Windräder im Wald
Die "Waldbürger-Initiative" agitiert gegen Windkraftanlagen im Wald. Bildrechte: IMAGO / Hans Blossey

Windkraft Die Thüringer "Waldbürger-Initiative": Zwischen Umweltengagement und rechtsextremer Agitation

22. April 2024, 09:00 Uhr

Ausflüge, Wanderungen und Arbeitseinsätze in der Natur - und dabei etwas Gutes tun für die durch Klimawandel und Borkenkäfer geplagten Thüringer Wälder: Damit lockt die sogenannte "Waldbürger-Initiative" seit nunmehr über einem Jahr Kinder, Erwachsene und all jene, die sich für die Umwelt engagieren möchten. Doch Zweck der Initiative ist nach MDR Investigativ-Recherchen nicht nur Waldschutz, sondern die Agitation gegen Windkraft. Mit dabei sind auch rechtsextreme Akteure.

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Bäume pflanzen mit Pausen am Lagerfeuer

Kinder und Senioren, Männer und Frauen, ehrenamtliche Waldhelfer, die ausgerüstet mit Spaten und Hacken Jungbäume pflanzen und am gemeinsamen Lagerfeuer Pause machen: Mit solchen Bildern vergangener Arbeitseinsätze wirbt die "Waldbürger-Initiative", die nach eigenen Angaben mittlerweile 500 Mitglieder hat, für ihre Einsätze. Immer wieder wird dabei auch zur Teilnahme an Pflanzaktionen und anderen Veranstaltungen der Thüringer Forstämter aufgerufen.

Die Aufmachung dieser Aufrufe erweckt den Eindruck, als handle es sich um Kooperationen zwischen der Anstalt öffentlichen Rechts im Besitz des Landes Thüringen, Thüringenforst, und den "Waldbürgern". So warb die Initiative erst im März auf Facebook für eine Pflanzaktion von Thüringenforst in Bad Salzungen. Interessierte könnten sich melden, hieß es, man werde die Teilnehmeranzahl an das Landesforstamt weiterleiten.

Thüringenforst bestreitet Kooperation mit "Waldbürger-Initiative"

Auf die Frage nach einer Zusammenarbeit mit den Forstämtern sagte Initiativen-Sprecher Andreas Schuster dem MDR, die gemeinsamen Pflanzaktionen im Herbst und im Frühjahr mit Thüringenforst würden mitunter schon ein halbes Jahr, manchmal allerdings auch nur zwei Wochen vorher organisiert. "Neben den Pflanzungen führen wir mit Thüringenforst sogenannte Försterwanderungen, Försterexkursionen und Vorträge zum Thema Wald, Biodiversität, Wasser et cetera durch."

Eine Thüringenforst-Sprecherin sagte dem MDR dagegen auf Anfrage, es gebe keine Kooperation der Thüringenforst-AöR mit der "Waldbürger-Initiative". "Grundsätzlich finden bei Pflanzaktionen keine Kontrollen der Teilnehmenden statt. Es liegen somit keine Informationen darüber vor, ob 'Waldbürger' bei Veranstaltungen in den Forstämtern vertreten waren", so die Sprecherin weiter.

Im Sommer 2023 organisierte die "Waldbürger-Initiative" Kinderferienangebote, an denen nach Angaben ihres Sprechers Schuster 25 Kinder teilnahmen. Auch mit Schulen arbeite man zusammen, heißt es auf Anfrage.

Eigentliches Ziel: Agitation gegen Windkraft im Wald

Doch Pflanzaktionen und Kinderprogramme sind nur ein Teil der Aktivitäten der Initiative. Beim Studieren der Internetseite wird klar: Eigentlicher Zweck der Initiative ist das Agieren gegen den Bau von Windkraftanlagen im Thüringer Wald.

Dabei nutzt die Initiative zum einen Erhebungen etablierter Naturschutzorganisationen für ihre Argumentationen, etwa zu den Folgen von Windrädern für die Tierwelt. Zum anderen werden unbelegte Theorien und inzwischen längst widerlegte Behauptungen über gesundheitliche und ökonomische Schäden durch Windräder genutzt.

Mit ihrer Arbeit gegen Windkraft ist die Gruppe mittlerweile ein wichtiger Akteur der bundesweit vernetzten politischen Kampagne der Anti-Windkraft-Lobby und laut der "Mobilen Beratung in Thüringen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus" (Mobit) aktuell eine der "wahrnehmbarsten überregionalen Gruppen im Bereich der Windkraftgegner".

So nahm die "Waldbürger-Initiative" an gemeinsamen Veranstaltungstouren mit dem Thüringer Ableger der Anti-Windkraft-Lobby-Organisation "Vernunftkraft" teil. Sprecher Andreas Schuster hält mittlerweile regelmäßig Anti-Windkraft-Vorträge bei Bürgerversammlungen und Infoabenden. Bei einer Ausschusssitzung des Ilmenauer Stadtrats zum Thema Windkraft, bei der auch Thüringens Umweltminister Bernhard Stengele (Grüne) sprach, wurde Schuster von der AfD als Sachverständiger benannt und bekam 15 Minuten Redezeit.

Die Personen hinter der "Waldbürger-Initiative"

Initiativen-Sprecher Andreas Schuster, der eine Physiotherapiepraxis in Erfurt betreibt, veröffentlichte während der Corona-Pandemie staatsverunglimpfende und impfkritische Posts.

Auch andere Akteure der "Waldbürger-Initiative" sollen aus dem sogenannten "Querdenker-Milieu" stammen beziehungsweise sich bei den Corona-Protesten politisiert haben. Sie waren in den sogenannten "Montagsspaziergängen" aktiv, in zum Teil rechtsoffenen Zusammenschlüssen, in denen es oft wenig Berührungsängste, keine Abgrenzungen und zum Teil sogar Verbindungen mit der extremen Rechten gab.

Mobit: "Waldbürger-Initiative" ist Teil eines rechtsoffenen Netzwerks

Aus Sicht von Mobit ist die Initiative demnach "Teil eines Netzwerkes, welches sich aus dem rechtsoffenen Pandemieleugnungs-Spektrum der vergangenen Jahre entwickelte und Anknüpfungspunkte zu Reichsbürgern und AfD aufweist", so Mobit-Sprecher Felix Steiner. Dabei seien die Grenzen fließend. Bereits kurz nach ihrer Gründung im Frühjahr 2023 bekam die "Waldbürger-Initiative" beim jährlichen Pfingsttreffen des rechtsoffenen thüringenweiten Protestspektrums, organisiert vom sogenannten "Neuen Schmalkaldischen Bund", einen eigenen Pavillon und Redezeit.

Im Mai 2023 stellte Sprecher Andreas Schuster die Arbeit der Initiative in der "Südthüringer Rundschau" vor, einer Gratis-Zeitung, über die der Thüringer Verfassungsschutzchef Stefan Kramer bereits 2021 dem MDR gesagt hatte, "solche Lokalblätter mit hoher Auflage und dieses insbesondere, werden von der Querdenkerszene und bekannten Extremisten benutzt, um ihr Gift unters Volk zu bringen". Die "Waldbürger-Initiative" konnte in diesem Milieu nach MDR-Recherchen an vorhandene Netzwerkstrukturen und Kontakte aus dem rechtsoffenen Protestspektrum anknüpfen.

Vom Straßenprotest auf den AfD-Listenplatz

Ein Beispiel für diese Netzwerke im Hintergrund ist auch die Administratorin der Facebook-Seite der "Waldbürger", Petra Hofmann aus Bad Salzungen. Hofmann war nach MDR Investigativ-Informationen bereits bei der Mobilisierung der rechtsoffenen Corona-Proteste in Thüringen aktiv, postet auf ihrem Facebook-Account seit Jahren gegen Corona- und Regierungspolitik und schreckt dabei auch vor Verweisen auf das rechtsextreme Netzwerk "Freies Thüringen" nicht zurück.

Die Gäste im Fakt-ist-Studio: Dr. Andreas Braune, Politikwissenschaftler an der Uni Jena (von links), Annika Liebert, Kampagnen-Managerin von Campact e.V., Dr. Klaus Wagner, Präsident des Thüringer Bauernverbandes, und Sebastian Striegel, Innenpolitiker der Grünen im Landtag von Sachsen-Anhalt. 59 min
Die Gäste im Fakt-ist-Studio: Dr. Andreas Braune, Politikwissenschaftler an der Uni Jena (von links), Annika Liebert, Kampagnen-Managerin von Campact e.V., Dr. Klaus Wagner, Präsident des Thüringer Bauernverbandes, und Sebastian Striegel, Innenpolitiker der Grünen im Landtag von Sachsen-Anhalt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Ende Januar berichtete Hofmann als Publikumsgast im MDR-Talk "Fakt ist …", wie sie, mobilisiert durch die Unzufriedenheit mit Corona- und Regierungspolitik, begann, sich politisch zu engagieren und an den sogenannten "Montagsspaziergängen" teilzunehmen.

Am Schluss der Sendung erklärte sie: "Was mir auch ganz ehrlich fehlt, das ist die Mitte, nicht dieses Rechts nicht dieses Links, diese Trittbrettfahrer (…)." Schließlich kündigte sie an, sich bei den anstehenden Kommunalwahlen als "Parteilose" aufstellen zu lassen. "Ich hab mich auf die Liste des Gemeinderates, des Stadtrates und des Kreisrates setzen lassen." Nur rund eine Woche später, am 6. Februar 2024, veröffentliche die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Thüringer AfD ihre Kandidatenliste zur Kreistagswahl im Wartburgkreis - darunter Petra Hofmann auf Listenplatz acht.

Reichsbürger und rechtsextreme Verschwörungen

Doch es gibt noch mehr rechtsextreme Verbindungen der "Waldbürger" als die Person Petra Hofmann. So verweist auch die Facebook-Seite der Initiative ganz offen auf das rechtsextreme Netzwerk "Freies Thüringen". Dem MDR liegt außerdem der Screenshot einer Anmeldung zu einer Pflanzaktion im April vergangenen Jahres vor. Die Telegram-Adresse, bei der sich Interessierte anmelden sollen, enthält neben dem Vornamen des Ansprechpartners den Code "WWG1WGA" - einen Code der aus den USA stammenden, extrem rechten Verschwörungsbewegung "Qanon".

Und auch in die Thüringer Reichsbürger-Szene scheint es enge Verbindungen zu geben. Nach MDR-Recherchen wurde in einem einschlägigen "Reichsbürger"-Chat für die Kinderferienangebote der "Waldbürger-Initiative" geworben. Auf die Beschwerde eines Mitglieds, solche Inhalte gehörten nicht in das Forum, antwortete ein in der Szene umtriebiger Reichsbürger demnach: "Doch, auch das gehört hierher, außerdem wird es auch von Mitgliedern von uns organisiert."

Berührungsängste mit der Reichsbürgerszene scheint auch Initiativen-Sprecher Schuster nicht zu haben. Gefragt nach der rechtsextremen Vernetzung antwortet er: "Jenseits aller von außen motivierten politischen Spaltversuche pflanzt bei uns der Antifa-Sympathisant neben dem AfD-Anhänger, Syrer, Iraner oder Ukrainer neben sogenannten Reichsbürgern, Homosexuelle neben Heterosexuellen, und so weiter - so integrativ, wie eine engagierte, diverse Gesellschaft nun mal sein sollte, die durch ihre Liebe zur Natur verbunden ist."

Er selbst sei parteiunabhängig und demokratisch aufgestellt. Im April 2021 hatte der Physiotherapeut noch auf seiner privaten Facebook-Seite einen Vergleich zwischen KZ-Aufseher, Mauerschützen und Polizisten gepostet. Darin hieß es weiter: "Die Polizisten sind die unpersönliche Exekutive, die einen repressiven, mittlerweile totalitären Staat gegen seine Bürger verteidigt (…)."

Das Thüringer Innenministerium antwortet auf MDR Investigativ-Anfrage zur "Waldbürger-Initiative", man äußere sich nur zu Personenzusammenschlüssen, die auch Erwähnung im Verfassungsschutzbericht fänden.

Mobit: Umweltschutz als Eintrittstür für extrem rechte Ideologie

Felix Steiner von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Thüringen (Mobit) sagte dem MDR, die Gefahr der Gruppe gehe vor allem davon aus, dass man über das Thema Umweltschutz und natürlich durchaus berechtigten Anliegen in ein extrem rechtes Netzwerk und zu Elementen extrem rechter Ideologie und Verschwörungserzählungen gerate. "Wie auch andere Organisationen mit vermeintlich unpolitischen Themen, ist die "Waldbürger-Initiative" quasi eine harmlos wirkende Eintrittstür in diese Netzwerke zwischen AfD, Reichsbürgern und ähnlichen Organisationen und Gruppen", so Steiner.

Mit der Mischung aus Engagement und Naturerlebnis und dem Agieren gegen Windkraft hat die "Waldbürger-Initiative" offenbar ein Mobilisierungsfeld entdeckt, das für viele Menschen anschlussfähig scheint: Menschen, die sich für Wald- und Umweltschutz einsetzen, Menschen, die unsicher sind in Bezug auf geplante Windkraftanlagen, rechtsoffene Protestler.

Mittendrin und hinter den Kulissen treiben Reichsbürger und Rechtsextreme ihre Netzwerkarbeit voran, oft schwer erkennbar für all jene, die einfach nur Bäume pflanzen wollen.

MDR (caf)

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