also wirklich hilfreich oder gar seriös, weiß auch Dr. Freya Sukalla, die sich als Akademische Assistentin an der Universität Leipzig mit empirischer Kommunikations- und Medienforschung beschäftigt. Sie erläutert:

"Im Kontext von Gesundheit und sozialen Medien suchen Menschen vor allem die Öffentlichkeit, um über Krankheiten aufzuklären, zu informieren, um aber auch zum Beispiel Aufmerksamkeit für bestimmte Themen zu erregen, zu sensibilisieren, um bestimmte Stigmatisierungen aufzuheben. Natürlich gibt es auch Personen, die das Ganze tun, um damit Geld zu verdienen als ein Motiv, oder aber auch zum Spaß, weil sie Interesse am Thema haben."

Deshalb sei auch in den sozialen Netzwerken besondere Vorsicht geboten und sollte hinterfragt werden: Wem kann man Vertrauen zwischen sogenannten Health Influencern, die mit medizinischen Produktempfehlungen Geld verdienen, und tatsächlich Betroffenen? Hierzu verdeutlicht Freya Sukalla: "Ein Problem, was häufig da ist, dass natürlich Informationen vermittelt werden, die aber wissenschaftlich gar nicht gesichert sind. Und diese Unsicherheit wird nicht kommuniziert und so kann es dann auch schon zu falschen Interpretationen und negativen gesundheitlichen Wirkungen kommen. Im schlimmsten Fall."

"Es ist wie bei einem Arztbericht", beschreibt es Kevin aus seiner Sicht und meint: "Man sollte sich immer eine Zweitmeinung einholen. Und das gilt auch für Content-Creatoren und -Creatorinnen. Wenn ich von jemandem Infos aufnehme, sollte ich das noch mal prüfen. Ich sollte niemals blindlings einem Menschen alles sofort glauben."

Social Media ist kein Ersatz für Arzt-Besuch

So gibt es im Internet ganz klare Grenzen der medizinischen Beratung, derer man sich als User selbst bewusst sein sollte, beschreibt Freya Sukalla und unterstreicht:

"Eine ganz klare Grenze bei gesundheitlichen Beratungen und gesundheitlichen Informationen im Internet ist natürlich die, dass diese Information nicht den Arzt oder das Gespräch bei den Ärzten ersetzen können. Wichtig ist natürlich auch, dass gesponserte Produkte gekennzeichnet werden. Misstrauen ist angebracht, wenn zu reißerische Sprache verwendet wird, zu große Versprechungen gemacht werden – also Wirkungen versprochen werden, ohne dass es große Nebenwirkungen gibt. Genauso wenn davon abgeraten wird, zum Arzt zu gehen; das sei nicht notwendig."

Health Content kann also lösungsorientiert wirken, jedoch keine Therapie oder einen Arztbesuch ersetzen. Und auch wenn es vielleicht so scheint: Da in den Videos alle in der Community angesprochen werden, darf man hier weder eine Diagnose für sich selbst noch einen persönliche Therapieplan erwarten.

Eine gewisse Skepsis ist also angebracht, wenn man sich im Internet bewegt. Und doch kann ein Austausch unter Gleichgesinnten auch positive Effekte haben, wie Kevin aus eigener Erfahrung weiß:

"Diese Resonanz, die ich von den Menschen bekommen habe, hat mich wirklich gerettet. Erst durch die Gespräche mit den anderen Menschen habe ich mich nicht mehr alleine gefühlt. Und wenn ich heute für diese Menschen da bin, dass die das nicht auch durchmachen müssen, gibt mir das jedes Mal sehr viel Kraft."

Medien im Fokus

Ein Reporter steht in kniehohem Wasser und spricht in ein Mikrofon. Eine Person mit Kamera filmt ihn.
Der Klimawandel beeinflusst alle Lebensbereiche. Die Herausforderung für Journalisten ist es, das Thema als Teil ihrer Berichterstattung anzusehen und lösungsorientiert zu berichten. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | dpa
Eine junge Frau sitzt umgeben von Büchern auf dem Boden und filmt sich mit einem Smartphone.
Auf der Videoplattform TikTok diskutieren, empfehlen und rezensieren vor allem junge Frauen in kurzen Videos Bücher. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Panthermedia
Eine Frau blickt durch einen weißen Rahmen, auf dem "facebook" steht und wirft der Kamera einen Kuss zu.
Im Februar 2004 startete die weltweite Erfolgsgeschichte von Facebook. Auch wenn die Plattform vor allem bei Jüngeren an Bedeutung verloren hat, ist das Urgestein der Sozialen Netzwerke noch lange nicht tot. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Panthermedia
Stilisierte Grafik von mehreren Fernsehern, die aufeinandergestapelt sind. Auf einigen ist ein bunter Hintergrund und die Logos von deutschen Privatsendern zu sehen.
Der 1. Januar 1984 war der Startschuss für das deutsche Privatfernsehen. Im Gegensatz zum Programm der Öffentlich-Rechtlichen stand bei den Privaten die Unterhaltung im Vordergrund. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Panthermedia
Eine Frau sieht mit gespanntem Blick in die Kamera und isst Popcorn.
Binge-Watching beschreibt das "Durchschauen" einer Serie in kurzer Zeit. Was früher verpönt war, gehört heute zur Normalität. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Foto: Panthermedia
Eine Frau mit Köpfhörern auf dem Kopf und einem Smartphone in der Hand hält sich erschrocken die Hand vor den Mund.
Unter True-Crime-Fans sind Frauen mit Abstand in der Überzahl. Der Grund dafür könnte mit der Angst vor Verbrechen zusammenhängen. Bildrechte: Panthermedia / Benzoix (YAYMicro)

Sicher in der digitalen Welt

Kinder arbeiten im Unterricht auf ihren Tablets.
Ab dem nächsten Schuljahr werden Schulkinder in Thüringen im neuen Fach Medienbildung und Informatik unterrichtet. Bildrechte: IMAGO / Funke Foto Services
Ein Mann und eine Frau posieren mit ihrem Säugling für ein Selfie.
Bevor Kinder fünf Jahre alt sind, sind bereits durchschnittlich 1500 Bilder von ihnen im Netz, so eine Studie. Und einmal online, haben die Eltern keine Kontrolle mehr darüber, wie die Bilder verwendet werden. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Panthermedia
Zwei Kleinkinder sitzen nebeneinander und haben ein Smartphone und ein Tablet in der Hand.
Der Medienkonsum von Kindern kann mittels verschiedener Apps besser von den Eltern kontrolliert werden. Bildrechte: Panthermedia | MDR MEDIEN360G
Auf einem Gewässer schwimmt ein durchsichtiger Ball, in dem eine Person steht.
Durch den Einfluss von Algorithmen in (Sozialen) Medien können sogenannte Filterblasen entstehen, in denen nur bestimmte Themen und Meinungen stattfinden. Bildrechte: picture alliance/dpa

Rundfunk, Presse und Politik

Im Hintergrund sitzt eine Person. Sie ist nicht erkennbar. Im Vordergrund ist ein Mikrofon zu sehen.
Lokaljournalisten, die in Dörfern und Kleinstädten arbeiten, laufen Gefahr, dass sich ihr Berufsleben auch auf ihr Privatleben auswirkt. Sie haben Sorge vor Übergriffen, weil nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Wohnorte oder Autos häufig bekannt sind. Bildrechte: MDR MEDIEN360G
Stilisierte Grafik zur ARD-Reform mit dem ARD-Logo am Haken eines Krans und einem grafisch dargestellten Baugerüst mit einem Bauarbeiter sowie Geldscheinen im Bildhintergrund. mit Video
Was soll der Öffentlich-Rechtliche leisten? Was soll er kosten? Darüber wird derzeit viel diskutiert. Dass es Reformbedarf gibt, das ist weitgehend Konsens. Nicht nur in der Politik, auch in den Rundfunkanstalten selbst. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G
Porträtfoto von Prof. Dr. Annika Sehl von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Im Interview mit MEDIEN360G spricht Prof. Dr. Annika Sehl von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt über ihre Aufgaben im Zukunftsrat. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Christine Blohmann/Die Hoffotografen, Berlin