Euro-Scheine werden in der Hand gehalten
Fragwürdige Rechnung: Bedeutet weniger Bargeld auch weniger Asylbewerber in Deutschland? Bildrechte: picture alliance / dpa

Migration Pro und Kontra: Bargeld oder Bezahlkarten für Asylbewerber?

13. Oktober 2023, 11:29 Uhr

Asylbewerbern in Deutschland stehen je nach Alter bis zu 182 Euro Taschengeld pro Monat zu. Dazu kommen Sachleistungen, die teils als Bargeld ausgezahlt werden. Die Bargeldzahlungen sind angeblich so attraktiv, dass es viele Geflüchtete nach Deutschland zieht. Was spricht für und was gegen eine Umstellung auf nutzungseingeschränkte Bezahlkarten?

MDR AKTUELL Mitarbeiter Andreas Sandig
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(aktualisiert am 8. Dezember 2023)

Bezahlkarte, Prepaid-Chipkarte, Sachbezugskarte, Kommunalpass oder Sonderkonto – es gibt diverse Namen für den Vorschlag alternativer Bezahlsysteme statt Bargeld für Asylsuchende. In der Bundesregierung wird die Idee vor allem von der FDP unterstützt. Die CDU in Sachsen verlangt sogar einen Stopp von Bargeldzahlungen.

Die Ministerkonferenz der Länder vereinbarte unter anderem auf Druck von Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt eine möglichst bundeseinheitliche Umstellung auf "Chipkarten", mit denen nur in bestimmten Geschäften Waren des täglichen Bedarfs eingekauft werden kann. Detailfragen etwa zu Nutzungseinschränkungen und Finanzdienstleistern sind noch offen und werden in kommunalen Pilotprojekten getestet. Auch wird die Debatte mit einer allgemeinen Kürzung der Hilfen verknüpft, was verfassungsrechtlich fraglich ist.

Was soll die Abkehr vom Bargeld für Asylbewerber bringen?

Im Kern zielen die Vorschläge auf eine Abschreckung von Asylbewerbern. Die Leistungen für Asylbewerber und insbesondere Bargeld werden als Anreiz (Pull-Faktor) gesehen für Deutschland als Fluchtziel. Wissenschaftler kommen zu einem anderen Ergebnis. Auch Sachsens Flüchtlingsbeauftragter Geert Mackenroth sagte MDR AKTUELL, ihm lägen keine belastbaren Erkenntnisse vor, dass Bargeldzahlungen ein wichtiger Fluchtanreiz nach Deutschland seien.

Weiteres Argument: Die Asylsuchenden schicken einen Teil des Bargeldes in die Heimat zurück und bezahlen damit auch ihre Schlepper. Als drittes Argument für die Bezahlkarte statt Bargeld gilt ein erhoffter geringerer Verwaltungs- und Personalaufwand. Aktuell werden in der Regel von einem Behördenmitarbeiter Bargeld oder Schecks an Asylsuchende ausgegeben, die sie dann bei der Sparkasse einlösen können. Eine Bezahlkarte mit elektronischer Wiederaufladung könnte also Vorteile für Kommunen und Empfänger bringen.

Mehrheit der Bundesländer sieht Bezahlkarten-System skeptisch

Jedoch drohen bei unterschiedlichen Systemen in den Kommunen auch wieder Mehrkosten und ein Flickenteppich unterschiedlicher Lösungen. Die Bundeländer waren in der Frage lange uneins. Laut einer ZDF-Umfrage im Herbst sprach sich die Mehrheit dagegen aus. Sogar die CDU-geführte Regierung im einwohnerstärksten Bundesland Nordrhein-Westfalen wollte zunächst klären lassen, inwiefern spezielle Geldkarten "die Ausübung der persönlichen Lebensgestaltung und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts" beeinflussen.

Kürzung der Leistungen würde gegen Rechtsprechung verstoßen

In der Regel werden Asylsuchende nach der Erstaufnahme auf die Kommunen verteilt und dort meist in Gemeinschaftsunterkünften oder Pensionen, selten in Wohnungen untergebracht. Je nachdem, wo und wie die Menschen leben, gibt es Sach- und Geldleistungen. In Gemeinschaftsunterkünften werden vom Regelsatz 410 Euro für einen alleinstehenden Asylantragsteller etwa 180 Euro als Taschengeld für den Eigenbedarf bar ausgezahlt. Partner, Kinder, Mitbewohner in einer Bedarfsgemeinschaft erhalten gestaffelt weniger. Das ist im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) geregelt.

Zum Aufklappen: Gesetzliche Leistungen für Asylbewerber

Geflüchtete, die in Deutschland um Schutz und Asyl bitten, erhalten Leistungen nach dem AsylbLG, die Sätze sind niedriger als das Bürgergeld. Davon wird je nach Unterbringungsart nur ein Teil bar ausgezahlt. In zentralen Aufnahmeeinrichtungen oder Sammelunterkünften sind der Großteil Sachleistungen zur Unterbringung, Ernährung, Heizung, Hygiene, Kleidung. Vom Regelsatz 410 Euro für einen alleinstehenden Asylantragsteller werden 182 Euro für den Eigenbedarf bar ausgezahlt. Sachleistungen und Taschengeld verringern sich für Partner, weitere erwachsene Haushaltsangehörige sowie Kinder je nach Alter.

Zudem haben Asylbewerber und Geduldete bei der medizinische Versorgung nur einen Anspruch auf Notversorgung und Akutbehandlung. Danach werden sie von einer gesetzlichen Krankenkasse betreut und erhalten ähnliche Leistungen wie gesetzlich Versicherte. (Update: Diese Leistungen galten bis 2023 für 18 Monate, wurden inzwischen aber auf drei Jahre ausgeweitet. Das heißt, das höhere Bürgergeld gibt es etwa bei längeren Asylverfahren erst später.)

Für die konkrete Umsetzung der Leistungen sind Länder und Kommunen zuständig und haben dabei einen gewissen Spielraum, sie können etwa auch Wertgutscheine ausgeben. Das Bundesverfassungsgericht schreibt jedoch vor, dass allen in Deutschland lebenden Menschen das Existenzminium zusteht. Es darf auch nicht verringert werden, um damit Menschen abzuschrecken.

Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.

Bundesverfassungsgericht Urteil 1 BvL 10/10 von 2012

Eine komplette Umstellung auf Sachleistungen hält auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund für nicht zielführend. Das sei schwer umzusetzen, aufwendig, bürokratisch und werde den Menschen mit Bleibeperspektive nicht gerecht, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. Ähnlich sieht es der Verein Pro Asyl. Nach seiner Auffassung führen Sachleistungen immer zu einer unzulässigen Leistungskürzung, weil sie individuellen Ansprüchen nie genügen.

Um wie viele Menschen in Deutschland geht es?

In der Diskussion um Leistungseinschränkungen geht es vor allem um Menschen aus Syrien, Afghanistan und der Türkei, die vor Verfolgung Schutz in Deutschland suchen. Von Januar bis September 2023 wurden in Deutschland insgesamt 251.213 Asylanträge gestellt, mehr als im Gesamtjahr 2022. Laut Ausländerzentralregister waren Ende 2022 rund 304.000 Menschen ausreisepflichtig, davon etwa 248.000 mit einer Duldung. Geduldete können aus bestimmten Gründen nicht abgeschoben werden, etwa weil sie keine Ausweisdokumente haben, krank sind oder ein minderjähriges Kind mit Aufenthaltserlaubnis haben.

MDR (ans)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 11. Oktober 2023 | 11:30 Uhr

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