Gewalt gegenüber Frauen Zu wenige Hilfsangebote im Land: "Ist ein Frauenleben so wenig wert?"
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30. April 2023, 17:18 Uhr
In Sachsen-Anhalt werden immer mehr Fälle von häuslicher Gewalt und Partnerschaftsgewalt verzeichnet. Die Betroffenen sind in den meisten Fällen Frauen. Die Hilfsangebote im Land können die Nachfrage teilweise jedoch nicht mehr bedienen, so gibt es etwa zu wenige Plätze in Frauenhäusern. Es fehlt an der Finanzierung, aber auch an Sensibilisierung in der Gesellschaft.
- Die Angebote für Frauen, die Gewalt erleben, sind in Sachsen-Anhalt ungleich verteilt und teilweise voll ausgelastet.
- Wer aus dem häuslichen Umfeld ausbrechen möchte, kann Schutz in einem Frauenhaus suchen. Die Frauen erhalten hier Unterstützung beim Thema Sorgerecht, Aufenthalt oder Geld.
- Neben dem Schutz der Betroffenen ist auch die Täterarbeit ein wichtiger Baustein.
In einem kleinen Hausdurchgang in der nördlichen Innenstadt von Halle liegt das Yamabushi Dojo. Hier kommt jede Woche eine Gruppe von Frauen zum Selbstverteidigungskurs zusammen. Der Trainingsraum mit seinen grauen Matten und der hölzernen Wandvertäfelung soll den Teilnehmerinnen einen sicheren Raum bieten. Alle Altersgruppen sind hier vertreten – von der Schülerin bis zur Seniorin. Manche Mütter sind direkt mit ihren Töchtern gekommen. Dorothee Zimmer leitet den Kurs und zeigt den Frauen, wie sie sich in Gefahrensituationen verhalten können. Wie sie sich bei einem Angriff zur Wehr setzen.
Zimmer ist Trainerin für Gewaltprävention und praktiziert "Bujinkan Budo Taijutsu", eine alte japanische Kampfkunst. Dabei geht es nicht nur um Verteidigung, sondern auch um Achtsamkeit. Das vermittelt sie auch ihren Teilnehmerinnen. Warum die Frauen den Kurs besuchen, danach frage sie aus Respekt vor der Privatsphäre schon lange nicht mehr, erzählt die Hallenserin. Die Gründe seien vielfältig. Einige hätten bereits selbst Gewalterfahrung gemacht. Manche brauchen demnach drei bis vier Kursstunden, um sich zu öffnen. Andere erzählen erst nach Ende des Kurses von ihren Erfahrungen oder auch gar nicht. "Sie wollen nicht wie ein rohes Ei behandelt werden", vermutet Zimmer. Manche Frauen werden auch direkt von einer der Beratungsstellen innerhalb der Stadt an das Dojo vermittelt.
Hilfsangebote im Land ausgelastet
In Halle ist das Angebot für Frauen, die sich Hilfe bei Gewalterfahrungen suchen wollen, breit aufgestellt. Neben einer Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking gibt es unter anderem eine Beratungsstelle für Opfer von sexueller Gewalt, ein Frauenhaus sowie eine ambulante Beratungsstelle.
Anders sieht es jedoch in anderen Teilen des Landes aus. Und überall gilt: Die Angebote sind ausgelastet, die Frauenhäuser teilweise voll.
Gewalt gegen Frauen nimmt zu
In den vergangenen Jahren haben die Gewalttaten gegenüber Frauen zugenommen, das zeigen Zahlen des Landeskriminalamts (LKA). In Sachsen-Anhalt sind allein die angezeigten Fälle von häuslicher Gewalt von 6.248 im Jahr 2018 auf 6.684 im Jahr 2021 angestiegen – das ist ein Anstieg um sieben Prozent. Die Opfer sind meist weiblich. Die Dunkelziffer wird als weitaus höher eingeschätzt, denn oft haben die Betroffenen Angst zur Polizei zu gehen.
Susanne Wildner begleitet als Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Halle viele Frauen und Beratungsangebote bereits seit mehr als 30 Jahren. Sie selbst reichte den Antrag zur Gründung des Frauenhauses 1991 im Stadtrat ein. Seitdem sei viel passiert und trotzdem noch nicht genug. "Ich stehe kurz vor dem Ende meiner Arbeit als kommunale Gleichstellungsbeauftragte, die ich voller Enthusiasmus hier angetreten habe. Ich bin sehr ernüchtert", sagt Wildner. "Ich sehe keine rosigen Zeiten für Frauen, die da auf uns zukommen."
Ich sehe keine rosigen Zeiten für Frauen, die da auf uns zukommen.
Häusliche Gewalt weiterhin ein Tabuthema
Nicht nur die Finanzierung von Beratungsangeboten sei ein Problem, denn dabei handele es sich jeweils um freiwillige Ausgaben der Kommunen und Länder. Auch die Wahrnehmung in der Gesellschaft sei bisher zu wenig da, so Wildner. Frauen werde oft immer noch eine Mitschuld gegeben. Menschen, die in verschiedenen Stellen arbeiten, müssten noch mehr sensibilisiert werden, um Verdachtsfälle zu erkennen. "Wenn man dann aber Schulungen anbietet, ist das nicht unbedingt das Angebot, wo einem jemand die Tür einrennt. Oft wird es nicht genutzt, weil das natürlich dann auch wieder freiwillig ist", kritisiert sie.
"Das ist so diese Ohnmacht, die wir spüren. Wir, die solange in diesem Feld unterwegs sind, dass wir uns fragen: Warum ist das so? Warum ist ein Frauenleben so wenig wert? Warum kann die Gesellschaft damit nicht angemessen umgehen?" Gewalt an Frauen sei immer noch ein Tabuthema, das keiner so richtig wahrnehmen wolle und über das man auch nicht rede. "Wenn dann jede Person immer denkt: 'Das passiert nur mir', dann ist gesellschaftliche Veränderungen eben noch ganz weit weg", meint Susanne Wildner. Dabei könne man davon ausgehen, dass jeder in seinem Bekanntenkreis Menschen finde, die von diesen Dingen betroffen sind.
Femizid: Jeden dritten Tag wird eine Frau in Deutschland ermordet
Und das ist problematisch, denn in Deutschland stirbt immer noch fast jeden dritten Tag eine Frau durch die Gewalt ihres Partners oder Ex-Partners. Jeden Tag gibt es einen polizeilich registrierten Tötungsversuch an einer Frau. Auch in Sachsen-Anhalt gab es in den vergangenen Monaten mehrere Femizide. Im Jahr 2022 wurden laut LKA im Land drei Frauen von ihren Ehe- oder Expartnern getötet. Zudem wurden vier versuchte Morde registriert.
Der mutmaßliche Mord an einer Frau in Bad Lauchstädt zeigte zuletzt, dass Fehler bei der Verfolgung von Gewaltvorfällen gemacht werden. Als Konsequenz hat das Innenministerium angekündigt, das polizeiliche Hochrisikomanagement, das in Halle seit 2020 als Pilotprojekt läuft, im gesamten Land auszurollen. Damit soll die Zusammenarbeit der verschiedenen Stellen besser funktionieren.
So sollen Frauen bei häuslicher Gewalt schnellere und bessere Schutzangebote erhalten. Die besondere Dynamik der Beziehung zwischen Täter und Opfer mache es oft schwer, sich aus diesem Umfeld zu lösen, sagt Susanne Wildner. Oft liege ein langer Weg vor den Frauen, die sich dazu entscheiden. Neben den emotionalen Hürden bedeute dies auch einiges an Bürokratie. Seien dann noch Kinder mit im Spiel, werde es noch schwerer. Hilfe bekämen Frauen dann bei Beratungsstellen oder im Frauenschutzhaus.
Hilfe im Frauenschutzhaus bei Sorgerechtsfragen und Wohnungssuche
Doch nicht alle Frauen wollen sofort ins Frauenhaus. Manche kommen auch erst einmal bei Freunden oder Bekannten unter, erzählt eine Sprecherin des Vereins "Frauen helfen Frauen", der Träger des Frauenschutzhauses in der Region Bitterfeld-Wolfen ist. Ihren Namen möchte die Sozialarbeiterin nicht öffentlich nennen. Zu groß ist die Sorge, dass dadurch die Frauen, die bei ihnen Schutz suchen, in Gefahr geraten.
Das Frauenhaus Bitterfeld-Wolfen hat acht Plätze. Zunächst gehe es darum, die Frauen aufzufangen, damit sie einen geschützten Raum haben, in dem sie ankommen können, so die Sprecherin. Oft muss zunächst die finanzielle Situation gelöst werden, denn viele Frauen hätten kein eigenes Konto. Sind Kinder mit betroffen, gehe es dann vor allem ums Thema Sorgerecht. Die Männer haben damit zunächst ein Druckmittel in der Hand, mit dem sie den Frauen drohen würden. Bei geflüchteten Frauen sei auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht ein weiteres Problem.
Hilfsnetz in Sachsen-Anhalt nicht gut genug aufgestellt
Frauen zu schützen – darauf haben sich EU-Staaten mit der Istanbul-Konvention geeignet. Sie werde in Deutschland nach wie vor kaum wirklich umgesetzt: "Wir haben aus meiner Sicht ein Familienrecht, das vermeintlich die Gleichberechtigung von Frauen postuliert, aber den Frauen dann in der Praxis auf die Füße fällt", kritisiert Halles Gleichstellungsbeauftragte Susanne Wildner.
Was ist die Istanbul-Konvention? Die Istanbul-Konvention ist 2011 vom Europarat ausgearbeitet worden. Mit der Unterzeichnung hat sich Deutschland verpflichtet, Gewalt gegen Frauen zu verhüten, zu verfolgen und zu beseitigen. Bislang fehlt allerdings ein nationaler Aktionsplan dafür.
Und betroffenen Frauen fällt es oft ohnehin schon schwer, sich Hilfe zu suchen, aus Angst oder Scham. Die Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Halle verfolgt deshalb auch einen pro-aktiven Ansatz und arbeitet mit der Polizei zusammen. So könnten Kontaktdaten bei Einverständnis weitergeleitet und den Betroffenen direkt Beratung angeboten werden. Auch hier kommen die beiden Mitarbeiterinnen, die für mehrere Landkreise zuständig sind, mit den Fällen kaum hinterher. Deshalb könnten sie auch nur beraten und nicht begleiten, erzählt Silke Voss, die seit 21 Jahren in der Interventionsstelle arbeitet. "Das Netz in Sachsen-Anhalt ist da noch nicht gut genug aufgestellt", kritisiert sie.
Fehlende Aufmerksamkeit in der Gesellschaft
Im Land fehlen nach den Vorgaben der Istanbul-Konvention 171 zusätzliche Plätze in Frauenhäusern. Auch die Täterarbeit müsse ausgebaut werden, so Voß. "Ohne Täterarbeit braucht es keinen Opferschutz." Politisch muss noch einiges getan werden, doch auch an die Gesellschaft hat sie einen Wunsch: "Die Menschen sollten nicht nur auf sich selbst gucken, sondern auch auf ihre Nachbarn, Freunde und Familienmitgliedern. Hilfe anbieten, aufpassen und Sensibilität zeigen".
Die Menschen sollten nicht nur auf sich selbst gucken, sondern auch auf ihre Nachbarn, Freunde und Familienmitgliedern. Hilfe anbieten, aufpassen und Sensibilität zeigen.
Das ist auch etwas, was Dorothee Zimmer in ihrem Selbstverteidigungskurs lehrt. Neben den Übungen, die die Frauen für die eigene Sicherheit und das Selbstgefühl lernen, spiele auch das eigene Netzwerk eine wichtige Rolle. "Gute Freunde, die auf einen aufpassen und schauen, wenn es jemandem nicht gut geht." Auch sie appelliert: Hinschauen, aufmerksam sein. "Es kann nicht sein, dass die Gesellschaft das nicht sieht!"
Hier bekommen Sie Hilfe
Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" (08000 116 016) ist kostenlos und rund um die Uhr erreichbar, auch für Angehörige.
Die Vereine Wildwasser Magdeburg und Wildwasser Halle bieten persönliche Beratung bei sexualisierte Gewalt an – vor Ort als auch per Telefon oder Chat.
Eine Übersicht der Hilfsangebote in Sachsen-Anhalt gibt es unter: www.gewaltfreies-sachsen-anhalt.de
Über Sarah-Maria Köpf
Sarah-Maria Köpf arbeitet seit Mai 2021 für MDR SACHSEN-ANHALT. Sie ist in Leipzig aufgewachsen und hat dort Kommunikations- und Medienwissenschaft studiert, bevor es sie für den Master in "Multimedia & Autorschaft" nach Halle zog.
Neben dem Studium arbeitete sie für den Radiosender Mephisto 97.6, die Leipziger Volkszeitung und das Grazia Magazin. Ihr Schwerpunkt liegt im Bereich Social Media.
MDR (Sarah-Maria Köpf)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 30. April 2023 | 18:00 Uhr
Hobby-Viruloge007 am 30.04.2023
Die Bundesfach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz geht davon aus, das ca. 20% der Opfer von körperlicher oder geistiger Partnerschaftsgewalt männlich sind.
Es gibt bundesweit zwölf Männerhäuser und keins in Sachsen-Anhalt. Das scheint niemanden zu interessieren.
Wobei ich 20% Männeropfer für eine optimistische Schätzung halte. Männer prügeln, Frauen manipulieren eher....