Ein Mann in einem Löschwagen-Fahrzeug
Das Lebensprojekt von Frank Sicker befindet sich auf dem Flugplatz von Großenhain, wo Rheinmetall eine Fabrik hinbauen könnte. Doch er hat auch Angst, vor dem was da gebaut werden soll. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Industrie Geplante Pulverfabrik: Angst in Großenhain

12. Juni 2023, 05:00 Uhr

Auf dem Flugplatz in Großenhain könnte eine Pulverfabrik gebaut werden. Seit dieser Nachricht sind Einwohner der Stadt verunsichert. Sie befürchten, dass ihre Stadt möglicherweise zur Zielscheibe russischer Attacken werden könnte.

Eine Pulverfabrik könnte auf dem Flugplatz bei Großenhain gebaut werden. Bis zu 800 Millionen Euro wolle der Rüstungskonzern Rheinmetall investieren, heißt es. Seit Ende März die Nachricht bekannt wurde, geht die Angst um in der Kreisstadt im Landkreis Meißen. "Wer hat gerne eine Sprengstoffbude vor der eigenen Haustür?", fragt Frank Sicker. Der Mann mit den stahlblauen Augen sitzt in einem frisch restaurierten Löschwagen, dessen Rot in der Sonne leuchtet. Es ist 50 Jahre alte sowjetische Technik, die Sicker über marode Betonbahnen steuert. Sein Lebensprojekt: Auf dem alten Militärflugplatz in Großenhain ist er seit über zwei Jahrzehnten bei der Freiwilligen Flugplatz-Feuerwehr.

Ein Löschfahrzeug mit einem Wasserwerfer
Eine alter Löschwagen mit sowjetischer Technik - frisch restauriert von den Kameraden der Freiwilligen Flugplatz-Feuerwehr Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Wo heute kleine Propeller-Flugzeuge abheben, starteten früher Düsenjäger der sowjetischen Streitkräfte. Ein streng bewachter Militärflugplatz, auf dem zeitweise sogar Kernwaffen stationiert gewesen sein sollen. Nun könnte ein großes Werk auf dem Flugplatz entstehen – für chemische Vorprodukte von Munition, die die Bundeswehr dringend benötigt.

Sachsen will Industrie und Betriebe auf dem Flugplatz

"Es war ja schon immer klar, wenn hier mal ein Betrieb herkommt oder Großindustrie, dann müssen wir den Flugplatz räumen", sagt Sicker und streicht mit der Hand langsam über das schwarze Leder der Sitzbank im Löschwagen-Cockpit. Dann hebt er den Kopf wieder: "Aber man kann sich halt nicht dagegen wehren, egal ob das jetzt die Pulverfabrik ist oder irgendeine andere große Industrie."

Ein Militärhubschrauber auf einem Flugplatz
Das Leben in Großenhain ist lange durch den Flugplatz geprägt worden. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Seit Jahren saniert der Freistaat Sachsen – dem das Gelände seit dem Abzug der sowjetischen Truppen gehört – den Flugplatz. Kerosin verseuchter Boden, Munitionsreste und Granaten. Über 34 Millionen Euro sind in die Sanierung geflossen. Die Vision: Einen Investor finden – für eins der potenziell größten Industriegebiete Ostdeutschlands. Die Suche war bislang ergebnislos. Jetzt könnte eine Pulverfabrik von Rheinmetall kommen.

"Da gibt es bestimmt bessere Standorte, die auch ein bisschen abgelegener sind von einer Stadt oder einem Ort, wo man es auch hinbauen könnte", findet Sicker, der in Großenhain wohnt. Die Stadt mit fast 20.000 Einwohnern liegt gleich neben dem Flugplatz. Von diesem wurde das Leben in Großenhain lange geprägt.

Einige haben große Bedenken wegen der Fabrik

An den ohrenbetäubenden Lärm der sowjetischen Düsenjäger erinnert sich Armin Benicke noch gut – und an die ständige Sorge, dass etwas passieren könnte. Der Rentner wohnt seit 40 Jahren in der Stadt. Jetzt sei die Angst zurück: "Wissen wir, was passieren würde, wenn ein Funke das zur Zündung bringt. Natürlich haben wir Angst, wirklich Angst." Benicke hat Angst vor einer existenziellen Zerstörung. Er hat mitverfolgt, was die massive Explosion in der libanesischen Hauptstadt angerichtet hat. Im August 2020 detonierten Tausende Tonnen Ammoniumnitrat – was zur Herstellung von Sprengstoff verwendet werden kann – und legten den Hafen von Beirut sowie Teile der Stadt in Schutt und Asche.  

Benicke war in der DDR als NVA-Offizier zuständig für Zivilverteidigung und Katastrophenschutz. "Mich interessiert jetzt mal, wie weit bin ich denn jetzt mit meinem Grundstück vom Großenhainer Flugplatz entfernt", sagt er. "Zwei Kilometer Abstand. Das ist nicht viel. Das ist null. Wir sprechen über eine Pulverfabrik."

Und wenn ich nun kein Krankenhaus mehr habe, wie kann ich dann da so eine Pulverfabrik installieren wollen.

Armin Benicke wohnt in Großenhain

Hinzu komme: In Großenhain gibt es kein Krankenhaus mehr. "Und wenn ich nun kein Krankenhaus mehr habe, wie kann ich dann da so eine Pulverfabrik installieren wollen", findet Benicke. "So elementar wichtige Dinge muss man doch einfach mitbedenken und mitwissen."

Über konkrete Pläne ist bislang wenig bekannt

Das Stadtzentrum von Großenhain ist zwei Kilometer vom Flugplatz entfernt. Die nächstgelegene Wohnsiedlung nur 266 Meter. Reicht das aus? Es gebe keinen fixen Mindestabstand bei einer Pulverfabrik. Das hänge von der Größe und zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen ab, erklärt der Sachverständige für Störfallvorsorge, Hans-Joachim Uth. "Dass man Gebäude baut, die bei der Explosion nachgeben. Dass man Erdwälle aufwirft, mit denen Explosionsdruckwellen abgelenkt werden, und solche Sachen."

Der Experte ergänzt: "Ein anderes Problem, die eigentlichen Ausgangsstoffe für die Produktion von Sprengstoffen. Das sind ja chemische Stoffe, die über ein explosionsfähiges Potenzial, oft auch über ein toxisches Potenzial verfügen." Bislang ist nichts darüber bekannt, welche Kampfstoffe und in welchen Mengen Rheinmetall produzieren will.

Befürchtungen: technische Störfälle, Cyber-Attacken oder russische Raketen

In der Stadt kommen offenbar keine Informationen darüber an – weder vom Bund, noch vom Land oder von Rheinmetall. Den ehrenamtlichen Stadtrat Mike Preibisch, der als Parteiloser für die CDU-Fraktion im Rathaus sitzt, bedrückt das. In sein Mobilfunkgeschäft kämen die Kunden und fragten: Was könnten Sie gegen die Pulverfabrik tun. Preibisch versucht die Bürger dazu zu bewegen, dass sie erstmal abwarten. Denn: "Am Ende ist es gar nicht so schlimm. Wir wissen es nicht, weil nichts kommt."

Die ausbleibende Kommunikation hat Preibisch nun in einem offenen Brief an den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) scharf kritisiert. Zusammen mit 15 Stadträten aus fast allen Parteien. Die Großenhainer haben Angst, schreiben sie. Vor technischen Störfällen, Cyber-Attacken oder gar russischen Raketen.

Chancen: Viele Arbeitsplätze und Steuereinnahmen

Von solchen Horrorszenarien hält der sächsische Landtagsabgeordnete Sebastian Fischer (CDU) nichts: "Im Falle eines Angriffskrieges haben wir etwa in der Ukraine gesehen, dass man zuerst die Hauptstadt attackiert." Fischer hat selbst beim Bund gedient, ist Reservist der Marine und kennt den Munitionsmangel bei der Bundeswehr. Auch deswegen sei die Ansiedlung dieses Standortes um so wichtiger. Außerdem sieht er Chancen für die Region: Viele Arbeitsplätze und Steuereinnahmen, von denen die Großenhainer profitieren würden.

Die Gerüchte um die Ansiedlung kursieren bereits seit zweieinhalb Monaten. "Noch ist nichts entschieden: Gibt es den Flugplatz weiterhin?", sagt Feuerwehrmann Sicker. Er hofft, dass die Kameraden da bleiben können und versucht sich keine Gedanken zu machen. "Ich weiß nur eins: Der Herr Putin kennt den Flugplatz. Der war hier. Der weiß hier, wo er ist. Da brauchen wir uns nichts vormachen."

Quelle: mpö

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 07. Juni 2023 | 20:15 Uhr

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