Studierende schreiben für den MDR Nach Halle-Anschlag: Erinnerungsort Tekiez bangt weiter um Finanzierung
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19. März 2024, 18:33 Uhr
Der "Tekiez" in Halle hat mehrere Neuanfänge hinter sich: Durch den rechtsextremen Anschlag vom 9. Oktober 2019 wurde der ehemalige Dönerimbiss zum Tatort. Der Tatort wurde zum Frühstückscafé und das Frühstückscafé nun zum "Raum des Erinnerns und der Solidarität". Wie der Raum umgestaltet wurde und wie dort um das Erinnern gekämpft wird: ein Gastbeitrag einer Studentin aus Halle.
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Dieser Text ist im Rahmen des Projekts "Studierende schreiben" in Zusammenarbeit mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg entstanden.
- Der "Tekiez" in Halle hat wieder zweimal pro Woche geöffnet. Ehrenamtliche Unterstützer haben den Laden umgestaltet.
- Die Projektkoordinatorin Alma Roggenbuck berichtet von der mühevollen Arbeit um das Erinnern und wie sich ihr Verständnis von Solidarität geändert hat.
- Aktuell wird der "Tekiez" mit Geldern vom Bund gefördert. Doch seine Zukunft ist ungewiss.
Seit über einem halben Jahr hat der "Tekiez" in der Ludwig-Wucherer-Straße in Halle wieder regelmäßig geöffnet. Zweimal pro Woche stehen von 14 bis 17 Uhr die Türen offen, um Kaffee zu trinken, zu essen, sich auszutauschen, zu gedenken, zu trauern und zu erinnern. Dass dies an diesem Ort wieder möglich ist, ist das Ergebnis eines langen Kampfes der vorherigen Betreiber und Überlebenden, İsmet und Rıfat Tekin, ihrer Unterstützer und Unterstützerinnen und Hunderter Stunden ehrenamtlicher Arbeit.
Die Geschichte des "Tekiez" in Halle
- Am 9. Oktober 2019 verübte ein rechtsextremer Attentäter einen Anschlag in Halle und tötete dabei zwei Menschen. Unter den Angriffszielen befand sich auch der von den Brüdern İsmet und Rifat Tekin betriebene "Kiez-Döner".
- Die Brüder Tekin erkannten früh die Bedeutung dieses Ortes als Gedenkstätte für den Anschlag. Gemeinsam mit ihrer "Soli-Gruppe" gestalteten sie ihren Imbiss in ein türkisches Frühstückscafé um, das gleichzeitig als Gedenk- und Austauschort dienen sollte.
- Sechs Monate nach der Eröffnung im Mai 2022 musste das Café aufgrund finanzieller Schwierigkeiten erneut schließen. Durch eine Förderung der Beauftragen der Bundesregierung für Antirassismus konnte der "Tekiez" im Juni 2023 zwar nicht mehr als Frühstückscafé, stattdessen aber als "Raum des Erinnerns und der Solidarität", wiedereröffnet werden.
Ehrenamtliche gestalten "Tekiez" neu: "In jeder Ecke ein kleines Wunder"
Der "Tekiez" ist ein einladender Ort - das sehen Besucher und Besucherinnen schon durch die mit grünen Schriftzügen versehenen Schaufenster. In demselben Grünton erscheinen auch die Wände, welche, neben grob gemaserten Holzverkleidungen und großen Papierlampenschirmen, die Innenräume des Ladens prägen.
İsmet sagt immer, dass hier in jeder Ecke ein kleines Wunder steckt, weil hier wirklich alles mit solidarischer, ehrenamtlicher Arbeit geleistet wurde.
Alma Roggenbuck engagiert sich seit dem Anschlag im Jahr 2019 für den "Tekiez" und ist zusammen mit İsmet Tekin für die Projektkoordination zuständig. Sie erklärt: "Das Thema der Raumgestaltung war ein Ausflug in die Natur". Es sollte ein Raum abseits der Gewalt entstehen – ein Ort, an dem man sich wohlfühlen kann, ohne dabei die schrecklichen Ereignisse zu verschleiern, die dort stattgefunden haben. "İsmet sagt immer, dass hier in jeder Ecke ein kleines Wunder steckt, weil hier wirklich alles mit solidarischer, ehrenamtlicher Arbeit geleistet wurde."
Initiative in Halle ist bundesweit vernetzt
Die vielen Plakate und Flyer im Raum erinnern nicht nur an den Anschlag vom 9. Oktober, sondern betonen auch die Verbindung zu anderen Taten rechtsextremer Gewalt, in die sich der Angriff einreiht. So ist der "Tekiez" gut vernetzt mit anderen Initiativen, die sich gegen das Vergessen einsetzen, wie beispielsweise der "Initiative 19. Februar Hanau" – ein Zusammenschluss von Angehörigen der Opfer und Überlebenden des rassistischen Anschlags in Hanau, bei dem 2020 neun Menschen getötet wurden.
Erinnern ist auch immer ein Kämpfen darum, dass die Erinnerung überhaupt Raum bekommt.
"Erinnern ist auch immer ein Kämpfen darum, dass die Erinnerung überhaupt Raum bekommt", erzählt die Projektkoordinatorin Alma Roggenbuck. "Es gibt so viel, was sich da drüber schieben will. Es ist so leicht zu vergessen, für die, die es nicht direkt betrifft. Für die Überlebenden und Angehörigen bedeutet das etwas ganz anderes."
Der "Tekiez" bringt neues Verständnis von Solidarität
Neben verwelkten Rosen stehen eingerahmte Schwarz-Weiß-Fotografien der beiden Opfer des Anschlags von Halle, Kevin S. und Jana L., während an einer anderen Wand die Bilder von Angehörigen und Unterstützern des "Tekiez" hängen. Die farbenfrohen Fotos zeigen eine vielfältige Gruppe von Menschen, die lachen, sich in den Armen liegen und Freude ausstrahlen.
"Mein Verständnis von Solidarität ist hier an diesem Ort viel praktischer geworden, weil Solidarität hier auch immer bedeuten konnte, den Boden abzuschleifen, die Farbe von der Decke abzukratzen, Wände zu streichen oder Tische von A nach B zu tragen", erzählt Roggenbuck. Auch durch den heutigen Betrieb würden Menschen bei Veranstaltungen, beim Essen und Trinken oder einfach durch ihr Interesse, immer wieder dazu beitragen, dass der Ort und damit auch die Erinnerung an die beiden Opfer lebendig bleibt.
Die Unsicherheit bleibt
In der Mitte des Raums steht eine leere Kuchenvitrine – ein Überbleibsel aus jener Zeit, in der der Laden kurzzeitig ein türkisches Frühstückscafé war und jeden Monat um seine finanzielle Absicherung bangen musste. Dank der Unterstützung durch die Beauftragten der Bundesregierung für Antirassismus und den Friedenskreis Halle e.V. konnte der "Tekiez" im vergangenen Jahr mit neuem Konzept wiedereröffnen.
Alma Roggenbuck erklärt, dass nun, da der finanzielle Druck nicht mehr so stark sei, die Ressourcen in andere Vorhaben wie Bildungsveranstaltungen investiert werden könne. Außerdem müssten die Brüder Tekin nicht mehr jeden Tag selbst vor Ort sein. "Mit der Wiedereröffnung als Raum des Erinnerns und der Solidarität sind wir einen Schritt weitergegangen. Wir fangen hier gerade an, ganz neue Sachen aufzubauen", sagt Roggenbuck. Trotzdem bleibe die Zukunft des "Tekiez" unsicher. Die Förderung laufe nur bis zum Jahr 2025. Wie es danach weitergehe, sei noch unklar.
Roggenbuck: "Tekiez" braucht dauerhafte Unterstützung
"Erinnerungsarbeit ist auch eine öffentliche Aufgabe", betont Roggenbuck. Die Fördergelder der Bundesregierung gingen in die richtige Richtung, aber würden zu kurz greifen, um sicherzustellen, dass ein Ort wie dieser langfristig bestehen könne und nicht immerzu um sein Dasein kämpfen müsse. Dafür sei dauerhafte Unterstützung notwendig.
Trotzdem bleibt Alma Roggenbuck optimistisch: "Wir werden es irgendwie hinkriegen diesen Raum hier zu erhalten halten, egal wie. Den Raum wird es immer geben, solange sich Menschen dafür einsetzen."
Über die Autorin Rosalie Runge studiert seit Oktober 2023 den Master Multimedia und Autorschaft in Halle. Davor hat sie an der Technischen Universität Berlin Soziologie studiert und währenddessen in verschiedenen Film- und Fernsehproduktionen gearbeitet. Ihr langfristiges berufliches Ziel ist es, im Bereich des Dokumentarfilms tätig zu sein.
MDR (Maren Wilczek)
MDR SACHSEN-ANHALT
Maria A. vor 38 Wochen
Was sind denn rechte Seiten? Ich schalte einfach den Computer an und da kommt t- online mit Informationen. Und wenn YouTube was bringt, vertraue ich auch, dass es da eine Aufsicht gibt. Eben wirklich vielfältig informieren, Herr Tulpe.
Thommi Tulpe vor 38 Wochen
Lol. "Sicher" doch. Das Kind, spätestens der pupertierende Teenager raucht oder/ und kifft, weil sich "das Böse ... aus sich selbst" speist. Kinder ahmen zwecks ihrer Weiterentwicklung nicht das Verhalten von Erwachsenen nach, "Vorbildwirkung" von Eltern, Verwandtschaft und Freundeskreis auf bestimmte Verhaltens- und Lebensformen gibt es nicht.
In welcher Blase leben Sie denn?
Maria A. vor 38 Wochen
Dass dieser Attentäter dem Ausweis nach Deutscher war, ändert nichts an der Tatsache, dass in den meisten großen Städten im Westen Juden das Tragen der Kippa in gewissen Stadtteilen vermeiden wegen Verbalattacken und Schlimmerem.