Vor Habeck-Besuch in Dresden Arbeitgeber: Lage sächsischer Unternehmen "sehr ernst"

01. November 2022, 11:11 Uhr

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kommt am Dienstag zu einem Informationsaustausch mit der sächsischen Staatsregierung nach Dresden. Dabei wird er auch hochrangige Vertreter der sächsischen Wirtschaft zu einem Gespräch treffen. Der sächsische Arbeitgeberpräsident Jörg Brückner, auch Teilnehmer, fordert wegen der angespannten Wirtschaftslage ein Belastungsmoratorium für die Unternehmen.

MDR AKTUELL: Herr Dr. Brückner, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kommt in einer wegen des Kriegs in der Ukraine sehr angespannten Lage, besonders auch für die Wirtschaft, zu einem Informationsbesuch nach Sachsen. Er wird hier auch mit Vertretern von Verbänden und Kammern zusammentreffen. Auch Sie werden dabei sein. Welche Erwartungen haben Sie an ihn und die Bundesregierung in diesen Tagen?

Dr. Jörg Brückner: Ich erwarte zunächst, dass er den Unternehmen seine Bewertung der Lage sowie die Schwerpunkte der Bundesregierung – nicht nur kurzfristig – sondern auch mittel- und langfristig skizziert. Was tun er und die gesamte Regierung, um ein Wegbrechen der wirtschaftlichen Basis unseres Landes zu verhindern?

Klar ist, die aktuelle Situation ist auch Ergebnis der deutschen Energiepolitik der letzten Jahrzehnte. Die Abhängigkeit vom russischem Gas ist kein Marktversagen, sondern ein direktes Ergebnis von kurz- und langfristigem staatlichen Handeln und einem politisch gewollten Energiemix, der mit dem gleichzeitigen Ausstieg aus der C02-neutralen Kernenergie und dem Kohleausstieg kaum eine Alternative ließ.

Die Politik muss hieraus die Lehren ziehen und eine nachvollziehbare Strategie aufzeigen – vor allem aber Planungssicherheit für die kommenden fünf, zehn, fünfzehn Jahre bieten. Wovon will Deutschland zukünftig leben? Wie soll der Wohlstand gesichert werden können? Hier erwarte ich mir Antworten von einem Bundeswirtschaftsminister.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir diese Krise nur mit mehr Leistung eines jeden Einzelnen bewältigen werden können. Längere Arbeitszeiten dürfen kein Tabu sein.

Wie ernst ist die Lage der sächsischen Unternehmen?

Jörg Brückner
Der sächsische Arbeitgeberpräsident Jörg Brückner Bildrechte: picture alliance/dpa/VSW/Steffen Fuessel

Die Lage ist sehr ernst. Alle Bereiche der Wirtschaft sind stark von Kostensteigerungen betroffen. Das lässt in vielen kleinen und mittleren Firmen die finanziellen Reserven gefährlich abschmelzen und stellt – unverschuldet – nicht selten die Frage, ob man die Firma halten kann. Es sind mehrere Krisen, die sich hier überlagern. Der Koalitionsvertrag der Ampel beinhaltet ein Belastungsmoratorium für die Wirtschaft. Das muss aber jetzt auch wirklich Geschäftsgrundlage der Bundesregierung werden und nicht nur ein Lippenbekenntnis bleiben.

Wie sollen die Unterstützungsmaßnahmen für den Mittelstand konkret aussehen? Energiekostensenkung, Preisbremsen gehören ja ohnehin dazu.

Preisbremsen bei Strom und Gas sind kurzfristig notwendig, lösen aber das Problem nicht ursächlich. Dringend notwendig ist vielmehr ein Aktivieren aller Angebotskapazitäten der Stromproduktion. Das heißt: Alle Kraftwerkskapazitäten zur Stromproduktion – ohne Gas – müssen ideologiefrei aktiviert bzw. deren Abschaltung über April 2023 hinaus verschoben werden. Ich sage hier ganz klar: verschoben bis zum Ende der Krise und nicht alle sechs Monate befristet. Alleinige Voraussetzung ist die technische Machbarkeit, nicht irgendwelche Parteitagsbeschlüsse.

Alle Kraftwerkskapazitäten zur Stromproduktion müssen ideologiefrei aktiviert werden – bis zum Ende der Krise.

Dr. Jörg Brückner Sächsischer Arbeitgeberpräsident

Das gilt im Besonderen für Kohle- und Kernkraftwerke, die im Rahmen von Ausstiegsbestimmungen bereits heruntergefahren wurden, allerdings noch immer zur Stromerzeugung beitragen könnten. Regulatorische Hürden müssen aktuell niedriger priorisiert werden. Ziel ist es, den Zeitraum, in dem Gaskraftwerke am Strommarkt preissetzend wirken, auf ein Minimum zu reduzieren und die Verfügbarkeit von ausreichend Kraftwerkskapazitäten in Stresssituationen, Blackoutgefahr, abzusichern.

Daneben braucht es einen erleichterten Zugang zu Liquiditätsmaßnahmen für den breiten Mittelstand – Stichwort Energiekostendämpfungsprogramm.

Sie fordern seit Langem mehr Investitionen in die Infrastruktur. Wo ist dabei aus Ihrer Sicht besonders der Bund gefordert?

Hier offenbart die aktuelle Krise das Versagen der Politik der vergangenen Jahre. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien wurde als Ziel formuliert, ohne die Netz- und Speicherkapazitäten im dafür erforderlichen Maße auszubauen. Wenn es dunkel ist und kein Wind weht, brauchen wir nach wie vor die konventionellen, teils umstrittenen und abgelehnten Energieträger. Das hat Auswirkungen auch auf andere Bereiche. Wenn die EU den Verbrenner ab 2035 verbannen möchte, wird der Bedarf an elektrischer Energie deutlich größer.

Aber auch bei Schieneninfrastruktur müssen wir endlich vorankommen. Bevor man sich die Frage nach der Höhe des Ticketpreises stellt, braucht es leistungsfähige Verbindungen und zwar auch und vor allem im ländlichen Raum bzw. dessen Verbindung mit den Ballungszentren. Hier werden wir nicht müde, speziell auch gegenüber dem Bund, den leistungsfähigen zweigleisigen Hochgeschwindigkeitsausbau Chemnitz-Leipzig anzumahnen. 32 Jahre nach der Einheit Deutschlands ein Armutszeugnis.

Wie optimistisch sind Sie, dass die Bundesregierung jetzt endlich schnell die versprochenen Maßnahmen umsetzt?

Die Regierung muss jetzt schnell auf die sehr ernste Situation reagieren. Das Belastungsmoratorium muss allgemeine Geschäftsgrundlage für Bundesregierung und Parlament werden.

Zugleich warne ich jetzt aber auch vor einem Überbietungswettbewerb an Rettungsmaßnahmen – sowohl auf Bundes- und vor allem auf Landesebene. Das würde zu zusätzlichen finanziellen Belastungen in der Zukunft führen. Die Steuerschätzungen der vergangenen Woche auf Bundes- wie Landesebene müssen zwar mit Vorsicht betrachtet werden, bieten aber Möglichkeiten für zielgenaue Hilfen. Neue Sondervermögen und Schattenhaushalte lehnen wir dagegen strikt ab. Sparsamkeit und eine neue Prioritätensetzung für Investitionen sind erforderlich.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 31. Oktober 2022 | 06:00 Uhr

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