Hohe Energiepreise und Inflation Orte gegen Einsamkeit: Wie es mit den Wärmecafés in Halle weitergehen soll
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23. Februar 2023, 11:05 Uhr
Eigentlich sollte Menschen wegen gestiegener Heizkosten geholfen werden. Eigentlich sollte der Kälte im Sinne von Temperatur getrotzt werden. Doch es kam anders: Die Ehrenamtlichen in den Wärmecafés in Halle kämpfen vor allem gegen soziale Kälte an. Damit wollen sie weitermachen. Mit den Wärmecafés selbst wird aber bald Schluss sein.
- Seit Anfang des Jahres haben an sieben Standorten in Halle sogenannte Wärmecafés geöffnet.
- Zwar nutzen bislang nur wenige Menschen das Angebot. Doch das sei im Grunde ein gutes Zeichen, sagen die Verantwortlichen.
- Nach der kalten Jahreszeit wird das Projekt enden. Doch an einigen Standorten gibt es Ideen für weiterführende Angebote.
Simone Carstens-Kant muss schmunzeln. Denn ja: Die Situation entbehrte einer gewissen Tragikomik nicht. "Als es in der vergangenen Woche richtig kalt wurde, ist bei uns die Heizung ausgefallen", sagt die Pfarrerin der Marktkirche in Halle. "Das war eine kleine Havarie."
Und eben deshalb so kurios, weil ausgerechnet der Raum, der eigentlich Wärme spenden soll, kalt blieb: das Wärmecafé. "Eine Woche mussten wir schließen", erzählt Carstens-Kant, "aber jetzt funktioniert die Heizung zum Glück wieder."
Seit Anfang des Jahres haben Wärmecafés an sieben Standorten in der Saalestadt geöffnet. Ins Leben gerufen wurde das Angebot vom Evangelischen Kirchenkreis Halle-Saalkreis, der Freiwilligen-Agentur, einer katholischen und einer freikirchlichen Gemeinde. Der Grund: die Energiekrise.
Die Idee: "Im Herbst vergangenen Jahres war die Situation ja sehr bedrängend. Man musste befürchten, dass es sehr kalt werden würde, dass es überhaupt keine Energie geben würde, damit die Menschen es irgendwie warm kriegen oder es sich nicht leisten können", blickt Carstens-Kant zurück. "Deshalb haben wir gesagt, dass wir unsere Gemeinderäume öffnen, damit die Menschen nicht frieren müssen, sondern zumindest tagsüber eine Möglichkeit haben, sich aufzuwärmen."
Ein lobenswertes Angebot. Unbestritten. Nur: Bislang nutzt es kaum jemand. "Der Zustrom ist gar nicht so groß", sagt die Pfarrerin. Aber: "Zum Glück!" Denn: "Das ist ja ein gutes Zeichen dafür, dass die befürchteten Härten für die meisten Menschen ausgeblieben sind."
Viele Ehrenamtliche, wenig Gäste
Es ist der Montag nach der einwöchigen Schließung im Wärmecafé an der Marktkirche in Halle. Das Thermometer zeigt an diesem Vormittag im Februar vier Grad – draußen, versteht sich, im Wärmecafé ist es wesentlich wärmer. Die Heizung funktioniert wieder. Die Tür steht offen.
Stefanie Gripp sitzt noch allein in dem Raum mit einem großen Tisch in seiner Mitte. Ob das so bleibt, kann die ehrenamtliche Helferin nicht sagen. An manchen Tagen komme gar niemand, an anderen dafür mehrere Menschen, erzählt sie. Die Anzahl sei jedoch immer überschaubar. An einem anderen Standort kamen seit Eröffnung des Wärmecafés insgesamt lediglich zwei Besucherinnen. Ein paar mehr waren es hier im Stadtzentrum dann doch. Höchstwert: sechs Menschen an einem Tag. Buch wird darüber allerdings nicht geführt. Denn es geht nicht um Quantität, sondern um jeden Einzelnen.
Zehn Ehrenamtliche decken die Öffnungszeiten in Zwei-Stunden-Schichten ab. Sie schenken Kaffee oder Tee aus, reichen Kekse, hören zu. Auf einem Tisch liegt ein Radio und Gesellschaftsspiele, auf einem anderen Zeitungen und Magazine. Kerzen brennen. "Wir wollen einfach für eine gute Atmosphäre sorgen", sagt Gripp, "und den Leuten eine gute Zeit ermöglichen."
Menschen aus der Einsamkeit holen
Auch Kristina Rumpold hilft deshalb ehrenamtlich im Wärmecafé an der Marktkirche. Eine Seniorin komme regelmäßig, erzählt sie. Nicht, weil sie die Stromrechnung nicht bezahlen könne, sondern weil sie jemanden zum Reden brauche.
So geht es vielen Menschen hier, erzählt Rumpold. Vor Kurzem habe eine Frau vor der Kirche auf der Bank gesessen. Die Ehrenamtliche bat sie ins Wärmecafé. Zunächst schwieg sie. Rumpold sagt: "Sie roch auch ein bisschen. Das machte sie offenbar zur Außenseiterin."
Doch mit der Zeit wurde die Frau mit der Situation warm. Schließlich setzte sie sich einfach an das Klavier im Wärmecafé und begann zu spielen. Eine eindrückliche Begegnung für Rumpold, denn: "Würde es das Wärmecafé nicht geben, wäre sie nie in meinem Leben aufgetaucht."
Und es gibt einige solcher Geschichten: Ein junger Mann, Mitte Zwanzig, aus Rumänien habe auf der Straße gebettelt, erzählt Rumpold. Die ehrenamtlichen Helferinnen sprachen ihn an. Er fand den Weg ins Wärmecafé. Mittlerweile hilft ihm eine Ehrenamtliche sogar bei der Wohnungssuche. Der Mann wurde darüber hinaus in ein anderes Hilfsprojekt vermittelt.
"Dieser Ort ist ein Stück weit Utopie"
Warum im Großen und Ganzen bislang trotzdem nicht so viele Menschen die Wärmecafés besuchen? Die Ehrenamtlichen und Pfarrerin Simone Carstens-Kant glauben, das habe neben der wohl doch nicht so prekären Energie-Situation auch mit Scham zu tun. "Menschen, die in sozialer Not sind, ziehen sich eher zurück", sagt Carstens-Kant. "Unsere Gesellschaft ist eben sehr leistungsorientiert. Deshalb ist die Hemmschwelle teilweise groß."
Menschen, die in sozialer Not sind, ziehen sich eher zurück. Unsere Gesellschaft ist eben sehr leistungsorientiert. Deshalb ist die Hemmschwelle teilweise groß.
Zumal Kristina Rumpold zu bedenken gibt: "Dieser Ort hier ist schon ein Stück weit Utopie. Ein Ort, den es eigentlich gar nicht geben dürfte. In diesem Umfang etwas kostenlos zu bekommen – das gibt es eigentlich nirgendwo. Das hat einen unwirklichen Touch. Man versteht erst, dass es wirklich so ist, wenn man diesen Schritt in den Raum gegangen ist."
Warum sie sich in diesem Raum ehrenamtlich engagiert? "Ich sehe es als gemeinsames gesellschaftliches Anliegen, Menschen in die Gesellschaft zu integrieren, die durch das soziale Raster fallen, weil sie zu schwach sind und nicht mehr selbst die Kraft aufwenden können, sich zu integrieren", sagt Rumpold. "Es geht darum, Menschen aus der Einsamkeit zu holen."
Wärmecafés in Halle: Mitte März ist Schluss
Und so könnten die Wärmecafés trotz des überschaubaren Zulaufs eine Zukunft haben. Wohl zwar nicht unter diesem Projektnamen. Vielmehr eher als Begegnungsorte denn als Räume zum Aufwärmen. Gespräche darüber, wie es nach der kalten Jahreszeit weitergehen soll, laufen bereits, erzählt Pfarrerin Simone Carstens-Kant.
Fest steht: Zum 15. März endet das Angebot. Aufgrund der geringen Resonanz sei nicht auszuschließen, dass einzelne Standorte bereits vorher ihre Türen schließen, erklärt Torsten Bau, Öffentlichkeitsbeauftragter im Evangelischen Kirchenkreis Halle-Saalkreis.
Aber: "Wir haben schon die Idee, diesen Raum weiter offen zu halten", sagt Pfarrerin Simone Carstens-Kant. "Einfach für Menschen, die mal mit jemandem reden möchten oder sich auch mal irgendwo alleine in Ruhe hinsetzen wollen."
So viel würde sich dadurch ja auch gar nicht ändern, sagt die Pfarrerin, denn: "Wir fragen die Leute, die herkommen, auch jetzt nicht, ob es bei ihnen in der Wohnung warm oder kalt ist. Wer die Tür öffnet, kriegt einen Kaffee oder Tee oder ein gutes Gespräch." Und im Grunde ist es dabei fast schon egal, ob die Heizung funktioniert.
MDR (Daniel George)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 16. Februar 2023 | 16:30 Uhr