Ausstellung in Meißen Ukrainer im Exil: "Ich bin am Leben, aber ich lebe nicht"

Vor einem Jahr brach für die Menschen in der Ukraine ihre bislang bekannte Welt unter Krieg und russischen Raketen zusammen. Mehr als acht Millionen Menschen sind bislang als Flüchtlinge in Europa registriert, Tausende davon im Landkreis Meißen. Wie geht es ihnen? Was denken sie nach einem Jahr Krieg gegen ihr Heimatland? Das fragt eine Ausstellung im Meißner Rathaus, für die Betroffene Bilder und Texte bereitgestellt haben.

Eine Mutter liegt schwer verletzt in einem Klinikbett, das direkt neben dem Krankenbett ihrer Tochter steht. Auch das Mädchen im Bett wurde angeschossen und später in Deutsccland operiert. Mutter und Tochter Kukina stammen asu Kiew in der Ukraine und wurden Anfang März 2022 von russischen Soldaten bedroht und lebensgefährlich beschossen.
Die Kriegsopfer Alina Kukina (li.) und ihre Tochter Alisa wurden im März 2022 im Elblandklinikum Radebeul operiert und gerettet. Die Familie war von der russischen Armee auf der Autobahn bei Kiew bedroht und beschossen worden. Der Familienvater wurde dabei getötet. Bildrechte: Alina Kukina

Fragt man Nadezhda Guboglo, woher sie aus der Ukraine stammt, antwortet sie: "Ich komme aus der Stadt, die es nicht mehr gibt." Das hat die 63 Jahre alte Psychologin aus dem zerstörten Mariupol auch in einem Gedicht geschrieben, das Teil einer Ausstellung ist. Diese wird an diesem Donnerstag im Rathaus Meißen eröffnet und trägt den Titel: "Meine Ukraine".

Ausstellungsmacher verlangen: zuhören, statt belehren

In einem Keller liegt ein Mädchen an der Wand und schläft. Es ist die Tochter einer ukrainischen Familie, die tagelang im Keller in Kiew Schutzvor russischen Raktenangriffen suchte. Das foto ist Teil einer ausstellung in Meißen unter dem Titel: "Meine Ukraine".
Ein junges Mädchen liegt im Keller eines Mehrfamilienhauses in Kiew und wartet darauf, dass Luftalarm und Raktenbeschüsse vorüber gehen. Ihre Mutter Inna hat das Foto für eine Ausstellung in Meißen zur Verfügung gestellt. Bildrechte: privat

Die Idee war, Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine eine Stimme zu geben, sagt Mitorganisatorin Julia Gerlach von der Evangelischen Akademie Sachsen. Die Studienleiterin findet, dass die Sicht und der Schmerz direkt Betroffener in der deutschen Debatte zu kurz kämen. Die Diskussionen hierzulande nennt Gerlach "egoistisch, weil nur darauf geschaut wird, was uns schadet". Statt den leidenden Menschen im Exil zuzuhören, würden Deutsche gerne Ratschläge verteilen.

Ähnlich sieht das Mitorganisator Daniel Bahrmann vom Meißener Kulturverein: "Die Diskussion geht in Deutschland in die falsche Richtung. Wir schauen zu sehr auf Russland und sprechen über die Ukraine." Es sei aber wichtig, "den Ukrainern genau zuzuhören", meint der SPD-Stadtrat und Unterstützer vor Eröffnung der Wanderausstellung.

Bilder, Videos und Töne transportieren Gefühle

Für das Projekt haben überwiegend Mütter, junge Frauen und Kinder, auch einige Männer, mehr als 100 Fotos eingereicht, Texte geschrieben und Videos bereitgestellt. Darin spiegeln sich ihre Gedanken und Gefühle zwischen Leid, Sehnsucht und einem Leben im Exil.

Bei einem Evakuierungsalarm in der Schule sah ich in den Augen der Kinder ein solches Entsetzen! Überlebensangst, Bombenbedrohung, Evakuierung… Angesichts des Schmerzes und der Tränen von Angehörigen und des Verlusts geliebter Menschen in der Ukraine werden die Kinder (und wir Erwachsenen) dies niemals vergessen.

Tetiana aus Charkiw Lehrerin über Erfahrungen ihrer Schülerinnen und Schüler

Über Schock und Schmerz will auch Nadezhda Guboglo sprechen. Beim Erzählen ersticken immer wieder Tränen ihre Stimme. Jahrelang hat sie als studierte Psychologin mit Erwachsenen gearbeitet. Sie weiß, wie wichtig Reden ist. Doch seit Kriegsbeginn vor einem Jahr brennen ihre Erinnerungen und schreckliche Bilder in ihrem Kopf.

Eine Frau steht auf einer Straße und spricht mit jemandem. sie hat ihre linke Hand auf ihr Herz gelegt. Es ist Nadeshda Guboglo aus der zerstörten Hafenstadt Mariupol. Sie hat für ein Ausstellungsprojekt Gedichte geschrieben.
Für Nadezhda Guboglo gleicht es einem Wunder, dass sie in Sicherheit ist. Sie weiß, dass sie nie wieder so ein Leben wie früher führen wird, nicht nur, weil ihre Heimatstadt Mariupol zerstört wurde. Doch sie weiß keine Antwort auf die Frage, wie man das erlebte Leid jemals vergessen kann. Bildrechte: Kathrin König

Augenzeugen und Opfer russischer Kriegsverbrechen

Bis März 2022 harrte auch Nadezhda Guboglo im wochenlang umkämpften Mariupol in Kellern aus: "Es ist schlimm, was russische Soldaten gemacht haben. Sie kamen in ukrainischen Uniformen, haben gezielt auf uns geschossen. Ich bin Zeugin. Sie haben einen 18 Jahre alten Jungen erschossen, einem Achtjährigen die Hand weggeschossen. Alte Menschen wurden getötet, als sie Brot oder Trinkwasser holen wollten. Leute sind verdurstet. Vergewaltigungen. Ich sah Leichenteile von Menschen, die ich kannte. Leichen lagen auf den Straßen und wir hatten keine Möglichkeit, sie zu begraben. Wie kann man so etwas je vergessen? Es ist Wahnsinn", sagt die Ukrainerin leise.

Wie kann man so etwas je vergessen? Es ist Wahnsinn.

Nadezhda Guboglo Kriegsflüchtling aus Mariupol

Das fragt sich auch Alina Kukina. Die 35 Jahre alte Mutter und ihre acht Jahre alte Tochter haben den Beschuss russischer Soldaten Anfang März 2022 bei Kiew knapp überlebt. Der Vater und Ehemann Oleksandr starb auf der Schytomyr-Autobahn. Seine Tochter sah ihren Vater verbrennen und sterben, bevor sie verletzt vor den Angreifern in einen Wald fliehen konnte wie die Mutter. Über Umwege kamen beide ins Elblandklinikum Radebeul, wo Chirurgen Projektile aus ihren Schultern, Armen und Hüften operierten.

"Mein Mann ist tot. Ich weiß nicht, wie alles in der Zukunft weitergehen soll", sagt Alina Kukina. Dabei dreht sie ihren Ehering hin und her, den sie am linken Ringfinger trägt, wie in der Ukraine üblich. "Früher wusste ich, was ich will. Jetzt frage ich mich immer: Wie kann ich leben und fühlen?" Früher, vor dem Krieg, war sie selbstständig, hatte einen Schönheitssalon mit Friseur und Kosmetik für Frauen und ein "gutes Leben".

Eine Frau sitzt an einem Tisch und scrollt auf ihrem Handy. Dann zeigt sie ein Foto eines zerschossenen autos. In dem Auto starb ihr Ehemann,. nachdem russische Soldaten im März 2022 das Auto der Familie beschossen hatten.
Alina Kukina zeigt auf ihrem Handy ein Foto aus dem März 2022: das von russischen Soldaten zerschossene Auto, in dem ihr Mann starb. Bildrechte: Kathrin König

Viel Hilfe, aber auch Ablehnung im Kreis Meißen

Sie bittet darum, nicht falsch verstanden zu werden. Jeden Tag sei sie Gott dankbar, dass ihre Tochter lebt, dass sie in der Grundschule lernen und psychologische Hilfe bekommen kann, dass auch ihre Eltern im 1.835 Kilometer entfernten Kiew leben und als Ärzte arbeiten können. Und dann die große Hilfe in Radebeul im Krankenhaus. Aber sie sei auch schon beschimpft und ihr Auto in Radebeul bereits mehrfach beschädigt worden. "Warum machen das Menschen? Ich will hier doch niemandem etwas wegnehmen", fragt sich die Mutter.

Den Zwiespalt kennt auch Nadezhda Guboglo: "Ich hatte alles, ein schönes Leben, Arbeit, mein Zuhause". Niemals hätte sich die 63-Jährige vorgestellt, sich wochenlang in Kellern vor russischen Raketenbeschüssen zu verstecken und durch Europa flüchten zu müssen. Allen Helfern sei sie sehr, sehr dankbar, vor allem der Familie im Landkreis Meißen, die sie aufgenommen hatte. "Sonst wäre ich verrückt geworden."

Ich bin allen sehr dankbar, die uns mit unseren Sorgen nicht alleine lassen, denn alleine hätten wir es nicht geschafft! Und ich möchte wirklich all diese Menschen umarmen, die ich nicht kenne, aber ich weine, wenn ich von ihrem Kampf und ihrer Hilfe lese!

Irina Ukrainerin in ihrem Begleittext zu Fotos aus dem zerstörten Tschernihiw

In Sicherheit, aber verloren im Leben

Psychologin Guboglo ist aber auch wichtig, dass die Menschen in Sachsen verstehen, dass sie hier nicht sitzen und Geld von Ämtern abholen wolle. Sie bemühe sich, Deutsch zu lernen. "Ich bin mit 63 nicht mehr die Jüngste, muss wieder ein neues Leben anfangen." Andererseits zermürbe sie dieser Gedanke, denn: "Ich bin am Leben, aber ich lebe nicht. Als ich alles verloren habe, habe ich mich selbst verloren."

Ein ukranisches Mädchen (6 Jahre alt) hat ein Bild gemalt, das Menschen zeigt, die vor russischen Raketen in einem Keller unter einem Haus Schutz suchen. Das Kind aus der Südukraine lebt mittlerweile im Landkreis Meißen und gilt als Kriegsflüchtling.
Ein sechs Jahre altes Mädchen hat ein Bild gemalt, das Menschen zeigt, die im Keller Schutz vor Raketenangriffen suchen. Bildrechte: privat/Ausstellung "Meine Ukraine"

  • Die Ausstellung "Meine Ukraine" ist bis zum 23. März im Foyer des Rathauses Meißen zu sehen. Danach kommt die Schau nach Nossen, Großenhain und Dresden.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 24. Februar 2023 | 19:00 Uhr

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