Kinder in einer Kita 3 min
In der Kita "Ohana" lernen Kinder mit Migrationshintergrund zusammen mit deutschsprachigen Kindern. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Schlechte Pisa-Ergebnisse "Kinder lernen schnell": Sprachkita bereitet Kinder mit Migrationshintergrund auf die Schule vor

11. März 2024, 14:48 Uhr

Die Leistungen von Schülerinnen und Schülern in Deutschland sind gesunken, zeigt die aktuelle Pisa-Studie. Experten zufolge ist neben Lehrermangel und Corona-Krise auch fehlende Sprachkompetenz Ursache für das schlechte Ergebnis. Kinder mit Migrationshintergrund erhalten in Deutschland demnach nicht ausreichend Förderung. Eine Kita in Magdeburg möchte diesem Problem schon von Grund auf entgegenwirken. Auf 400 Quadratmeter lernen Kinder aus 15 Nationen gemeinsam spielerisch die deutsche Sprache.

Eine junge Frau mit blonden Haaren lächelt in die Kamera
Bildrechte: Sarah-Maria Köpf

In den Fluren der Kita "Ohana" in Magdeburg hängen Luftballons und Girlanden. Dazwischen finden sich immer wieder selbstgebastelte Schilder mit Vokabeln verschiedenster Sprachen. Dass man hier auf Eltern, Kinder und Erzieher unterschiedlicher Nationen trifft, wird schon auf den ersten Blick klar.

Seit dem Projektstart im August 2022 werden die 125 Betreuungsplätze im Haus vorrangig an die Kinder geflüchteter Familien vergeben. Aktuell ist die Kita voll belegt, die Nachfrage groß. Etwa 15 Nationen sind vertreten. "Wir arbeiten täglich mit Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammen. Das ist manchmal eine große Herausforderung, bedarf viel Organisation und manchmal auch Fingerspitzengefühl. Was unterm Strich dabei rauskommt, ist für die Kinder aber so wertvoll. Das gibt ihnen viel fürs Leben mit", erzählt Leiterin Jennifer Mauksch.

Sprachkita "Ohana" in Magdeburg
In der Kita sind etwa 15 verschiedene Nationen vertreten. Bildrechte: MDR/Sarah-Maria Köpf

Internationales Kita-Team vermittelt spielerisch Deutschkenntnisse

"Ohana" ist ein hawaiianisches Wort und heißt übersetzt "erweiterte Familie". Und als solche verstehe sich auch die Kita, erzählt Mauksch. In einem sicheren Umfeld sollen die Kinder hier die deutsche Sprache lernen. Das Kita-Team ist international aufgestellt und spricht neben Deutsch unter anderem Russisch, Ukrainisch, Arabisch, Persisch oder Türkisch. Bei fehlenden Sprachkenntnissen der Kinder könne so jederzeit auf die Muttersprache zurückgegriffen werden. Besonders bei der Eingewöhnung sei das hilfreich, sagt Mauksch. "Sobald die eigene Sprache gesprochen wird, ist mehr Sicherheit bei den Kindern da. Dass sie das Gefühl haben, dass sie verstanden werden."

Diejenigen, die ohne Sprachkenntnisse in die Kita "Ohana" kommen, würden jedoch schnell Deutsch lernen. Die Erzieher setzen dabei auf einen spielerischen Ansatz, kombinieren die Sprachen miteinander. "Die Kinder sind da sehr anpassungsfähig, sie brauchen nicht lange, um sich dann mit den anderen Kindern verständigen zu können, das klappt ohne Probleme", freut sich die Kita-Leiterin.

Jennifer Mauksch, eine junge Frau mit langen dunklen Haaren, blickt in die Kamera
Jennifer Mauksch ist seit Januar 2024 Leiterin der Kita. Bildrechte: MDR/Sarah-Maria Köpf

Eine der Mitarbeiterinnen ist Valeria Carcó aus Catania auf Sizilien. Die Italienerin ist seit sechs Jahren in Deutschland und arbeitet seit Anfang des Jahres in der Kita "Ohana". Gemeinsam mit einer Gruppe Null- bis Zweieinhalbjähriger ertastet sie die Oberflächen verschiedener Materialien, nennt immer wieder die Begriffe auf Deutsch, aber auch auf Italienisch. "Unser Konzept will genau das. Dass die Kinder sich an die Vielfalt gewöhnen. Sie erleben im normalen Alltag, dass es verschiedene Sprachen, verschiedene Kulturen gibt und wir alle zusammen leben und zusammen spielen können", sagt sie.

Krabbelgruppe in der Kita Ohana
Valeria Carcó spricht mit den Kleinsten Italienisch und Deutsch. Bildrechte: MDR/Sarah-Maria Köpf

Schlechte Pisa-Ergebnisse: Sprache ist Schlüsselfaktor

Eine Sprach-Kita wie "Ohana" ist für Kinder mit Migrationshintergrund jedoch nicht selbstverständlich. Das Angebot in Sachsen-Anhalt sei auf keinen Fall ausreichend, meint Jennifer Mauksch. Dabei ist Sprache der Schlüssel zu Bildung und damit auch zur erfolgreichen Zukunft der Kinder. Die aktuellen Pisa-Ergebnisse – veröffentlicht im Dezember vergangenen Jahres – zeichnen dahingehend ein besorgniserregendes Bild.

Schülerinnen und Schüler in Deutschland haben im internationalen Leistungsvergleich im Jahr 2022 demnach so schlecht abgeschnitten wie nie zuvor. Nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wurden insbesondere sowohl im Lesen als auch in Mathematik und Naturwissenschaften die niedrigsten Werte erzielt, die für Deutschland jemals im Rahmen von Pisa gemessen worden sind. Auch international ist die durchschnittliche Leistung gesunken.

Wie funktioniert der Pisa-Test? Pisa ist die weltweit größte Schulleistungsstudie und untersucht die Kompetenzen von 15-Jährigen in den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen. Am Test 2022 nahmen etwa 690.000 Schülerinnen und Schüler aus 81 Ländern teil, in Deutschland waren es 6.116 Teilnehmende. Die Stichprobe ist repräsentativ. Eine Aufschlüsselung nach Bundesländern gibt es nicht.

Ursachen für das schlechte Abschneiden Deutschlands sehen die Autorinnen und Autoren der Pisa-Studie unter anderem in der Corona-Pandemie. Fehlende Sprachkenntnisse gelten jedoch ebenfalls als einflussreicher Faktor, heißt es weiter. "Ein zentraler Grund ist sicherlich, dass wir es nach wie vor nicht geschafft haben, eine frühe Sprachförderung für alle, die sie benötigen, durchgängig sicherzustellen", sagte die Studienleiterin Doris Lewalter, Vorstandsvorsitzende des Zentrums für internationale Bildungsvergleichsstudien. "Wenn wir Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungshintergrund haben, können wir nicht davon ausgehen, dass sie die deutsche Bildungssprache schon beherrschen, wenn sie nach Deutschland kommen."

Oliver Winkler, Soziologe an der Uni Halle, sieht das ähnlich. "Deutschland ist im OECD-Vergleich eines der Länder, in denen Zuwanderung einer der wichtigsten Faktoren für Ungleichheit ist." Trotzdem warnt Winkler davor, zu pauschalisieren, denn das Bildungsniveau sei allgemein gesunken – bei allen Kindern. Kinder aus eingewanderten Familien hätten jedoch besonders ungünstige Chancen, im Bildungssystem erfolgreich zu sein.

Oliver Winkler, ein Mann mit Brille und schwarzem Pullover, steht in einem Büro vor einem Bücherregal und lächelt in die Kamera
Oliver Winkler bescheinigt Deutschland ein allgemein gesunkes Bildungsniveau. Bildrechte: MDR/Sarah-Maria Köpf

Kinder mit Migrationshintergrund bei Bildung benachteiligt

In Deutschland lag 2022 der Anteil der 15-Jährigen, deren Eltern beide im Ausland geboren wurden, bei 26 Prozent, zeigen die Daten der Pisa-Studie. Zum Vergleich: 2012 waren es noch 13 Prozent. In Sachsen-Anhalt entsprach die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit ausländischer Staatsangehörigkeit an den allgemeinbildenden Schulen im Schuljahr 2022/23 einem Zehntel der Gesamtschülerzahl von 208.350, teilten Landesverwaltungsamt und Landesschulamt mit.

In den Großstädten finde man auch in Sachsen-Anhalt Klassen, in denen die Hälfte oder sogar mehr als die Hälfte einen Migrationshintergrund habe, sagt Tobias Kühne, Sprecher des Landesschulamts Sachsen-Anhalt. Oft spielten dann auch soziale Fragen eine Rolle, denn Familien mit Migrationshintergrund hätten häufig weniger finanzielle Mittel zur Verfügung, um beispielsweise Nachhilfe zu finanzieren. Trotzdem gebe es auch immer wieder Beispiele, in denen Kinder mit Migrationshintergrund das Bildungssystem durchlaufen und ihr Abitur absolvierten.

Damit das klappt, sei es wichtig, dass sie so früh wie möglich in Kontakt mit der deutschen Sprache kommen, meint Oliver Winkler von der Uni Halle: "Kompetenzen in Deutsch sind für alle Schulfächer wichtig." Der Nutzen von frühkindlicher Bildung sei daher sehr hoch. Sprach-Kitas könnten ein Anfang sein. In Sachsen-Anhalt gibt es aktuell 209 solcher Einrichtungen.

Wir versuchen, den Kindern mit unseren Angeboten den Übergang in die Schule so leicht wie möglich zu machen und ihnen das mitzugeben, was sie brauchen, um gut in die Zukunft zu starten.

Jennifer Mauksch Leiterin der Kita "Ohana" in Magdeburg

Individuelle Förderung im Vorschul-Programm

Sara Abdulkader ist glücklich darüber, dass ihr Kind einen Platz in der Kita "Ohana" bekommen hat. Die 33-jährige Syrerin ist vor sieben Jahren nach Deutschland gekommen, dieses Jahr soll ihre Tochter eingeschult werden. "Ich dachte zuerst, mein Kind spricht hier vielleicht nur Arabisch, aber sie spricht mittlerweile sehr gut Deutsch. Und das ist es, was wir wollen", erzählt sie lächelnd. Trotzdem mache sie sich Sorgen, ob die Sechsjährige in der Schule alles verstehen wird. Deshalb versuche sie auch zu Hause – neben der Muttersprache – so viel wie möglich Deutsch zu sprechen. "Ich habe auch schon Erfahrung mit meinem Sohn, der jetzt in der sechsten Klasse ist. In der ersten Klasse war es bei ihm noch ein bisschen schwierig, aber jetzt funktioniert es alles gut. Die Kinder lernen sehr schnell", erinnert sie sich.

Sara Abdulkader
Sara Abdulkader lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern seit sieben Jahren in Deutschland. Bildrechte: MDR/Sarah-Maria Köpf

Leiterin Jennifer Mauksch hofft, dass ihre Kita-Kinder in der Einrichtung so weit vorbereitet werden, dass sie in der Schule später keine Sprachbarriere haben. Wenn im Vorschulprogramm auffalle, dass ein Kind Probleme hat, gebe es Mitarbeiter, die sich darauf spezialisiert haben und dann im Einzeltraining mit dem Kind arbeiten. "Wir versuchen, den Kindern mit unseren Angeboten den Übergang in die Schule so leicht wie möglich zu machen und ihnen das mitzugeben, was sie brauchen, um gut in die Zukunft zu starten."

Weiterführung des Projekts trotz Erfolg unsicher

Obwohl das Konzept sowohl bei Eltern als auch den Kindern gut anzukommen scheint, ist unklar, wie es mit der Kita "Ohana" weitergeht. Sie ist bislang nur ein befristetes Projekt der gemeinnützigen GmbH "Mandala Kinderbetreuung" in Kooperation mit der Stadt Magdeburg. Als Teil im "Landesprogramm Sprachkita" läuft die Finanzierung nur noch bis Ende 2024. Das Land Sachsen-Anhalt hatte die Förderung im vergangenen Jahr übernommen, als das 2016 initiierte Bundesprogramm beendet wurde.

Aktuell warte man jeden Tag auf die Bestätigung, dass das Projekt verlängert werde, erzählt Jennifer Mauksch. Das sorge vor allem bei den befristet angestellten Mitarbeitenden, aber auch den Eltern für Unsicherheiten. Sollte die Finanzierung nicht klappen, muss "Ohana" als Kita schließen. Die Betriebserlaubnis läuft nur bis zum 31. Dezember 2024.

Mehr dazu bei FAKT IST! aus Magdeburg "Baustelle Bildung: Wie kann Qualität wieder Schule machen?" – Darüber wird am Montag, 11. März, im Polittalk FAKT IST! aus Magdeburg gesprochen.
Auf dem Podium diskutieren Sachsen-Anhalts Bildungsministerin Eva Feußner (CDU), Amy Kirchhoff vom Landesschülerrat Sachsen, die Bildungsökonomin Prof. Kerstin Schneider von der Universität Wuppertal und Katja Pähle, Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag von Sachsen-Anhalt. Die Sendung sehen Sie am 11. März ab 20:30 Uhr im Livestream auf MDR.de und ab 22:10 Uhr im MDR-Fernsehen.

Talkrunde im Studio 59 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
59 min

Fakt ist! Mo 11.03.2024 22:10Uhr 59:06 min

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

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MDR (Sarah-Maria Köpf) | zuerst veröffentlicht am 10. März 2024.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 10. März 2024 | 19:00 Uhr

8 Kommentare

schwester65 vor 6 Wochen

Tolles Konzept, aber warum werden solche Kitas nicht überall betrieben und für alle Kinder. Warum gibt es noch immer Kita, wo 2 Erzieherinnen für 32 Kinder unterschiedlichen Alters und innerhalb eines sozialen Brennpunkts zuständig sind? Alle Kinder haben das Recht gefördert zu werden und es gibt auch mehr als genügend Deutsche, die ohne adäquate Bildungsangebote keine echte Chance haben, aus ihrem bisherigen sozialen Umfeld herauszukommen.

Nudel81 vor 6 Wochen

In Deutschland erhalten Kinder grundsätzlich zu wenig Förderung. Völlig egal ob Deutsch oder zugewandert. Die Corona-Jahre haben so ein Schaden angerichtet der einfach unter den Tisch gekehrt wird. Aber für Waffen egal ob Bundeswehr oder zur Kriegsunterstützung ist genug Geld da.

DER Beobachter vor 6 Wochen

Der Durchschnitts-IQ in Deutschland liegt bei 100. Magdeburg und Duisburg liegen im IQ gleichauf bei 86... Sorry!

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