"Soft War" Sehnsucht und Postkolonialismus: Martina Hefter tanzt in Leipzig
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29. November 2024, 16:03 Uhr
Die Buchpreisträgerin Martina Hefter hat in der Leipziger Spinnerei ihr neues Stück gezeigt. Darin verbindet sie erneut ihre Bühnenkunst mit ihrer literarischen Arbeit. In "Soft War", so der Titel ihres Stücks, untersucht sie mit Tanz, Text und Video die Chats mit sogenannten Love Scammern, die auch in ihrem Roman "Hey guten Morgen, wie geht es dir?" eine Rolle spielten. Die Performance dreht sich um die Mechanismen von Macht und Sehnsucht. Das bleibt zwar an der Oberfläche, dabei aber immer authentisch – so unsere Kritikerin.
- Das Stück "Soft War" der prämierten Autorin Martina Hefter hat in Leipzig Premiere gefeiert.
- Die Performance beschäftigt sich mit einer Internetsbetrugsmasche und Postkolonialismus.
- Trotz einiger Schwächen überzeugt das Stück durch das Spiel mit der Wahrheit.
Wenn eine Frau nachts wach liegt, weil das Leben sie langweilt, dann passieren große Dinge. Etwa Onlinebeziehungen, die in Deutschland jedes Jahr mehr als 1 Million Euro kosten. Chatverläufe, die manchen Frauen das Herz brechen oder sogar in den Suizid treiben. Die Sehnsucht, der Eskapismus sind mächtige Triebe. Warum können wir nicht zufrieden sein? Warum träumen wir uns weg aus einer Welt, in der ein neu gebautes Haus stehen bleibt, in der die Bäckerei auch morgen wieder Brot verkauft und in der Kinder zur Schule gehen. Jeden Tag. Warum halten wir dieses Leben nicht aus?
Martina Hefter bringt Flirtchats auf die Bühne
Das Fernweh, die Suche nach Liebe und Romantik landen in staccato-artig gesprochenen Chatverläufen auf der Bühne der Residenz des Schauspiels Leipzig, die glitzert, die Spaß verspricht – und dieses Versprechen nicht halten kann. Hier soll ein Kriegsschauplatz entstehen, ein Soft War stattfinden.
Kernfrage des Stückes "Soft War" von Martina Hefter lautet: Gibt es eine Berechtigung für die sogenannten Love Scammer, Frauen Liebe vorzugaukeln, um Geld von ihnen zu bekommen? Meist treffen im Chat Männer aus afrikanischen Ländern auf sehnsüchtige Frauen aus den westlichen Industrienationen.
Leipziger Performance untersucht Postkolonialismus
Ist dieses Zusammentreffen eine kleine Wiedergutmachung für Jahrzehnte der Kolonialisierung? Tut sich hier endlich ein Kanal auf, der für Ausgleich zwischen ewig arm und ewig reich sorgt? Es ist ein Krieg zwischen zwei Welten, ohne Waffen, der Schatten einer anderen Zeit, in der Völker brutal unterdrückt wurden und deren Folgen bis heute andauern. Der Ausgangskonflikt für "Soft War" ist explosiv.
Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit, heißt es oft. Logisch erzählt das Stück in Leipzig die Folgen des Kolonialerbes: Ältere Frauen aus westlichen Industrienationen sind die betuchten "White Ladies". Menschen mit krausem Haar und dunkler Haut sind die "Love Scammer" oder sogar die "Quotenn****".
Das Karussell der Zuschreibungen gewinnt an Fahrt, an der auch der im Rollstuhl sitzende Buchautor Jan Kuhlbrodt teilnimmt. Schnell wird klar: Niemand findet sich in Zuschreibungen wieder. Hinter dem Glitzer-Make Up und den glänzenden Kostümen bleiben immer die Menschen sichtbar, authentisch.
Was Theater, Tanz und Text können
Martina Hefters Kunst bewegt sich zwischen Wort (als Autorin) und Körperlichkeit (als Tänzerin und Performancekünstlerin). "Soft War" ist ein Stück des Wortes. Es ist scheinbar eine Art Prequel zu ihrem Roman "Hey guten Morgen, wie geht es dir?", für den sie mit dem Deutschen Buchpreis 2024 ausgezeichnet wurde.
Der Text ist stark, persönlich, nah. Das situative, das körperliche, der Tanz könnte nun eine neue Ebene einführen. Der Tanz könnte den Konflikt auf die Spitze treiben, zeigen, was mit Kriegsparteien passiert. Aber er bleibt verhalten, verhandelt den Körper zwischen digitaler und realer Welt. Er deutet Krieg nur an. Tanz kann mehr.
Dennoch sei dieses Stück klar empfohlen. Choreograf Kevin Albanquando Tuntaquimba, Soundkünstler Patrice Lipeb und Martina Hefter konstruieren ein Spannungsgefüge zwischen sehr menschlichem Dokumentationstheater und abstrakter Performance. Zwischen den Welten: Sind es Figuren auf der Bühne? Privatmenschen? In ihren Rollen oder außerhalb? Spielen sie Theater oder sind sie ebenso Publikum, das "genauso viel Angst hat, etwas falsch zu machen, wie alle anderen".
Weitere Informationen zum Stück
"Soft War"
Konzept und Performance: Martina Hefter
Musik und Performance: Patrice Lipeb
Choreographie: Kevin Albanquando Tuntaquimba
Bewegungschor: Ali Schwartz, Jan Kuhlbrodt, Betta Eichner, Kevin Albanquando Tuntaquimba
Video: Marvin Großer
Adresse:
Residenz
Halle 18 (Aufgang E)
Spinnereistraße 7
04179 Leipzig
Termine:
29. November 2024, 20 Uhr (Ausverkauft)
30. November 2024, 20 Uhr (Ausverkauft)
5. Dezember 2024, 20 Uhr (Ausverkauft)
6. Dezember 2024, 20 Uhr (Restkarten)
7. Dezember 2024, 20 Uhr
Redaktionelle Bearbeitung: tsa
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 29. November 2024 | 12:10 Uhr