Zweiter Prozess gegen Halle-Attentäter Reportage: Nach wie vor Antisemit, noch immer Rechtsextremist
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31. Januar 2024, 17:52 Uhr
Der dritte Verhandlungstag vervollständigt das Bild von der Geiselnahme in der JVA Burg. Die Aussagen der Zeuginnen und Zeugen machen klar, dass der Angeklagte während seiner bisherigen Haftzeit kein Stück von seinem antisemitischen, rassistischen und rechtsextremistischen Gedankengut abgerückt ist. Es war offenbar der Antrieb für den Ausbruchsversuch.
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- Der Fluchtversuch des Halle-Attentäters aus der JVA Burg erfolgte aus ideologischem Antrieb.
- Nach der Geiselnahme kündigte er weitere Morde und Fluchtversuche an.
- Ein Sachverständiger erklärt, dass sich weder Ideologie noch Schuldfähigkeit des Angeklagten verändert hätten.
Ruhig, knapp und präzise sagt die Leiterin der JVA Burg vor Gericht aus. Als der Attentäter von Halle in dem Gefängnis, das sie leitet, Geiseln genommen hatte, war sie nicht vor Ort. Telefonisch habe sie Kontakt mit dem Personal vor Ort, der Polizei und dem Justizministerium gehalten. Zum Ablauf der Tat gibt ihre Aussage kaum neue Erkenntnisse – ohnehin sind nach dem Geständnis des Angeklagten, den Aussagen der Betroffenen und der Sichtung der Videoaufnahmen von Sicherheitskameras kaum mehr Fragen zum Ablauf der Geiselnahme offen.
Ihre Aussage ist in anderer Hinsicht aufschlussreich: Sie legt dar, dass die rechtsextreme Ideologie des Halle-Attentäters der entscheidende Antrieb für den Waffenbau und die Geiselnahme im Gefängnis war.
Ideologie als Antrieb
Direkt nach dem gescheiterten Fluchtversuch habe sie zwei Gespräche mit dem Gefangenen geführt. Er habe gesagt, er habe mit dem Fluchtversuch seinen Kampf weiterführen wollen. Er habe zeigen wollen, dass sich jeder aus Alltagsgegenständen Waffen bauen könne.
Diese beiden Aussagen sind klare Parallelen zu den Motiven des Angeklagten für den Anschlag, den er in Halle 2019 verübt hatte. Aus antisemitischem, rassistischem Antrieb hatte er versucht, in die Synagoge einzudringen, um Jüdinnen und Juden zu töten. Vor der Synagoge erschoss er eine Passantin und in einem Imbiss einen Gast. Auf seiner Flucht verletzte er in Wiedersdorf zwei weitere Menschen.
Angeklagter kündigt weitere Morde und Fluchtversuche an
Die Aussage der JVA-Leiterin verfolgt der Angeklagte vollkommen ausdruckslos. Auch, als sie dessen Gefährlichkeit deutlich macht. Er wisse, was er beim nächsten Mal besser oder anders machen wolle – das habe er ihr nach der Geiselnahme gesagt.
In den beiden Gesprächen habe er sich überheblich lächelnd und arrogant gezeigt. Er soll, der Aussage der JVA-Leiterin zufolge, davon gesprochen haben, im Gefängnis Muslime zu töten.
Materialien für Waffenbau
Die Richterin fragt nach, wie der Angeklagte sich in Haft verhalten hat. Er habe bei einer Gelegenheit Monate vor dem eigentlichen Fluchtversuch einen zwei Meter langen Draht bei sich geführt, heißt es im Gericht. Die Zeugin antwortet: Zu dieser Zeit sei der Angeklagte etwa in einer Abteilung untergebracht gewesen, in der Resozialisierung betrieben werde. "Er sollte ja auch dort Kontakt zu anderen Gefangenen haben." Dort gebe es Fernseher, Lampen, Kabel, von denen der Draht stammen könne.
Bei einer anderen Kontrolle, ebenfalls vor der Geiselnahme, sei etwa geschmolzene Alufolie bei dem Angeklagten gefunden worden, sagt die Richterin. Die Leiterin der JVA antwortet, Alufolie gebe es in jeder Schokoladenverpackung. Die im Gefängnis am meisten zweckentfremdete Waffe sei die angespitzte Zahnbürste. Jeder Alltagsgegenstand könne zweckentfremdet werden, so die Gefängnisleiterin.
Jeder Alltagsgegenstand kann im Gefängnis zweckentfremdet werden.
Die Aussage der Leiterin verdeutlicht ein Grundproblem im Umgang mit Gefangenen: Der Zugang zu Alltagsgegenständen wie Schreibutensilien und anderen Dingen, die nicht per se gefährlich sind, stehen dem Attentäter von Halle ebenso wie jedem anderen Gefangenen gesetzlich zu.
Offen bleibt nach der Aussage der Zeugin allerdings, wie er offenbar zwei Tage lang unbeobachtet in seinem Haftraum an dem Schussapparat basteln konnte, mit dem er schlussendlich die Geiselnahme verübt hatte.
Gefangener machte häufig Probleme
Wie schwierig der Umgang mit dem Gefangenen im Gefängnisalltag war, macht die voraussichtlich letzte Zeugenaussage in dem Prozess deutlich. Es spricht ein JVA-Mitarbeiter, der regelmäßig versuchte, Gespräche mit dem Angeklagten zu führen – um ihn etwa dazu zu bewegen, die Zelle zu verlassen, um Duschen zu gehen. Das habe der Angeklagte nach seiner Verlegung in die JVA Burg etwa ein halbes Jahr lang verweigert.
Gesprächsangebote im Gefängnis, etwa mit Psychologen oder Sozialarbeitern habe der Gefangene abgelehnt. Es habe nur wenige Gelegenheiten gegeben, bei denen der Angeklagte länger mit ihm gesprochen habe, sagt der Zeuge weiter: Als der Krieg gegen die Ukraine begann, habe der Gefangene einen Monolog über den Krieg und die verwendeten Waffen gehalten. Ein Dialog mit ihm sei nicht möglich gewesen.
Beide Zeugen berichten davon, dass der Gefangene immer wieder versucht habe, Grenzen auszuloten: Er habe in seiner Zelle versucht, Dinge zu verstecken – wie abgekratzten Wandputz. Er habe versucht, den Schließmechanismus seines Haftraumes zu verbarrikadieren.
Ideologie unverändert – Schuldfähigkeit ebenso
Als letztes wird der Sachverständige gehört, der schon im ersten Prozess nach dem Anschlag 2019 das Gutachten zur Schuldfähigkeit verfasst hatte. Er kommt zum gleichen Ergebnis wie damals: Es bestehe zweifellos in seiner Persönlichkeit ein tief verwurzelter Zustand, aus Antisemitismus heraus Straftaten oder Tötungen zu begehen. "Sein Mangel an emotionaler Berührbarkeit hat erneut ermöglicht, Taten zu planen und durchzuführen. Somit besteht der Hang zur Begehung erheblicher Straftaten fort. Es wird erneut versuchen, Straftaten bis hin zu Tötungsdelikten zu begehen", so der Sachverständige Professor Norbert Leygraf.
Es wird erneut versuchen, Straftaten bis hin zu Tötungsdelikten zu begehen.
Dem Angeklagten wurde damit die volle Steuerungs- und Schuldfähigkeit attestiert. Er ist sich der Konsequenz seiner Taten vollkommen bewusst; er ist nicht verrückt. Der Gutachter stellt – auch wie schon 2020 – eine schwere seelische Störung fest. Diese Störung ist die Grundlage für seine Unterbringung in Sicherungsverwahrung nach der Haft.
Verfahren schneller zu Ende, als geplant
Nachdem nun alle Zeuginnen und Zeugen ausgesagt haben, alle Videoaufnahmen gesichtet und Gutachten gehört wurden, endet die Beweisaufnahme. Die Schlussplädoyers sollen beim kommenden Verhandlungstag am 19. Februar gehalten werden. Das Urteil könnte dann bereits am 20. oder 22. Februar gesprochen werden – und damit schneller enden als ursprünglich geplant.
MDR (Roland Jäger, Oliver Leiste)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 31. Januar 2024 | 17:00 Uhr
Nudel81 vor 44 Wochen
Was bringt der Prozess? Der Täter ist schon zu lebenslang mit anschließender Sicherheitsverwahrung. Also er kommt so oder so nicht raus.