Der Angeklagte sitzt mit Handschellen im Gerichtssaal.
Der Halle-Attentäter wurde erneut zu einer Haftstrafe verurteilt. Bildrechte: picture alliance/dpa | Klaus-Dietmar Gabbert

Geiselnahme in JVA Burg Nach Urteilsverkündung: Halle-Attentäter nach Thüringen verlegt

28. Februar 2024, 10:02 Uhr

Der Halle-Attentäter musste sich wegen der Geiselnahme während seines Fluchtversuchs in der Justizvollzugsanstalt in Burg erneut vor Gericht verantworten. Verhandelt wurde – wie schon beim ersten Prozess gegen ihn – in Magdeburg. Nun hat das Gericht ein Urteil gefällt: Sieben Jahre Haft und Schmerzensgeld. Hier sind die wichtigsten Fakten über den Prozess.

Nach dem Urteil im aktuellen Prozess gegen den Attentäter von Halle ist er in ein neues Gefängnis verlegt worden. Nach Informationen von MDR SACHSEN-ANHALT wurde der 32-Jährige mit einem Hubschrauber von Magdeburg nach Thüringen geflogen. Dort sitzt er nun in der Justizvollzugsanstalt Tonna im Landkreis Gotha ein.

Sieben Jahre Haft und Schmerzensgeld

Der Attentäter von Halle war zuvor vom Landgericht Stendal zu einer weiteren Gefängnisstrafe wegen Geiselnahme verurteilt worden. Der Prozess fand aus Sicherheitsgründen am Landgericht Magdeburg statt. Der Verurteilte muss wegen der Geiselnahme und einem Verstoß gegen das Waffengesetz im Gefängnis Burg für weitere sieben Jahre ins Gefängnis. Außerdem soll er den beiden betroffenen Justizvollzugsbeamten 8.000 beziehungsweise 15.000 Euro Schmerzensgeld zahlen. Einer der beiden erhält zudem einen Verdienstausfall in Höhe von rund 2.300 Euro.

Zur Urteilsbegründung sagte die Vorsitzende Richterin Simone Henze-von Staden, der Verurteilte sei trotz einer festgestellten schweren psychischen Störung voll schuldfähig. Er habe mit großer krimineller Energie gehandelt und sich während des Prozesses weitgehend emotions- und empathielos verhalten. Lediglich an den Aufnahmen der Überwachungskameras, die seinen Fluchtversuch dokumentierten, habe er Interesse gezeigt

Keine zusätzliche Sicherungsverwahrung

Generalstaatsanwaltschaft und Nebenklage hatten neun Jahre Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung gefordert. Dazu sagte Richterin Henze-von Staden, bereits im ersten Prozess gegen den Halle-Attentäter wegen des Synagogen-Attentats sei die besondere Schwere der Schuld festgestellt worden. Damit sei dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit Genüge getan. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit komme eine erneute Verhängung der Sicherungsverwahrung nicht infrage. Inzwischen hat die Generalstaatsanwaltschaft Revision gegen das Urteil eingelegt.

Die Verteidigung hatte in ihrem Plädoyer auf einen eigenen Strafantrag verzichtet. Während der Verhandlung hatten sie mehrfach etwaige Verstöße gegen die Einschluss-Vorschriften an der Zelle des Angeklagten durch die Betroffenen thematisiert. Dieser Darstellung folgte das Gericht nicht.

Der Verurteilte verbüßt nach einem antisemitisch motivierten Anschlag auf die Synagoge in Halle bereits eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung. Eine erneute Verurteilung hat damit zunächst keine konkreten Folgen.

Geiselnahme in JVA Burg

Der Halle-Attentäter musste sich wegen einer Geiselnahme im Dezember 2022 im Gefängnis in Burg verantworten. Den Ermittlern zufolge wollte der Angeklagte mit dem selbst gebastelten Schuss-Apparat erreichen, dass Beamte ihm die Türen für eine Flucht öffnen. Sein Ziel sei gewesen, frei zu sein, erklärte der Halle-Attentäter. Er soll es bis vor eine Kfz-Schleuse geschafft haben, von wo aus er dann nicht mehr weiterkam.

Der verurteilte Attentäter saß während des Prozesses in der Jugendanstalt Raßnitz im Saalekreis ein. Von dort aus wurde er jeweils mit Spezial-Kräften der Justiz zu den Terminen nach Magdeburg gebracht.

Die Prozesstage in der Übersicht:

Erster Prozesstag: Angeklagter sagt aus

Die Anklage lautet auf Geiselnahme und Verstoß gegen das Waffengesetz. Nach MDR-Informationen gab es am ersten Prozesstag am 25. Januar nur Aussagen des Angeklagten selbst: Demnach war seine Zelle am Wochenende direkt vor seinem Fluchtversuch nicht kontrolliert worden. In dieser Zeit habe er aus Alltagsgegenständen eine improvisierte Waffe gebaut. Aus Draht, Batterien, Teilen eines Tackers und anderen Schreib-Materialien, zu denen Gefangene selbst im Hochsicherheits-Vollzug Zugang haben dürfen.

Zweiter Prozesstag: Opfer schildern Ablauf der Geiselnahme

Die betroffenen JVA-Beamten, die der Angeklagte als Geiseln genommen hatte, waren nicht zum Prozessauftakt gekommen. Sie wurden am zweiten Prozesstag befragt. "Ich hatte Todesangst", sagte ein 26 Jahre alter Beamter am 29. Januar im Landgericht Magdeburg. Er beschrieb, wie der Angeklagte warm angezogen und mit auf Hüfthöhe vorgehaltener, vermeintlicher Waffe in der Zellentür stand, als er zur Nacht eingeschlossen werden sollte. Der 32 Jahre alte Häftling habe gesagt, er wolle jetzt raus. Der Vollzugsbeamte habe Alarm ausgelöst und den Gefangenen bis in den Freistunden-Hof gebracht. Es sei auch ein Schuss gefallen. Auch ein weiterer Beamter berichtete von Todesangst. Der Fluchtversuch des Halle-Attentäters scheiterte.

Panikattacken und Schlaflosigkeit

Der 26 Jahre alte Vollzugsbedienstete erklärte, er sei krankgeschrieben und in psychologischer Behandlung. Er habe viele Träume, in denen der Angeklagte auftauche. Ein 40-Jähriger, der ebenfalls Geisel war, berichtete von erheblichen psychischen und körperlichen Problemen, er habe Panikattacken, leide unter Schlaflosigkeit, seine körperliche Leistungsfähigkeit sei eingeschränkt. Beide Beamte sind derzeit nicht mehr aktiv im Dienst. Sie treten im Prozess als Nebenkläger auf.

Dritter Prozesstag: Psychologisches Gutachten vorgestellt

Die Anstaltsleiterin des Gefängnisses in Burg hat am dritten Prozesstag versichert, dass der Fluchtversuch aussichtslos war. "Ich habe gesagt, das Tor bleibt zu", sagte die Anstaltsleiterin am 31. Januar als Zeugin in Magdeburg. "Eine mobile Lage ist nicht nur für die Geisel sehr viel gefährlicher, sondern auch für alle Menschen draußen." Nach der Geiselnahme habe der 32-Jährige ihr angekündigt, er wisse, was er beim nächsten Mal besser mache. Er werde seinen Kampf weiterführen. Der Angeklagte habe sich immer wieder antisemitisch und rassistisch geäußert.

Die gesamte Belegschaft des Gefängnisses mit 620 Insassen sei unter Schock gewesen nach der Geiselnahme, sagte die Anstaltsleiterin weiter. Es sei stressig und psychisch belastend gewesen. Bis heute gebe es viel Gesprächsbedarf. Die Mithäftlinge seien "stocksauer" gewesen, dass der Haft-Alltag anders als gewohnt verlief und eine geplante Weihnachts-Veranstaltung abgesagt wurde.

Laut einem Gutachten des Bundeskriminalamts war das Gerät, ähnlich einer Waffe und schuss-fähig, allerdings mit vergleichsweise gering auftreffender Energie. Das wussten die Gefängnis-Mitarbeiter am Tattag nicht. Der 32-Jährige sagte, er sei davon ausgegangen, dass seine selbst gebastelte Waffe tödlich ist.

Hungerstreik nach Fluchtversuch und Geiselnahme in der JVA Burg

Nach der Tat habe der Gefangene über mehrere Tage nicht getrunken und gegessen, so die Anstaltsleiterin weiter. Es habe Sorge um seine Gesundheit bestanden. Viele Gespräche seien geführt worden, bis er überzeugt werden konnte, wieder zu essen und zu trinken. Weil für ihn als Strafgefangenen das Gebot der Resozialisierung gelte, habe es zwei Versuche gegeben, ihn zu integrieren. Beide Versuche seien gescheitert. Auf die Frage, ob sie ihn für resozialisierbar hält, sagte die Anstaltsleiterin: "Aus jetziger Sicht würde ich sagen: nein."

Derweil bestätigte ein psychologisches Gutachten die Eindrücke, die der Angeklagte schon im Prozess vermittelt hatte. Es bestehe zweifellos in seiner Persönlichkeit ein tief verwurzelter Zustand, aus Antisemitismus heraus Straftaten oder Tötungen zu begehen. Der Sachverständige, Professor Norbert Leygraf, attestierte dem Attentäter, dass er erneut versuchen werde, "Straftaten bis hin zu Tötungsdelikten zu begehen".

Vierter Prozesstag: Schlussplädoyers

Am vierten Prozesstag sind in Magdeburg die Schlussplädoyers gehalten worden. Die Staatsanwaltschaft fordert in ihrem Antrag neun Jahre Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Der Angeklagte habe seine lebenslange Freiheitsstrafe wegen des Attentats von Halle verbüßt, als er in seiner Zelle eine schuss-fähige Waffe gebastelt habe. Der Angeklagte habe die Tat zwar gestanden, sagte der Staatsanwalt. Reue habe er aber nicht gezeigt.

Die Anwälte der Nebenkläger, die die ehemaligen Geiseln vertreten, schlossen sich dem Antrag der Staatsanwaltschaft an. Der Verteidiger des Angeklagten verzichtete auf einen konkreten Strafantrag. Nach der Beweisaufnahme stehe die Tat fest. Der Verteidiger verwies jedoch auf eine Sicherheitsverfügung, nach der bei der Öffnung und Schließung des Haft-Raumes immer zwei Beamte anwesend sein müssen. Am Tag der Geiselnahme sei es nur einer gewesen. "Das rechtfertigt nicht die Tat des Angeklagten, muss aber wenigstens berücksichtigt werden," sagte er.

Zwei Tote bei Anschlag am 9. Oktober 2019

Der Attentäter hatte am 9. Oktober 2019 einen Anschlag auf die Synagoge in Halle verübt. Sein Versuch, in das jüdische Gotteshaus einzudringen, scheiterte an der Tür. Anschließend tötete der Mann eine 40-jährige Frau und einen 20 Jahre alten Mann und verletzte zwei weitere Menschen schwer. Das Oberlandesgericht Naumburg verurteilte ihn im Dezember 2020 zu einer lebenslangen Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung. Deswegen macht das aktuelle Urteil für zunächst auch keinen Unterschied.

dpa, MDR (Oliver Leiste, Roland Jäger, Fabian Brenner, Max Fürstenberg, Maren Wilczek, Moritz Arand) | Erstmals veröffentlicht am 24.01.2024

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT - Das Radio wie wir | 27. Februar 2024 | 11:00 Uhr

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