Lokführer Kevin Steudner
Gelassen steuert der junge Lokführer Kevin Steudner seinen Regionaltriebwagen auf der Müglitztalbahn. Man merkt ihm nicht an, dass er erst seit drei Monaten als Lokführer arbeitet. Bildrechte: MDR/L. Müller

Großraum Dresden Quereinsteiger: Wie Lokführer Kevin Steudner die Personalmisere der Bahn lindert

12. September 2023, 12:36 Uhr

228 Lokführerinnen und Lokführer arbeiten für DB Regio am Standort Dresden. Klingt viel, ist aber zu wenig, um einen zuverlässigen Fahrplan zu gewährleisten. Fast täglich fallen einzelne Verbindungen aus, auf Monate hinaus gilt auf zwei S-Bahn-Linien ein eingeschränkter Fahrplan. Erst langsam trägt die Ausbildungsoffensive der Bahn Früchte. Kevin Steudner ist Quereinsteiger und seit drei Monaten Triebfahrzeugführer. MDR SACHSEN war mit ihm auf Strecke zwischen Heidenau und Altenberg unterwegs.

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Kevin Steudner ist gerade einmal 21 Jahre alt und wirkt doch schon wie ein alter Hase im Job, wenn er von seiner Arbeit als Triebfahrzeugführer auf den Dieselstrecken rund um Dresden erzählt. Dabei ist er nach einer elfmonatigen Umschulung erst seit einem Vierteljahr allein mit Fahrgästen auf Tour. Lokführer Steudner wirkt, als habe er seinen Traumjob gefunden und lässt sich auch von knapp gestrickten Fahrplänen und vielen Diensten wegen der Personalknappheit nicht wirklich aus der Ruhe bringen.

Zug störungsfrei - pünktliche Abfahrt

"Gleich kommt der Zug, wir müssen zum Bahnsteig", sagt der junge Mann in der Einsatzstelle Heidenau. Zuvor hat er noch ein vom Arbeitgeber gesponsertes Eis zum Abschluss seiner einstündigen Pause verdrückt. Es wird an diesem Montagmittag seine dritte Runde von Heidenau durch das durchaus romantische Müglitztal hinauf nach Altenberg im Osterzgebirge.

Der Dieseltriebwagen vom Typ Desiro (Baureihe 642) erreicht pünktlich Heidenau. Routiniert übernimmt Steudner von seinem Kollegen den Zug. Man kennt sich, der Kollege ist auch ein Quereinsteiger - augenscheinlich älter zwar als Steudner, aber aus demselben Kurs. Keine technischen Probleme, keine Störungen, Toilette und Klimaanlage funktionieren auch. Es kann pünktlich losgehen.

Der junge Lokführer macht den Führerstand mit geübten Handgriffen startklar und kontrolliert von außen, ob die beiden roten Lampen des Zugschlusssignals und das Dreilicht-Spitzensignal vorn am Triebwagen korrekt leuchten. Nach Anmeldung beim Fahrdienstleiter gibt es auch schon das grüne Ausfahrtssignal - kurz nachdem die letzten Umsteiger von der S-Bahn in die Regionalbahn eingestiegen sind.

Lokführer Kevin Steudner
Mit geübten Handgriffen bereitet Kevin Steudner seinen Zug vor. Bildrechte: MDR/L. Müller

Gemächliche Fahrt hinauf ins Osterzgebirge

Sanft setzt sich der rote Triebwagen in Bewegung und überquert in einer Rechtskurve auf einer Brücke sogleich die B172. Der Zug beschleunigt, wobei auf der Strecke eine maximale Höchstgeschwindigkeit von 70 Kilometern pro Stunde gilt - und das auch nicht durchgängig. Für die gut 38 Kilometer benötigen die Regionalbahnen planmäßig 53 Minuten. Dabei überwindet der Zug 637 Höhenmeter, durchfährt fünf Tunnel, überquert unzählige Brücken und windet sich oben im Gebirge ruckelnd durch Kurven mit engen Radien.

Während der meist gemächlichen Fahrt behält Lokführer Steudner die Strecke genau im Blick. An etlichen unbeschrankten kleinen Übergängen queren Wege oder Grundstückszufahrten die eingleisige Strecke. Mit Pfeiftönen kündigt sich der Zug jeweils an. Andreaskreuze verpflichten Fußgänger und Fahrzeugführer auf den Zugverkehr zu achten. Steudner weiß, dass er sich nie ganz darauf verlassen sollte und in der Ausbildung wurde der junge Lokführer auch auf Unfälle und mögliche Suizide vorbereitet.

Junger Lokführer geht gelassen mit seiner Verantwortung um

Schreckmomente habe er schon erlebt, erzählt Steudner auf Nachfrage. Es ärgert ihn, wenn Menschen an Bahnsteigen unvorsichtig sind, wenn Kinder unbedacht und dazu noch im Beisein von Erwachsenen nahe der Strecke spielen oder Leute ganz mutwillig vor dem Zug über die Gleise laufen. Einem renitenten Fahrgast habe er auch schon einmal die Mitfahrt untersagt, weil er uneinsichtig gewesen sei, sagt Steudner ernst. Anderseits freut es ihn, wenn Großeltern mit ihren Enkeln dem Zug zuwinken.

"Ich weiß, dass ich viel Verantwortung habe. Aber die hat ein Arzt auch. Ich mache mich da als Lokführer nicht wichtig. Das brauche ich nicht", sagt er. Sieht er sich ruhiger, besonnener und irgendwie erwachsener als seine Freunde im selben Alter? "Nein", betont er ganz klar. "Ein Kumpel arbeitet in der Pflege, ein anderer bei VW. Die übernehmen alle auch Verantwortung in ihren Jobs."

Bautrupps stutzen Vegetation

An diesem Spätsommertag sind mehrere Bautrupps entlang der Bahntrasse unterwegs, sie säubern Gräben und stutzen die Vegetation. Die Rotten - wie sie in Bahndeutsch heißen - sind zwar durch akustische sowie optische Signale und Sicherheitsleute vor herannahenden Zügen gewarnt, trotzdem passiert Steudner mit seinem Triebwagen die Bauarbeiter besonders aufmerksam. Aber alle sind an diesem Tag in sicherem Abstand und grüßen den Lokführer.

In Glashütte wartet schon der Gegenzug, es ist die einzige Ausweichstelle der Strecke und planmäßiger Kreuzungspunkt an Werktagen mit Stundentakt. Wegen einer technischen Störung am Zugleitsystem zur Absicherung des Bahnverkehrs auf der Strecke hat sich Steudner völlig unverschuldet mit seinem Zug einige Minuten Verspätung eingefangen.

Herausholen wird er die Zeit auf dem steilen Abschnitt hinauf ins Osterzgebirge nicht mehr, das weiß er. An diesem Tag wollen an fast allen Bedarfshaltepunkten Leute ein- oder aussteigen. Die Regionalbahn muss also überall anhalten - und alle Zeitreserven im Fahrplan sind aufgebraucht. Die Bahnstationen werden übrigens GPS-gesteuert automatisch angesagt.

Lokführer Kevin Steudner
Die Müglitztalbahn führt über eine idyllische Trasse vom Elbtal ins Osterzgebirge. Bildrechte: MDR/L. Müller

Grundschüler interessiert an der Arbeit des Lokführers

An einem der nächsten Haltebahnhöfe steigen Dresdner Grundschüler zu, die zu einem mehrtägigen Ausflug im Osterzgebirge weilen und neugierig versuchen, durch die Trennscheibe Lokführer Steudner über die Schultern zu schauen. Aus Sicherheitsgründen dürfen keine Fahrgäste in die Führerstände. Auch ältere Schüler auf der Heimfahrt vom Unterricht nutzen im Osterzgebirge den Zug. Sie warten vorbildlich hinter der Sicherheitslinie am Bahnsteig, bis die Regionalbahn steht. Nach kurzem Stopp schraubt sich der Zug noch von Geising über mehr als fünf Kilometer und gut 160 Höhenmeter der Endstation entgegen.

Steudner sagt, der Triebwagen fahre nun am Limit. Bei Steigungen von 30 Promille beschleunigen die zwei Motoren den Zug nicht weiter. Die verhältnismäßig vielen Fahrgäste und der Stromverbrauch der Klimaanlage an dem heißen Spätsommertag machen sich bemerkbar. Kurz zuvor musste der frischgebackene Lokführer wegen der engen Kurvenradien die Geschwindigkeit noch drosseln. Schließlich kommt die Regionalbahn mit fünf Minuten Verspätung in Altenberg an - laut Statistik der Deutschen Bahn also sogar pünktlich. Erst ab Minute 6 wird ein Zug als verspätet gewertet, weil ab diesem Wert Anschlüsse auf Knotenbahnhöfen als gefährdet gelten.

Die Müglitztalbahn Die Müglitztalbahn ist nach dem Fluss Müglitz benannt, dessen Tal die Trasse weitestgehend folgt. Sie führt von Heidenau im Elbtal hinauf nach Altenberg im Osterzgebirge. Gebaut wurde die Strecke als Schmalspurbahn und 1890 in Betrieb genommen. Eine geplante Verlängerung nach Moldava (Moldau) wurde nie umgesetzt. Zwischen 1935 und 1938 wurde die Strecke auf teilweise neuer Trasse auf die Normalspur umgebaut. Zwischen 1897 und 2002 haben Hochwasser die Strecke mehrfach stark beschädigt und sie wurde immer wieder aufgebaut. Aktuell hat der Verkehrsverbund Oberelbe montags bis freitags einen Stundentakt bestellt, an Wochenenden fahren die Regionalbahnen alle zwei Stunden. Zudem gibt es an Wochenenden von Dresden bis Altenberg saisonale Regionalexpresse für Wanderer und Wintersportler. Die Regionalbahnen nutzen unter anderem viele Pendler von und zu den Manufakturen der Uhrenindustrie in Glashütte. Güterverkehr spielt mit Ausnahme des Anschlusses zur Fluorchemie in Dohna keine Rolle mehr.

Unterstützung vom Chef bei der Kurzwende in Altenberg

Planmäßig hat der Lokführer in Altenberg sieben Minuten Wendezeit bis zur Rückfahrt nach Heidenau. Das ist ziemlich sportlich. Weil an diesem Tag Teamleiter Oliver Beitelmann, ein erfahrener Eisenbahner, mit im Zug ist, klappt trotz der Verspätung die pünktliche Abfahrt. Beitelmann hat gleich nach Ankunft in Altenberg den zweiten Führerstand für die Rückfahrt fertig gemacht und Lokführer Kevin Steudner damit tatkräftig unterstützt. Pünktlich geht es zurück.

Unterwegs entdeckt der Lokführer noch einen ziemlich schiefen Baum zwischen Kilometer 37,1 und 37,2, der beim ersten Herbststurm auf die Gleise stürzen könnte. "Den müssen wir melden und darauf achten, dass er auch rechtzeitig entfernt wird", sagt Steudner.

Lokführer Kevin Steudner
Für den Termin mit MDR SACHSEN ist Teamleiter Oliver Beitelmann gemeinsam mit Nachwuchslokführer Kevin Steudner im Zug. Der Chef muss vor allem Dienstpläne am Handy managen, der Personalmangel ist allgegenwärtig. Bildrechte: MDR/L. Müller

Kevin Steudner ist in der Oberlausitz nahe Löbau aufgewachsen. Sein kleiner Umweg zur Eisenbahn war eine Mischung aus Zufall und Plan, sagt er. Mit 16 wollte er noch nicht von Zuhause wegziehen und hat zunächst eine Lehre zum Werkzeugmechaniker in Seifhennersdorf erfolgreich abgeschlossen - wohlwissend, dass es nicht sein Traumjob ist. Mit dem Beruf des Lokführers habe er schon lange geliebäugelt. "Ich habe verschiedene Jobangebote geprüft. Bei der Deutschen Bahn hat mich überzeugt, dass ich auch schon während der Ausbildung ein gutes Gehalt bekommen habe", sagt der Oberlausitzer.

An der Eisenbahn interessiert - aber kein Bahnfreak

Zwei Jahre hat er sich vertraglich an den Konzern gebunden, an Wechsel denkt aber derzeit sowieso nicht. Wer glaubt, jeder Lokführer sei eingefleischter Bahnfreak wird von Steudner eines Besseren belehrt. Er sei zwar schon seit Kindesbeinen an von der Eisenbahn fasziniert, stand aber nie in seiner Freizeit stundenlang an Bahnstrecken und ist nicht den Dampfloks hinterher gereist. Er hat noch nicht einmal ein H0-Modell seines Arbeitsplatzes zu Hause in der Vitrine. Nach Feierabend müsse es auch mal gut mit der Eisenbahn sein, meint er.

Berufseinstieg auf Dieseltriebwagen

Zunächst ist Steudner für das Dieselnetz rund um Dresden geschult, fährt die Desiro-Triebwagen zwischen Dresden und Kamenz, Dresden und Königbrück, Heidenau und Altenberg sowie Pirna und Sebnitz über Neustadt. "Das finde ich optimal. So komme ich erst einmal richtig im Job an, bevor es später auf die E-Loks der S-Bahnen und auf den RE50 nach Leipzig geht."

Was noch aussteht: Seine Eltern und Großeltern haben es bislang noch nicht geschafft, als Fahrgäste bei ihm einzusteigen. Aber das sei natürlich geplant. Inzwischen hat der junge Lokführer mit seiner Regionalbahn wieder die Niederung der Elbe erreicht. Ein Gruß an den Fahrdienstleiter im Stellwerk Dohna, ein kurzer Halt in der Kleinstadt - und nach wenigen Minuten kommt er zum dritten und letzten Mal an diesem Tag in Heidenau an. Die Ablösung wartet schon. Für Steudner stehen nun der Feierabend und ein freier Tag an. In seinen nächsten Diensten fährt er dann von Dresden aus mit dem Dieseltriebwagen nach Königsbrück und Kamenz.

Lokführer Kevin Steudner
Blick zurück: Kevin Steudner ist über einen geplanten Umweg zum Lokführer-Job gekommen. Bildrechte: MDR/L. Müller

Personalmangel bei DB Regio in Dresden

Trotz Quereinsteigern wie Kevin Steudner gelingt es DB Regio nicht, alle notwendigen Dienste auf den Loks und Triebwagen zu besetzen. Teamleiter Oliver Beitelmann will sich auch nicht festlegen, ab wann das wieder möglich sein wird. Reisende müssen sich insbesondere auf der S1 und der S2 sowie in den Regionalbahnen Pirna - Neustadt - Sebnitz auf Einschränkungen im Fahrplan einstellen.

Lokführer Kevin Steudner
Zwei Quereinsteiger aus der Oberlausitz: Kundenbetreuerin Janine Wolf und Lokführer Kevin Steudner hatten gemeinsam Dienst auf der Müglitztalbahn. Bildrechte: MDR/L. Müller

Bei DB Regio in Dresden sind nach Konzernangaben aktuell 228 Lokführende beschäftigt, darunter fünf Frauen. Laut Teamleiter Beitelmann sind in diesem Jahr 37 neue Triebfahrzeugführende eingestellt worden - 16 ausgebildete Lokführer wechselten von anderen Eisenbahnunternehmen oder anderen DB-Konzerntöchtern zu DB Regio in Dresden, neun Quereinsteiger schlossen ihre Umschulung ab und zwölf junge Leute absolvierten ihre Erstausbildung erfolgreich.

Aktuell befinden sich 40 Frauen und Männer für DB Regio in Ausbildung oder Umschulung. Um den Personalbestand schneller zu erhöhen, haben sich zwei von ihnen bereit erklärt, ihre theoretische Ausbildung in Erfurt zu absolvieren. DB Regio unterstützt deren Engagement mit Anmietung einer Ferienwohnung.

Quereinsteiger bei der Deutschen Bahn werden bereits während der Umschulung fest angestellt. Das Mindestalter für Lokführerinnen und Lokführer beträgt 20 Jahre, ein Höchstalter nennt die Deutsche Bahn auf Nachfrage nicht.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Dresden | 12. September 2023 | 11:30 Uhr

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