Jemand hält ein Kartenlesegerät.
Karte statt Cash für Flüchtlinge? Diese Frage wird in Berlin und in den Bundesländern diskutiert. Bildrechte: imago images/Shotshop

Migrationspolitik Geldkarte statt Bargeld für Flüchtlinge? Ein Vorstoß aus Ostthüringen

27. Oktober 2023, 11:58 Uhr

Kein oder kaum noch Bargeld sollen Asylbewerber künftig erhalten - so sehen es Pläne vor, die auch in Thüringen diskutiert werden. Bis bundesweite Regeln für eine Bezahlkarte gefunden sind, könnte es dauern. Der Landkreis Greiz möchte nicht so lange warten.

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Das, was Martina Schweinsburg kurz als Handyfoto zeigt, sieht aus wie eine gewöhnliche Sparkassenkarte - ist aber keine. Geht es nach der CDU-Landrätin des Landkreises Greiz, die zugleich Präsidentin des Thüringischen Landkreistags ist, könnten manche Geflüchtete ab Januar 2024 mit dieser Karte in Geschäften zahlen. Bargeld abheben geht damit nicht.

In wenigen Wochen beginnt laut Schweinsburg ein Testlauf im Landkreis Greiz. Bis zum Jahreswechsel soll gesichert sein, dass Besitzerinnen und Besitzer der Karte auch an Supermarktkassen im benachbarten Sachsen kein Bargeld erhalten. Ebenfalls nicht möglich: Überweisungen ins Ausland.

Länder fordern Bezahlkarte für Flüchtlinge

Der Landkreis Greiz würde damit einer Idee vorweggreifen, die von der vergangenen Ministerpräsidentenkonferenz gefordert wurde: eine bundesweit einheitliche Bezahlkarte für Geflüchtete. Der Bund solle "zeitnah" die Voraussetzungen dafür schaffen, hieß es vor zwei Wochen in Frankfurt am Main.

Hinter dem Konzept "Bezahlkarte statt Bargeld" stehen verschiedene Überlegungen. Laut Thüringer Migrationsministerium könnte es "Verwaltungsabläufe in den Erst- und Gemeinschaftsunterkünften erleichtern". Zudem würde es Bürokratie reduzieren.

Die Idee zielt aber auch auf die Abschreckung von Asylbewerbern - was unter anderem von der CDU-geführten Landesregierung in Sachsen deutlicher ausgesprochen wird als im rot-rot-grünen Thüringen.

Die Greizer CDU-Landrätin Schweinsburg vertritt eine ähnliche Position: Bargeld sei ein Pull-Faktor, also ein Anreiz für Deutschland als Fluchtziel. Zudem würden Flüchtlinge Teile des bisher ausgezahlten Bargelds oftmals in ihre Heimatländer schicken, etwa um Schlepper-Rechnungen zu begleichen. Bezahlkarten könnten dies unterbinden.

Flüchtlingsrat kritisiert Bezahlkarten-Idee

Der Verein Flüchtlingsrat Thüringen - ein Zusammenschluss von Flüchtlingshelfern, Gewerkschaften und Kirchen - sieht in der Ausgabe von Bargeld hingegen keinen Anreiz für flüchtende Menschen. Pull-Faktoren seien vielmehr die Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit und die Wahrung von Menschenrechten.

Bezahlkarten würden "eine unzulässige Stigmatisierung von geflüchteten Menschen" bedeuten. Zudem habe das Bundesverfassungsgericht 2010 entschieden, dass zum Existenzminimum auch ein Minimum an sozialer Teilhabe gehöre. Laut Flüchtlingsrat können Bezahlkarten das nicht gewährleisten.

Karte mit Funktion zum Geldabheben

Die Vorteile eines Kartensystems hebt Mirjam Kruppa, Flüchtlingsbeauftragte beim Thüringer Migrationsministerium, hevor: "Bürokratischer Aufwand der Verwaltung wird massiv gemindert und die Geflüchteten müssen nicht immer ihr Geld für einen Monat in bar mit sich herumführen."

Das aktuelle Verfahren, die Leistungen in bar auszuzahlen, ist für alle Beteiligten unnötig, umständlich und aufwendig.

Juliane Kemnitz Flüchtlingsrat Thüringen

Laut Kruppa arbeitet das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen seit Jahren mit entsprechenden Prepaid-Karten. "Die Praxistauglichkeit einer solchen Karte ist tausendfach bewiesen", sagt sie und verweist auf Flüchtlingslager in Griechenland und Jordanien. Wichtig sei aber, ob und welche Nutzungseinschränkungen für die Geflüchteten in Thüringen damit einhergehen. Die Karte dürfe nicht für bestimmte Geschäfte oder Produkte sperrbar sein. Und: eine Bargeldabhebung müsse generell möglich sein.

Unter diesen Voraussetzungen würde auch der Flüchtlingsrat ein Kartensystem begrüßen. Denn: "Das aktuelle Verfahren, die Leistungen in bar auszuzahlen, ist für alle Beteiligten unnötig, umständlich und aufwendig."

zum Aufklappen: Gesetzliche Leistungen für Asylbewerber

Geflüchtete, die in Deutschland um Asyl bitten, erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die Sätze sind niedriger als das Bürgergeld. Davon wird je nach Unterbringungsart nur ein Teil bar ausgezahlt. In zentralen Aufnahmeeinrichtungen oder Sammelunterkünften sind der Großteil Sachleistungen zur Unterbringung, Ernährung, Heizung, Hygiene, Kleidung.

Vom Regelsatz 410 Euro für einen alleinstehenden Asylantragsteller werden 182 Euro für den Eigenbedarf bar ausgezahlt. Sachleistungen und Taschengeld verringern sich für Partner, weitere erwachsene Haushaltsangehörige sowie Kinder je nach Alter.

Kommunen dürfen laut Thüringer Migrationsministerium auch Sach- statt Geldleistungen an Asylbewerber ausgeben. Dass dies kaum eine Kommune so praktiziert, hänge mit dem hohen Verwaltungsaufwand zusammen.

Bezahlkarte für 16.000 Menschen in Thüringen

Betroffen vom Bezahlkarten-System wären in Thüringen alle Menschen, die als Geflüchtete Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz haben. In Thüringen sind das laut Migrationsministerium derzeit rund 16.000 Personen. Diese kommen den Angaben zufolge "aus den unterschiedlichsten Ländern, vor allem aus Syrien, Afghanistan, dem Irak oder der Türkei".

Erwerbsfähige Menschen aus der Ukraine erhalten aktuell Bürgergeld und fallen in der Regel nicht unter das Asylbewerberleistungsgesetz. Mehrere Landkreise in Deutschland fordern aktuell jedoch Leistungskürzungen auch für Ukrainerinnen und Ukrainer.

Es dürfte dauern, bis alle politischen, juristischen und technischen Fragen rund um eine mögliche Bezahlkarte für Geflüchtete auf Bundesebene geklärt sind. Laut Thüringer Migrationsministerium sind die Überlegungen dazu "noch im Fluss". Die Greizer Landrätin Martina Schweinsburg will nicht so lange warten: "Wir möchten damit starten, bevor die irgendwann aus dem Quark kommen."

MDR (mm)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 16. Oktober 2023 | 12:35 Uhr

224 Kommentare

Anita L. vor 27 Wochen

@Erichs Rache, an welcher Stelle sprechen Thommi Tulpe oder Svenja Schulze davon, dass Deutschland "alles 'im eigenen Land herstellen'" solle? Auch besteht ein gravierender Unterschied zwischen Ihren "Produktionsstandorte[n] mit niedrigeren Produktionskosten" und den "Löhnen", die Thommi Tulpe zu Recht kritisiert, zu denen für unsere bequemes Leben "gearbeitet wird", ganz einfach, weil sie "in diesen Ländern nicht zum Leben reich[en]" und die den Namen "Lohn" deswegen nicht wert sind.

Anita L. vor 27 Wochen

@Erichs Rache, ich muss jetzt keine Liste erstellen, was alles ich unter "billig kaufen" subsummiere. Seien Sie versichert, dass mein Urlaub nicht mit Billigflug auf Malle stattfindet und es Südfrüchte bei uns genau zweimal im Jahr gibt, bezogen von einer Kooperative in Italien.

Erichs Rache vor 27 Wochen

Über 203 Kommentare, wenn im Artikel auch nur irgendwo das Triggerwort "Flüchtling" auftaucht ... wenn´s aber um eigene Interessen von Thüringern und Thüringerinnen geht, dann brüllen die Kommentarspalten vor gähnender Leere.


Man, man, man ... :-)

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