FIDO-Verfahren Mafia in Thüringen: Der Gastwirt und der Richter

29. April 2022, 05:00 Uhr

Hatte die italienische Mafia in Erfurt Kontakte in die Thüringer Justiz? Interne Dokumente legen diesen Verdacht nahe. Es geht um einen Amtsrichter, einen mutmaßlichen Mafioso und einen Anruf, der Fragen aufwirft. Unter anderem könnten Dienstgeheimnisse verraten worden sein.

Im Juni 2001 scheint Salvatore Molinari (*Name geändert) etwas Dringendes klären zu müssen. Drei Mal ruft der italienische Gastwirt beim Amtsgericht Erfurt an, um mit Richter Thomas Meier (*Name geändert) zu sprechen. Weil er ihn im Büro nicht erwischt, probiert Molinari, den Richter auch zu Hause telefonisch zu erreichen.

Erst beim fünften Versuch geht Richter Meier ans Telefon, die zwei verabreden sich am Nachmittag in Molinaris Restaurant in der Erfurter Innenstadt. Bereits am Vortag war der Richter in jenem Lokal zu Gast.

BKA hört Telefone in "FIDO" ab

Molinari weiß nicht, dass seine Telefone abgehört werden. Zu diesem Zeitpunkt im Juni 2001 ist er Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Gera mit dem Decknamen "FIDO". Der Verdacht: Molinari und weitere sechs Italiener in Erfurt sollen der kalabrischen Mafia ‘Ndrangheta angehören und mit Drogen handeln.

Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA) schneiden daher auch das Gespräch zwischen Molinari und Meier mit. Der Gastwirt, der der Mafia nahestehen soll, und der Amtsrichter. Was bringt sie zusammen?

Kontakte zwischen Justiz und Mafia?

Im Laufe des Verfahrens "FIDO" sollen Ermittler Hinweise gesammelt haben, die nahelegen, dass mutmaßliche ‘Ndrangheta-Mitglieder enge Kontakte in Justiz und Verwaltung in Thüringen pflegten. MDR und die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) hatten das Verfahren "FIDO" 2021 öffentlich gemacht.

Zurzeit versucht ein Untersuchungsausschuss im Thüringer Landtag zu rekonstruieren, ob und welche Kontakte es tatsächlich gegeben haben könnte. Bei einer Sitzung im Januar dieses Jahres hatte eine ‘Ndrangheta-Expertin des BKA bestätigt, dass im Laufe des "FIDO"-Verfahrens auch Kontakte zwischen einem Erfurter Amtsrichter und einem italienischen Gastwirt bekannt geworden waren.

MDR und FAZ konnten nun Einblick in Ermittlungsunterlagen nehmen und ein Treffen zwischen Richter Thomas Meier und dem Gastwirt Salvatore Molinari rekonstruieren. Brisant dabei: Unter anderem steht der Verdacht des Geheimnisverrats im Raum.

Drogenverfahren gegen italienischen Gastwirt

Um zu verstehen, warum Molinari im Juni 2001 Richter Meier treffen möchte, muss man die Zeit um einige Jahre zurückspulen. 1997 ermittelt der Zoll Saarbrücken gegen den usbekischen Geschäftsmann Valerij E. Die Ermittler befragen mehrere Zeugen. Und die rücken Molinari ins Blickfeld. Molinari und Valerij E., erzählt eine Zeugin, hätten sich 1994 über eine Prostituierte kennengelernt. Molinari sei damals Inhaber eines Restaurants in Duisburg gewesen.

Beide Männer, so die Zeugin, sollen mit Drogen zu tun haben. Auf Basis dieser und weiterer Aussagen eröffnet die Staatsanwaltschaft Saarbrücken ein Verfahren gegen Molinari. Weil dieser mittlerweile in Erfurt lebt, übergeben die Saarländer den Fall nach Thüringen an die für Organisierte Kriminalität zuständigen Staatsanwaltschaft Gera und deren OK-Leiter, Staatsanwalt Steffen Flieger. Im Mai 2001 erhebt die Staatsanwaltschaft Gera Anklage gegen Molinari. Der Vorwurf: Drogenhandel und Drogenbesitz.

Mutmaßlicher Mafioso ruft Amtsrichter an

Es vergeht ein Monat, nachdem die Staatsanwaltschaft Erfurt Anklage gegen Molinari erhoben hat, als dieser zum Telefon greift und Richter Thomas Meier anruft. Am Nachmittag des 12. Juni 2001 trifft Molinari diesen in seinem Restaurant in der Innenstadt. Von hier aus ruft Richter Meier bei dem Erfurter Anwalt Hans-Jochen Spilker an - mit dem Mobiltelefon Molinaris, das zu diesem Zeitpunkt vom BKA abgehört wird. Der Richter bittet den Anwalt um "vertrauensvolle Hilfe" für einen Freund. Gemeint damit ist Molinari.

Der Richter fasst die Fakten kurz zusammen: Eine Anklage sei erhoben worden, es gäbe Zeugenaussagen, die seien allerdings "sehr dubios". Und er kommt schnell zum Punkt: Molinari brauche eine "fundierte Beratung". Er selber könne sie "aus naheliegenden Gründen" nicht leisten. Das Ganze sei eine "heiße Geschichte", denn wenn die Sache in Erfurt angeklagt werde, "sieht das nicht gut aus". Mit einer guten Beratung, glaubt aber der Richter, könne man "den Ochsen schon im Eröffnungsverfahren wahrscheinlich zum Einstürzen bringen".

Dann ist es Rechtsanwalt Spilker, der etwas Heikles in den Raum stellt: "Also, ich weiß, dass sein Lokal überwacht worden ist. Nicht?". "Ja, ja", bestätigt der Richter. Und fügt dann noch hinzu "nicht wegen ihm, wegen anderer". Es ist nur eine kurze Antwort, die mögliche weitreichende Konsequenzen haben kann. Denn es steht die Frage im Raum: Hat Richter Meier damit ein Dienstgeheimnis verraten?

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Zwei Jahre lang spürten Ludwig Kendzia und Axel Hemmerling der 'Ndrangheta nach; Sie trafen Ermittler und reisten nach Italien. Wie man gegen die Mafia recherchiert, erzählen sie im Interview mit Andreas Kehrer.

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Verrat von Dienstgeheimnis?

Es ist unklar, ob er zu diesem Zeitpunkt vom Ermittlungsverfahren "FIDO" wusste. Unklar ist auch, von wem er erfahren hat, dass Molinaris Restaurant offenbar unter polizeilicher Überwachung stehen soll. Es sind alles Fragen, die man im Laufe eines Ermittlungsverfahrens hätte klären können.

Vor dem Mafia-Untersuchungsausschuss im Januar dieses Jahres sagte die BKA-Expertin aus, die Erkenntnisse damals an die Staatsanwaltschaft Gera weitergegeben zu haben. Diese ermittelte in Sachen "FIDO". Doch ob die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Richter Meier aufnahm oder ob gegen ihn ein disziplinarisches Verfahren lief, bleibt bis heute unklar.

Amtsrichter will sich nicht äußern

Steffen Flieger, inzwischen Chef der Staatsanwaltschaft Gera, ließ einen Fragenkatalog von MDR und FAZ zu dem Richter-Fall mit Verweis auf "das laufende Verfahren vor dem Untersuchungsausschuss" unbeantwortet. Das Thüringer Justizministerium gab auf Anfrage bekannt, man sei über das Gespräch zwischen dem Richter und dem Gastwirt zu "FIDO"-Zeiten nicht informiert worden.

Auf die Frage, ob das Ministerium nach dem Auftritt der BKA-Beamtin vor dem Untersuchungsausschuss die Eröffnung eines Disziplinarverfahrens aktuell in Erwägung ziehe, antwortete das Ministerium, das die Aussagen der Expertin auf abgehörten Gesprächen basieren würden und "deren Verwendung zu Zwecken der Prüfung der Einleitung eines Disziplinarverfahren ist nicht zulässig." Gastwirt Molinari ist 2018 verstorben.

Und Richter Meier selbst? Er ließ über seinen Anwalt Ulrich Endres ausrichten, dass er bei einer eventuellen Einladung vor dem Untersuchungsausschuss erscheinen "und entsprechend auf Fragen Rede und Antwort stehe", aber dass er keinesfalls die Fragen von MDR und FAZ beantworten werde. Auch Rechtsanwalt Spilker will sich aus Gründen seiner Pflicht zur Verschwiegenheit nicht zu dem Fall äußern.

Geld ging an Landessportbund

Und wie ging das Verfahren gegen Molinari aus? Nach regem Austausch zwischen der Staatsanwaltschaft Gera, dem Amtsgericht Erfurt und Molinaris Rechtsanwalt Spilker wurde das Verfahren eingestellt. Rechtsanwalt Spilker hatte Amtsgericht und Staatsanwaltschaft signalisiert, dass Molinari zur Zahlung einer Geldauflage bereit wäre.

In einem Schreiben an das Amtsgericht Erfurt hatte Rechtsanwalt Spilker den Landessportbund Thüringen e.V. als einen der möglichen Empfänger dieser Geldauflage eingegeben. "Die Arbeit der gemeinnützigen Thüringer Sportvereine ist unseres Erachtens die effektivste Prophylaxe dagegen, dass die Kinder und Jugendlichen auf die "schiefe Bahn" geraten", schrieb der Rechtsanwalt im November 2001.

Tatsächlich beschloss das Amtsgericht Erfurt die Zahlung von insgesamt 14.000 DM an verschiedene Einrichtungen. 6000 DM gingen an den Landessportbund Thüringen e.V. Dessen Vizepräsident war zu diesem Zeitpunkt: Rechtsanwalt Hans-Jochen Spilker.

MDR

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 29. April 2022 | 19:00 Uhr

1 Kommentar

Ralf G am 30.04.2022

Es gab Dokumentationen, nach denen die Ndrangheta ihre Deutschland-Zentrale in Erfurt hat und von da aus selbst über die Grenzen hinaus die Fäden zieht. Thüringens Politiker scheint das noch nie beunruhigt zu haben. Immer mehr Gastronomiebetriebe gehen in italienische Hand. Recherchen der Medien werden mit Hilfe der Justiz abgeblockt. Ich hoffe, der Einfluss der Mafia reicht nicht schon bis ins Parlament. Sicher wäre ich mir da nicht.

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